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Feb
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Das Prostitutionsgewerbe in Hamburg

Mamsellenhäuser, Freudenhäuser und Bordelle – Alte Prostitutionsquartiere Hamburgs und St. Paulis

Bis zum 16 Jh. war die Prostitution seitens der Obrigkeit geduldet, vor allem in großen Handels-städten wie Hamburg mit seinem florierenden Hafen und Seehandel. Allerdings waren die Prostituierten stark stigmatisiert und wie aus dem  Hamburger Stadtrecht von 1292 hervorgeht, einem strengem Reglement von Strafen unterworfen.

„Nach dem alten Hamburger Stadtrecht von 1292 wurden die Verurteilten beim Kaak (der Richtplatz fürs Stäupen, Brandmarken und ähnliche Strafen) zwei Steine um den Hals gehängt, mit welchem belastet sie vom Frohn und seinen Knechten mit Hörnerblasen durch die Straßen und zur Stadt hinaus geführt wurden. Diese strenge Strafe wiederholt noch das Stadtrecht von 1497.  Ein solches in Lübeck aufbewahrtes Paar Schandsteine wiegt mit der eisernen Kette, an der sie hängen, zirka 25kg; es wurde so um den Hals gelegt, dass der eine Stein auf der Brust, der andere tief auf dem Rücken hing. In einigen Städten waren Stacheln daran befestigt. Oft waren die Steine noch besonders geformt oder trugen darauf eingehauene Figuren, z.B. mit Anspielung auf das veranlassende Vergehen: einen Weiberkopf mit ausgestreckter Zunge unter einem Maulkorb.“

(Zitat aus: Buhr Emmy, 1920, Seite 11)

1428 soll die Stadt acht offizielle Frauenhäuser besessen haben, u.a. auf dem Kattrepel und auf der Neustraße und für den Zeitraum 1461-1528 existieren Dokumente für amtlich verzeichnete Frauenwirte in Hamburg. Vor der Einführung der Reformation und auch später soll es in bestimmten Zeiten üblich gewesen sein die Frauen, die als Prostituierte arbeiteten mit Trommeln und Fahnen aus allen Gegenden der Stadt, wo sie sich aufhielten, zusammen zu treiben und ihnen bestimmte Gassen zuzuweisen. Dazu gehörte ebenda die Neustraße, welche von der Straße Kohlhöfen in die Neustädter Fuhlentwiete ging und mitten im Gängeviertel lag, da sie von den belebtesten Gassen und Kirchen zu dieser Zeit weit genug entfernt war. Außerdem war dort das Hochgericht mit dem Hinrichtungsplatz verortet. Auch die Bugenhagensche Kirchenordnung von 1529 erwähnt die Neustraße als Wohnort für Prostituierte. Das Gebiet der Neustadt wurde erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den neuen Wallring einbezogen und ab dann zu einem Stadtteil Hamburgs.

Im 17. Jh. wurde dann aber im Zuge der Reformation und der aufkommenden Syphilis die Prostitution in ganz Deutschland rigoros bekämpft. Im Jahr 1666 wurde in Hamburg am Alstertor gegenüber dem Zuchthaus ein Spinnhaus erbaut in welchen die Frauen, die der Prostitution beschuldigt wurden, anstelle der Stadt verwiesen zu werden, im Spinnhaus arbeiten mussten. 1725 wurde das Spinnhaus erweitert und ein Flügel angebaut. Im Jahr 1732 wurde seitens des Prätoren der Hamburger Sittenpolizei ein Mandat erlassen, das als Strafe für erstmals aufgegriffene Prostituierte vorsah, sie 8-14 Tage bei Wasser und Brot im alten Turm einzusperren. Bei wiederholtem Aufgreifen wurde die Strafzeit verlängert, zusätzlich wurden sie am Hamburger Pferdemarkt am sogenannten Schandpfahl an ein Hals-Eisen gekettet und mussten dort mit einem an die Brust befestigtem Namensschild eine Stunde stehen. Dann wurden sie für den Zeitraum von 10 Jahren aus der Stadt gewiesen.

Die Verfolgung der Prostituierten nach der Reformation und während der grassierenden Syphilis hatten bewirkt das sich die heimliche Prostitution in ganz Europa weiter ausbreitete und im 18.Jh. einen Höhepunkt erreichte. Mit den Dekreten der Pariser Polizeibehörden im Jahr 1765 begann sich eine Wende in der herrschenden Haltung gegenüber der Prostitution abzuzeichnen. Die Prostituierten mussten sich polizeilich registrieren und ärztlich untersuchen lassen, wurden aber in der Ausübung ihres Gewerbes wieder geduldet. Seit 1807, bedingt durch die französische Besatzungszeit, wurde auch in Hamburg die Prostitution wieder offiziell geduldet

Während der französischen Revolution bis zum Ende des 18.Jh., kamen viele französische Emigranten nach Hamburg und brachten neben nicht unbeträchtlichen Geldmitteln, ihre am Hof gebräuchliche libertinen Auffassungen mit ins Land. Daraus resultierte eine wahrnehmbare Zunahme der Anzahl und des Ansehens von „Freudenhäusern“ der gehobenen Klasse. Bereits im Jahr 1805 gibt es eine Vielzahl „tolerierter Freudenhäuser“, „Mamsellenhäuser“, im Volksmund genannt, die sich vom Millerntor (Altonaer Thor), An den Hütten, Dragonerstall, an dem Wall hin, über den Kamp, durch den Konzerthof über die Drehbahn, durch die Neue- und ABC-Straße hinziehen. Die Prostituierten warten an den Fenstern oder Türen auf Kundschaft. Die bessergestellten unter ihnen verfügen über ein Vorzimmer, in der Regel im 2. Stock des Hauses. Eine weniger privilegierte Klasse von „Mamsellen“ soll in den kleineren Häusern der bereits genannten Straßen und in anderen Gassen der Neu- und Altstadt gelebt haben. Sie waren häufig bei Handwerkern, Kleinhökern, Teekrämern und Wäscherinnen einquartiert. Viele Frauen die sich in den Schlafstätten der Säle, Buden und Keller der Gängeviertel einquartiert hatten, gingen der Prostitution in der Nähe der Speise- und Kaffeehäuser und auf der Straße nach. Außerdem gab es in der zwischen Hamburg und Altona liegenden Vorstadt eine Anzahl von Bordellen, wo die Frauen durch ihre selbstbewusste, aggressive Art der Werbung bekannt waren.

„Die Bewohner sind größtenteils Schiffer, Handwerker und eine Menge Schenk- und Bordellwirte. Hier in den letzteren der Venus cloacaria gewidmeten Häusern, findet besonders der rohe Matrose die höchsten Freuden des mühevollen Lebens im Branntwein, beim Tanz und in den Umarmungen feiler Nymphen der niedrigsten Klasse, welche ihn oftmals, wenn er in Gesellschaft seiner jauchzenden Brüder aus einem der vielen Brauhäuser Altonas taumelnd und lallend zurückkehrt, auf einmal um den Lohn vieler mühsam durchgearbeiteten Monate bringen. Diese Häuser, welche durch die, in den immer geöffneten Thüren fast halb entkleidet stehenden Damen mit ziegelroth geschminkten Gesichtern, und durch die abscheuliche Musik schon ganz zerfiedelter Geigen, die Vorübergehenden einladen, stehen besonders zur Herbstzeit in ihrem höchsten Glanze, alsdann der Matrose abgelohnt wird.“

(Meyer, Hamburg und Altona. Hamburg, 1836: S. 438 )

Laut dem Autor Pierre Dofour waren die Bordelle in der Schwiegerstraße die feinsten Etablissements der Stadt, gefolgt von denen in der kleinen und großen Drehbahn, dem Dammtorwall, der Ulricusstraße, den Hütten und dem Pilatuspool, während die „am tiefsten stehenden“ sich in den Gängevierteln, wie im Langen Gang, Specksgang, Kugelsort und neun weiteren Gassen befanden.

„Zunächst einige Worte über die Schwiegerstraße. (…) Beim Eintritt in dasselbe führt eine Haushälterin die Gäste aus dem Vorplatz in die parterreliegenden Versammlungssäle, in denen man gewöhnlich gegen 14 Mädchen beisammen findet, zum Teil mit Musizieren oder Lesen beschäftigt. Die der Prostitution geweihten Zimmer liegen in den Stockwerken. Man findet daselbst Mahagonimöbel von Rang und Größe, und feine Draperien. Alles zeigt Reinlichkeit und Eleganz. Die Toiletten der Mädchen sind elegant, teilweise selbst kostbar, der Schnitt der Kleidung ist verhältnismäßig anständig. Die Mehrzahl besteht aus früheren Putzmacherinnen, Ladenmädchen etc, doch findet man hier nicht selten auch gefallene Töchter anständiger Familien. (…) Wenn sie ausgehen wollen, so muß das bei Tage geschehen, da die Wirtin Abendpromenaden nicht gestattet. Abend wird gewöhnlich ein Teil der Mädchen unter Aufsicht der Wirtin, oder einer von derselben Angestellten, nach dem Apollosaal und den beiden Theatern geführt von wo sie den Bordellen neue Kunden zuführen. Mit dem Bordell ist eine Wirtschaft verknüpft. (…) Die Wirtin verlangt, dass die Mädchen lustig sind und beim Trinken tüchtig Bescheid thun. Sie sind gezwungen, ihre ganze Einnahme abzuliefern; jedoch erhalten sie bei gutem Verdienst ein Taschengeld. Ueber die Preise für Wohnung, Essen, Kleidung etc werden die Mädchen niemals klar, da sie nie eine detaillierte Rechnung erhalten. Demnach bleiben sie, ihr Verdienst sei, wie es wolle, stets der Wirtin verschuldet.“

Zitat aus: Dofour Pierre, 1995 : 84/85)

Auch die Frauen der anderen Etablissements in der Region um den Dammtorwall sollen regelmäßig die Theater, den Apollosaal und die Tanzsäle in St. Pauli, die „Neue Dröge“ und das „Joachimsthal“ besucht haben. Ein weiterer Chronist dieser Zeit erwähnt drei öffentliche Tanzsäle, die nicht nur von Bürgerlichen, sondern auch von Prostituierten frequentiert wurden: der Tanzsaal von Dorgerloh, das Lokal von Peter Ahrens und die „Bacchus-Halle“ von Hanssen.

„Wir besuchten an einem Sonntage den dorgerlohschen Saal. Hier fanden wir wohl an die tausend Personen, worunter wenigstens dreihundert Freuden-Mädchen waren. (…)Wir bemerkten verschiedene junge Burschen von 12 – 16 Jahren, wovon einige noch schüchtern und andere schon beherzter die Aufmunterungen der Mädchen erwiderten; mehrere sahen wir nach geendigten Tanze mit den Dirnen den Saal verlassen. Was uns aber am meisten empörte, war der Anblick mehrerer Mütter aus dem Mittelstande, die im Kreise ihrer zum Theil unerwachsenen, zum Theil schon mannbaren Töchter hier saßen, dem Tanze mit Vergnügen zusahen und es sogar zuweilen erlaubten, dass diese sich mit den Freudenmädchen in einer Colonne zum Walzen stellen durften!“

(Zitat aus: Pabel Reinhold, 1996 : 207/8)

Zwischen 1806-1814 führten die Franzosen, um die Gesundheit ihrer Truppen zu gewährleisten, eine mit Frankreich vergleichbare Reglementierung der Prostitution ein. Wegen der ansteigenden Zahl von geschlechtskranken französischen Soldaten, wurde die alle acht Tage stattfindende ärztliche Untersuchung eingeführt. Der mit der Prostituiertenuntersuchung beauftragte sogenannte „Ratschirurg“, war zu dieser Zeit kein akademisch ausgebildeter Mediziner, sondern gehörte der Zunft der Barbiere und Wundärzte an. Diese Verordnungen wurden nach dem Abzug der französischen Truppen beibehalten, aber legerer gehandhabt. 1833 gab es in Hamburg bereits 113 Bordelle mit 569 Freudenmädchen, was 1834 zu einem Senatserlass mit reglementierenden Vorschriften führte, in denen ab sofort von den Bordellwirten eine Konzession verlangt wurde und die Prostituierten in ihren persönlichen Freiheiten erheblich eingeschränkt wurden. (z.b. das Verbot des Zutritts des 1. und 2. Ranges des Stadttheaters) Außerdem wurden die Frauen in ihrer Tätigkeit in drei verschiedene Klassen eingeteilt, nach denen sich die Höhe der Abgaben richtete, die sie an die Stadt zu zahlen hatten.

In der Zeit in der die Prostitution förmlich nicht anerkannt war, hat es dementsprechend auch keine regelmäßige amtsärztliche Untersuchungen der Frauen gegeben. Allerdings beauftragten die Bordellwirte bis zum Beginn des19.Jh. Privatärzte mit der periodischen Untersuchung der Dirnen. An diese Art der Selbsthilfe knüpfte die Amtsverordnung von 1807 an, die die Bordellwirte verpflichtete die Frauen auf ihren Gesundheitszustand untersuchen zu lassen. Im Jahr 1850 gingen die polizeiärztlichen Funktionen des „Ratschirurgen“ auf einen Vollarzt über. Die ärztlichen Untersuchungen wurden damals erschwert durch den Lichtmangel vieler Prostituiertenwohnungen. Auch in den Bordellen soll kaum genügend Beleuchtung vorhanden gewesen sein und in vielen Lokalen mussten die Fenster verhängt werden, damit die Nachbarschaft nicht am Geschäft teilnahm. Außerdem waren die Wege zwischen der Vielzahl der Bordelle und den Wohnungen der Prostituierten in der Alt-und Neustadt für den Amtsarzt sehr zeitraubend. Von der Einrichtung zentraler Untersuchungslokale sah man aufgrund der hohen Zahl der zu untersuchenden Frauen und der daraus möglichen resultierenden Reaktion der Öffentlichkeit, ab. So der oberste Polizeiherr:

“ Welchen Anstoß für das Publicum würde es geben, ganze Schwärme von Mädchen zu solchem Zweck über die Gassen in dazu eigens acquirierte Locale ziehen zu sehen. Die Möglichkeit, daß es einzelnen Localen der Wirthe oder Mädchen an der zur Untersuchung nöthigen Helle mangeln möchte, kann eine solche Maßregel nicht rechtfertigen. „

(Zitat, Urban Alfred, 1927: 69)

Im Zeitraum 1846 bis 1876 waren die zahlreichen Bordelle in der Alt- und Neustadt nicht auf wenige Straßen zusammengedrängt, sondern über das ganze Stadtgebiet verteilt. Einige Straßen allerdings fielen durch die Konzentration von Bordellwirtschaften aus diesem Muster heraus. So der Dammthorwall (1846 mit 16 Bordellen in denen 40 Prostituierte lebten, zu 30 Bordelle mit 98 Frauen im Jahr 1871), der Dovenfleth (1846 mit 8 Bordellen und 25 Frauen, zu 12 Wirtschaften mit 45 Prostituierten im Jahr 1871), die Klefekerstraße (1846 – 5 Bordelle mit 15 Frauen, zu 15 Bordelle im Jahr 1871 mit 81 Frauen), die Schwiegerstraße (9 Bordelle mit 32 Prostituierten zu 14 Bordelle mit 35 Frauen in den gleichen Jahren) und die Gänge Rademachergang (5 Bordelle mit 14 Frauen zu 8 Bordelle mit 57 Frauen) und Specksgang (3 Bordelle mit 10 Frauen zu  17 Bordellen mit 81 Frauen).

Buhr Emmy, 1920, „1000 Jahre Hamburger Dirnentum“,  Elbe-Verlag Hamburg

Detlefs Gerald, 1997, „Frauen zwischen Bordell und Abschiebung“, Roderer Verlag, Regensburg

Dofour Pierre, 1995,  „Die Weltgeschichte der Prostitution“, Reprint, Band 2, , Eichborn Verlag, Frankfurt am Main

Kahmann Jürgen, Hubert Lanzerath, 1981 , „Weibliche Prostitution in Hamburg“, Kriminalistik Verlag, Heidelberg

Pabel Reinhold : 1996, „Hamburger Kulturkarussell“, Wachholtz Verlag, Neumünster

Plagemann Volker (Hg), 1984, „Industriekultur im alten Hamburg“, C. H. Beck, München

Schubert Dirk, Hans Harms (Hg.), 1993, „Wohnen am Hafen“, VSA-Verlag, Hamburg

Schuster Beate, 1995, „Die freien Frauen – Dirnen und Frauenhäuser im 15. und 16. Jh.“, Campus Verlag, Frankfurt, New York

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

Bordellwirte und Verschickefrauen

Schon früh haben in Hamburg sogenannte „Verschickefrauen“ als Kupplerinnen und Wohnungsvermittlerinnen für Prostituierte eine Rolle gespielt. Sie hatten neben den Bordellwirten im Rahmen der behördlichen Kontrollmaßnahmen eine wichtige Funktion. Sie hatten die Aufsicht über den geregelten Austausch der „öffentlichen Mädchen“ zwischen den Hamburger Bordellen. Nach einer Verfügung des Hamburger Patronats hatte der Wechsel einer Frau in ein anderes Bordell ausschließlich über die Vermittlungsinstanz der Verschickefrauen stattzufinden. Diese Frauen waren sittenpolizeilich kontrolliert und zugelassen. 1859 setzte die Polizeibehörde eine bis 1876 gültige „Taxe der Verschickefrauen“ fest. Der direkte Austausch und das Abwerben von Prostituierten direkt zwischen den Bordellwirten war behördlicherseits unerwünscht.

„Die Besorgung von öffentlichen Mädchen für die einzelnen Bordelle wird durch vom Staate tolerierte Kupplerinnen vermittelt, an die sich die Wirthe deßhalb wenden. Conveniren ihnen die von der Kupplerin proponirten Dirnen, so werden sie erst ärztlich untersucht, und nach erlangten Gesundheitsschein auf der Polizei dem Wirthe zugeschrieben, der dann verpflichtet ist, etwaige Schulden des Mädchens zu tilgen.“

Zitat (Urban Alfred, 1927: 32)

Die Situation der registrierten Prostituierten war durch eine massive persönliche und materielle Abhängigkeit vom Bordellwirt gekennzeichnet und die Festschreibung des sozialen Stigmata durch die Sittenpolizei machte es den Frauen schwer ins „normale“ Leben zurückzukehren. Die Bordellwirte, zumindestens die erfolgreichen unter ihnen, waren ihres Berufes weit weniger stigmatisiert als die Prostituierten, denen sie ihr Einkommen verdankten. Sie sollen in weiten Kreisen gesellschaftlich akzeptiert gewesen sein, waren Mitglieder von Bürgervereinigungen und Casinos, zeigten sich im Theater und luden zu aufwendigen Feierlichkeiten in ihren eigenen Etablissements ein. Es gab unter den Bordellwirten nicht nur Männer, sondern auch Frauen. So wurden in einer Liste aus dem Jahr 1841 13 Wirte und 7 Wirtinnen aufgeführt. Die Bordellwirte konnten, behördlich genehmigt, für die Gewährung von Kost und Logis, die Hälfte der Einnahmen der Frauen berechnen. Die andere Hälfte der Einnahmen diente „zur Abtragung der Schuld und Behütung anderer Kosten“. So lieferte der Wirt den Frauen die Kleider ohne dafür eine detaillierte Rechnung aufzusetzen und notierte statt dessen die Totalsumme der monatlichen Gesamtschulden, wenn die Einnahmen der Prostituierten anstiegen, erhöhte man dementsprechend proportional die für sie aufgewendeten Ausgaben, indem teurere Stoffe, Kleider und Toilettenartikel angeschafft wurden, so dass es den Frauen selten gelang sich schuldenfrei zu arbeiten. Die gewöhnliche Schuldenlast einer registrierten Prostituierten, beispielsweise in einem Bordell in St. Pauli, belief, sich auf eine Summe von 2-300 Mark, die aber bis zu einer Höhe von 1000 Mark ansteigen konnte. Die Polizei hatte zu dieser Zeit ein klares Interesse an dem Bestand der sittenpolizeilich kontrollierten Bordelle und der dort betriebenen Schuldenwirtschaft, da sich so die Kontrollmöglichkeiten über die Frauen ausweiten ließen und sie so die heimliche Prostitution einzudämmen versuchte.

Zum Vergleich: 1848 ging der Hamburger Senat davon aus, dass die Lebenserhaltungskosten eines alleinstehenden Arbeiters „geringerer Classe“, etwa fünf bis sieben Mark in der Woche betrugen. In der Jahrhundertmitte sollen zwischen 2 Drittel und 3 Viertel der Erwerbstätigen in Hamburg weniger als 500 Mark im Jahr verdient haben.

Eine Möglichkeit sich den Zwängen der registrierten Prostitution zu entziehen, war die Flucht aus dem Bordell. So soll es allein im Jahr 1858   28 Frauen gelungen sein ihr Bordell  heimlich zu verlassen. Eine weitere Möglichkeit aus dem System auszusteigen stellte die Heirat dar. Der heiratswillige Mann musste mit 75 bis maximal 150 Mark die betreffende Frau aus dem Bordell auslösen um ihre Schuldenlast zu tilgen. Erst unter dieser Vorraussetzung gestatten die Hamburger Behörden die Heirat.

Detlefs Gerald, 1997, „Frauen zwischen Bordell und Abschiebung“, Roderer Verlag, Regensburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg


Reglementierte und  heimliche Prostitution

Die sich heimlich prostituierenden Frauen besaßen gegenüber den Eingeschriebenen einen größeren individuellen Spielraum, wenn sich auch das mit dieser Form der Prostitution herausbildende Zuhälterwesen oft zu einer neuen Form der Unterdrückung entwickelte. Laut Polizeibehörde waren im Jahr 1875 fünf, im Jahr 1891 bereits 53 Männer wegen des Verdachts der Zuhälterei verhaftet worden. Im Jahr 1896 waren der Kriminalpolizei 404 Männer als Zuhälter aktenmäßig erfasst.

Für Frauen von außerhalb, die nach Hamburg zuzogen, gab es in der ersten Hälfte des 19.Jh. vor allem im Dienstleistungsbereich der Hausarbeit Anstellungsmöglichkeiten. 1867 arbeiteten im Durchschnitt von 100 beschäftigten Frauen 53 im häuslichen Dienst, aber bereits 33 im Gewerbe und in der Industrie. Frauen, die in Hamburg heimisch waren, fanden in der Regel bessere Arbeit als eine Anstellung als unterprivilegiertes und schlechtbezahltes Dienstmädchen, so dass die bürgerlichen Haushalte gemeinhin Frauen vom Land in ihren Dienst nahmen, da sie allgemein niedrigere Ansprüche hatten. Eine ähnliche Tendenz zeichnete sich bei den in Hamburg registrierten Prostituierten ab. Nur wenige Hamburger Frauen waren bereit sich den derartigen Zwangsverhältnissen der Reglementierung zu unterwerfen, so dass ein Großteil der kasernierten Frauen von außerhalb von Hamburg kamen. Sie sollen um 1840 vor allem aus dem Königreich Hannover, aus Preußen, Holstein, Mecklenburg und dem Herzogtum Braunschweig gekommen sein.

Bis zur Mitte des 19.Jh. nahm die Zahl der Prostituierten kontinuierlich zu: 1833 gab es in Hamburg 113 Bordelle mit 569 Freudenmädchen, 1863 waren es 180 mit insgesamt 1047 Prostituierten. Erschwert wurde die sittenpolizeiliche Kontrolle durch den häufigen Adresswechsel der Prostituierten. In Hamburg wurden jedes Jahr über tausend Adressänderungen registriert. Im Jahr 1863 waren dies 1646, drei Jahre später 1294. Also zog in diesem Zeitraum jede offiziell registrierte Prostituierte im Durchschnitt im Jahr zweimal um. Zudem meldeten sich viele Prostituierte ab, weil sie eine andere Arbeit aufnahmen. Im Jahr 1862 wurden in Hamburg 610 neue Prostituierte ins Register eingeschrieben und 573 Frauen wurden gestrichen.  Auch die heimliche Prostitution wuchs im gleichen Maße und stieg ab 1890 erheblich an. Nach einer Schätzung der Hamburger Polizei von 1895 betrug die Zahl der Frauen, die heimlich der Prostitution nachgingen ca. 3000- 4000. Zur gleichen Zeit waren ca. 1000 Frauen registriert.

Um die enorme Anzahl von Bordellen und Prostituierten in der Vergangenheit Hamburgs verstehen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass infolge der Zuwanderung die Innenstadt Hamburgs mit den damals noch existierenden Gängevierteln und der Altstadt dicht bewohnt war. Die Bevölkerung Hamburgs, zusammen mit seinen Vorstädten, verdoppelte sich zwischen 1806 und 1860 von rund 100 000 auf fast 200 000 Einwohner. Eine Tendenz, die sich in der 2. Hälfte des 19. Jh. noch weitaus stärker fortsetzen sollte. Im Jahr 1867 wohnten noch 59,4% der hamburgischen Bevölkerung, 155734 Personen, in der Alt- und Neustadt. Der Hamburger Hafen mit seinem enormen Schiffs- und Transportaufkommen an Menschen und Waren war direkt in das Stadtgeschehen eingebunden und bot bis ins letzte Jahrhundert eine Vielzahl von Menschen Arbeitsmöglichkeiten, außerdem war Hamburg neben Bremen die Drehscheibe für die Ströme von Auswanderern nach Amerika.

Urban schätzte die Zahl der heimlichen Prostitution im Jahr 1868 auf 1690 Frauen, was 1,2% der damaligen weiblichen Stadtbevölkerung entsprochen haben soll. Ab ca. 1869 ging die Polizei zu Zwangseinschreibungen über, während früher die freiwillige Meldung der Frauen zur Registrierung über das System der Bordellwirtschaft als Kontrollmaßnahme genügte. Immer mehr Frauen, die der Prostitution nachgingen, scheinen sich als Näherinnen, Putzfrauen, Schneiderinnen, Friseusen, etc. bei den Behörden angemeldet zu haben, um ein freies Leben führen zu können, so dass die Polizei dazu überging Sittenzeugnisse aus dem Heimatort der Frauen anzufordern. Ab 1870 wurde die einmonatliche, ärztliche Zwangsuntersuchung auf ehemals registrierte Frauen, deren Eintrag als getilgt galt und Frauen, die andernorts unter sittenpolizeilicher Kontrolle gestanden hatten, ausgedehnt. Im Jahr 1871 waren konzessionierte Bordelle in über 66 Straßen der inneren Stadt verbreitet, die durchwegs von normalen Wohnhäusern umgeben waren. Den registrierten Prostituierten in den Bordellen war es verboten sich nach 23 Uhr abends ohne männliche Begleitung außerhalb ihrer Wohnung aufzuhalten. Außerdem war ihnen das Betreten bestimmter Straßen, insbesondere die in der Umgebung der Binnenalster liegenden, ganz oder zu bestimmten Zeiten verboten. Am häufigen Ausgehen wurden sie vom Bordellwirt gehindert, dessen Erlaubnis, so vorschriftsmäßig festgelegt, sie vor jedem Ausgang einzuholen hatten.

Detlefs Gerald, 1997, „Frauen zwischen Bordell und Abschiebung“, Roderer Verlag, Regensburg

Evans Richard J, 1997, „Szenen aus der deutschen Unterwelt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Plagemann Volker (Hg), 1984, „Industriekultur im alten Hamburg“, C. H. Beck, München

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

Das Hamburger Reglement über die „erleichterte“ sittenpolizeiliche Aufsicht aus dem Jahr 1909

„§2.  Die der erleichterten sittenpolizeilichen Aufsicht unterstellten Frauenzimmer haben sich sofort nach Stellung unter Polizeiaufsicht durch den Polizeioberarzt oder dessen Stellvertreter und demnächst nach näherer Anordnung durch die Polizeibehörde regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen zu unterwerfen.

§3.  Zu allen Untersuchungen haben sie nüchtern, in reinlichen Kleidern und mit reingewaschenem Körper zu erscheinen.

§4.  Falls der Arzt Krankenhausbehandlung verfügt, sind sie gehalten, sie der Überführung in das von der Behörde bestimmte Krankenhaus zu fügen (…) Während des Krankenhausaufenthaltes haben sie den Anordnungen der Ärzte und Beamten der Anstalt, sowie den Anordnungen des Pflegepersonals Folge zu leisten, sich ruhig und gesittet zu benehmen  und die Vorschriften der Hausordnung zu beachten. Das Mitbringen, die Annahme und der Gebrauch von Blumen, Büchern, Eßwaren, Getränken und von Tabak ist ohne Genehmigung des Arztes verboten.

§6.  Sie haben sich im Bureau der Sittenpolizei, wenn sie Hamburg dauernd oder vorübergehend verlassen wollen, vor 11 Uhr vormittags persönlich abzumelden. Die Rückkehr nach Hamburg ist binnen 24 Stunden persönlich auf dem Bureau der Sittenpolizei zu melden.

§7.  Dem zur Besichtigung ihrer Wohnung erscheinenden Polizeibeamten haben sie sofort Einlaß zu gewähren.

§10. Es ist ihnen verboten,
(1)in einem Hause zu wohnen, das die Polizeibehörde als für sie zur Wohnung ungeeignet bezeichnet, in einem anderen Hause als in ihrer Wohnung zu übernachten, mit Männern zu verkehren oder sich obdachlos herumzutreiben;
(4)in dem von ihnen bewohnten oder in einem anderen Hause sich am Fenster oder an der Haustür zu zeigen oder durch Anklopfen, Anrufen oder auf andere Weise zu versuchen, Männer anzulocken;
(7)sich von 11 Uhr abends bis 6 Uhr morgens an einem anderen Orte als in ihrer Wohnung aufzuhalten,
(8)die Straßen und Plätze: Alter Jungfernstieg, Neuer Jungfernstieg, Alsterdamm, Neuer Wall, Alter Wall, Reesendamm, Rathausmarkt, Burstah, Adolphsplatz, Große Johannisstr., Mönckebergstr., Steindamm, Reeperbahn, Spielbudenplatz, Dammthorstr., Harvestehuder Weg, an der schönen Aussicht, Schwanenwick, an der Alster und die Wallanlagen zu betreten;
(9)das Stadt-, Thaliatheater und das Deutsche Schauspielhaus, das Hansatheater, im Carl-Schultze-Theater und Hamburger Operettentheater die Fremdenlogen, Parkettlogen und Sperrsitze, im Neuen Operetten Theater die im ersten Rang befindlichen Plätze, die Museen, den Zoologischen und Botanischen Garten, das Velodrom, bei Rennen andere Plätze als zweite Tribüne und Fußgängerplatz, in den Zirkussen die logen, Balkons und Sperrsitze, die Veranstaltungen des allgemeinen Alsterclubs, insbesondere die Regatten, die öffentlichen Konzerte und Tanzlokale (außer dem Neustädterstr. 25 und Mohlenhofstr. 10 gelegenen) zu besuchen;
(11)in offenem Wagen zu fahren;
(12)in hiesigen Badeanstalten andere als für einzelne Badende eingerichtete Kabinette, namentlich die Schwimmbassins, zu benutzen;

§12.  Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschriften werden auf Grund §361 Z.6 und §362 StGB mit Haft bis zu 6 Wochen und Überweisung an die Landespolizeibehörde behufs Unterbringung in ein Arbeitshaus bis zu 2 Jahren bestraft.“


Mädchenhandel – Kampagnen und Wirklichkeit

Wenn man den Umstand berücksichtigt, das nur wenige heimische Frauen bereit waren sich der Reglementierungspraxis der Sittenpolizei zu unterwerfen, ist es anzunehmen, dass das Hamburger Bordellsystem den Frauenhandel begünstigte, der laut Polizei- und Presseberichten, ab der 2. Hälfte des 19. Jh. vor allem mit Frauen aus Polen und Österreich-Ungarn einen beträchtlichen Umfang annahm. Die Duldung des Frauenhandels war sozusagen für den Bestand der konzessionierten Bordelle notwendig, wenn man nicht der privatwirtschaftlichen und individuell- heimlichen Prostitution das Feld überlassen wollte. In den 90er Jahren des 19.Jh. stieg die Kuppelei und der damit verbundene Menschenhandel, vor allem mit Ausländerinnen aus Böhmen und Ungarn, an. Im Mai 1894 befanden sich 231 Frauen aus Österreich-Ungarn in Hamburger Bordellen und Hamburg soll darüber hinaus auch als Drehscheibe für den Mädchenhandel fungiert haben. Aufgrund dieser Verhältnisse wandte der österreich-ungarische Generalkonsul sich an die Polizeibehörde, die daraufhin viele seiner Landsfrauen, die in den Hamburger Bordellen arbeiteten, ausweisen lassen musste. 1876 waren 92 Bordellfrauen ausländischer Herkunft, 1992 bereits 357. 1896, dem Jahr der massenhaften Ausweisung, nur noch fünf.

Ein nicht unbedeutender Prozentsatz der Frauen, die auf fingierte Heiratsversprechen hereinfielen, stammte aus der jüdischen Population Osteuropas. Dies hatte neben der dortigen Massenarmut seine Gründe in den ostjüdischen Ehegesetzen, die nicht vorsahen eine religiöse Trauung standesamtlich bestätigen zu lassen. Eine Heirat galt als vollzogen, wenn das Paar vor mindestens 2 Zeugen die Ehe einging. Ein Heiratsschwindler konnte davon ausgehen, das ein so geschlossener Ehevertrag im Ausland nicht rechtskräftig war. In den heimatlichen Dorfgemeinden war die so geschlossene Ehe umso verbindlicher. Im Falle einer Trennung durfte die Frau nur dann ein weiteres Mal heiraten, wenn ihr vorheriger Mann einen Scheidungsbrief unterzeichnete oder wenn es eine verbürgte Bestätigung für seinen Tod gab. Viele Frauen, die sich in so einer Notlage befunden hatten, sollen gefälschte Scheidungsbriefe angeboten worden sein. Diese Umstände schufen ein ideales Rekrutierungsfeld von Frauen, die dann – einmal in Abhängigkeit gebracht – den Nachschub für die einschlägigen Etablissements in den westeuropäischen Großstädten lieferten.

„Die ungeheure Ausdehnung des Mädchenhandels ist erst erkannt worden, nachdem auf Anregung Englands in den meisten Kulturstaaten Komitees zur Bekämpfung desgleichen gegründet worden sind. Wie im Viehhandel spricht man beim Mädchenhandel von üblichen Preisnotierungen und Zutreibergebühren. Es gibt sogar besondere telegraphische Verständigungen, wie fünf Faß feurigen Ungarwein, oder vier Ballen französische Seide, womit jedes Mal lebendiges Menschenmaterial gemeint ist. Für Deutschland ist der Preis im Binnenverkehr für schon prostituiert Gewesene M20 bis M 25. Die Grenzkommission in Beuthen hat festgestellt, dass alljährlich Tausende von Mädchen aus Russland und Polen verschickt werden, für die bis zu 1000 Rubel bezahlt werden. (…) Besonders Gegenden in denen Not und Dummheit herrschen, werden von den Händlern, die meist ein sehr vornehmes Auftreten haben, heimgesucht. Sie werben entweder für einen Freund in Südamerika oder lassen sich sogar selbst mit den Mädchen treuen. (…).  Die Liste des internationalen Kommitees zählt jetzt 1500 Namen von Mädchenhändlern, unter denen eine sehr scharfe Konkurrenz besteht. Sogar Frauen sind an diesem Handel beteiligt. Die Summen die die Händler verdienen sind sehr bedeutend. So wurde in Chikago ein Ehepaar mit 20 Mädchen abgefasst, das auf eine Kaution von M 106 000 freigelassen wurde und diese Kaution ruhig im Stich ließ, weil es im Jahre 1907, wie die Bücher auswiesen M 410 8000 verdient hatte und im ersten Vierteljahr 1908 allein M164 000“

Hamburger Echo, Nr.283, 3.12.1911, „Die Sanierung der Altstadt und der Mädchenhandel“

Auch August Bebel, einer der damaligen Wortführer der Sozialdemokratie nutzte dieses Thema und die Umstände des Hamburger Bordellsystems, um im Reichstag gegen den politischen Gegner zu polemisieren.

„Deutschland genießt mit den traurigen Ruhm, Frauenmarkt für die halbe Welt zu sein.(…) Der Weg, den diese Mädchen nehmen, läßt sich ganz genau verfolgen. Von Hamburg werden dieselben nach Südamerika verschifft, Bahia, Rio de Janeiro erhält seine Quote, der größte Teil aber ist für Montevideo und Buenos Aires bestimmt, während ein kleiner Rest durch die Magellanstraße bis Valparaiso geht. Ein anderer Strom wird über England oder direkt nach Nordamerika dirigiert, kann aber hier nur schwer mit dem einheimischen Produkt konkurrieren, er verteilt sich daher den Mississippi hinab bis nach New Orleans und Texas oder gen Westen nach Kalifornien. Von dort wird die Küste bis Panama hinunter versorgt, während Kuba, Westindien und Mexiko ihren Bedarf von New Orleans beziehen.“

August Bebel – „Die Frau und der Sozialismus“ – 62. Auflage, Berlin/DDR, 1973, S. 207-242. Zwölftes Kapitel,  „Die Prostitution – eine notwendige soziale Institution der bürgerlichen Welt“      http://www.mlwerke.de/beb/beaa/beaa_207.htm


Die Kampagnen gegen den internationalen Mädchenhandel – im englischsprachigen Raum mit dem Schlagwort „white slavery“ belegt – wurde von vielen Frauenverbänden und der Sittlichkeitsbewegung initiiert und getragen. Diese Protestbewegung war durchzogen von einem religiösen Fundamentalismus, der seine wesentliche Aufgabe in einem Kampf gegen die Lockerung der Sexualmoral und der prosperierenden Vergnügungsindustrie sah. Die neu entstandene Vergnügungskultur gehörte zu den Feindbildern der Sittlichkeitsbewegung, mit der zeittypischen Polemik gegen die Varietes, Kinos, Kneipen und Kabaretts ging die Botschaft einher, dass junge Frauen, die alleine in die Stadt zogen dem Risiko des sexuellen Missbrauchs ausgesetzt waren, solange sie nicht mehr oder noch nicht unter dem Schutz des Vaters oder Ehemanns standen.

Auslösendes Element dieser Debatte waren Reportagen von englischen und amerikanischen Journalisten wie William Thomas Stead. Dieser veröffentlichte 1885 eine Reportagenserie mit dem Titel „The Maiden Tribute of Modern Babylon“ in der Londoner „Pall Mall Gazette“, nachdem er im Auftrag eines Sittlichkeitsvereins Hinweisen auf systematischen Kindesmissbrauch nachgehen sollte. Josephine Butler, eine bekannte englische Frauenrechtlerin, stellte für den Journalisten den Kontakt zu einer ehemaligen Prostituierten her, die ihrerseits Stead mit einer der Hauptprotagonistinnen der 1885 publizierten Skandalgeschichte bekannt machte – der 13-jährigen Eliza Armstrong. Als Freier getarnt machte er mehrere Bordelle ausfindig, die auf die kommerzielle Defloration spezialisiert waren, die ein weitverzweigtes ökonomisches Netzwerk – vom bestochenen Polizisten, bis hin zur zahlenden Kundschaft, die sich zum Teil aus adeligen und großbürgerlichen Kreisen zusammensetze – offenbarte. Infolge des Skandals, die diese im Stil von „true crime-stories“ verfassten Artikeln auslösten, kam es im Londoner Hyde Park zu einer riesigen Protestkundgebung an der sich ca. 250 000 Menschen beteiligt haben sollen. Sittlichkeitsverbände nutzten die Stimmung der aufgebrachten Öffentlichkeit um Music-Halls, Theater, Buchläden und die Kneipenkultur zu attackieren. Aufgrund dieses öffentlichen Druckes verabschiedete das englische Parlament noch im gleichen Jahr den „Criminal Law Amendent Act“ der die Mündigkeit für Mädchen von 13 auf 16 Jahren heraufsetzte. Außerdem wurden bei dieser Gelegenheit homosexuelle Beziehungen zwischen Männern unter Strafe gestellt.

William Steads Recherchen zu folge waren die meisten Londoner Mädchen damit einverstanden sich gegen Geld entjungfern zu lassen. Seine Reportagen stellen aber in erster Linie die Fälle in den Mittelpunkt, in denen Zwang angewendet wurde, es also zu Vergewaltigungen gekommen war. Sein Text beschäftigt sich detailliert mit der damit zusammenhängenden sadistischen Inszenierung und befriedigt so nicht nur die Sensationslust seiner Leserschaft, sondern weist zum Teil pornographische Züge auf. Das Thema „White Slavery“ war nicht nur Zielscheibe sittlicher Empörung, sondern auch Gegenstand der Massenunterhaltung und bediente das Interesse des Publikums an „Sex & Crime“ und verschaffte ihm sonst tabuisierte Einblicke in die Subkultur der Prostitution und einem ganzen Spektrum von Sexualpraktiken

Das Thema Mädchenhandel eignete sich aufgrund seiner Skandalisierung bestens als Kinostoff und entwickelte sich zu einem regelrechten Subgenre. Die Geschichte des unbescholtenen Landmädchens, welches in der Großstadt auf einen unmenschlichen Zuhälter hereinfällt und von diesem in die Prostitution gezwungen wird, wurde erstmals 1907 mit dem dänischen Film „Den hvide Slavinde“ des Regisseurs Viggo Larsen einem größeren Publikum unterbreitet. Der Film war außerordentlich erfolgreich und begründete (neben den Filmproduktionen mit Asta Nielsen) den Ruf Dänemarks als liberale Kulturnation. Bis 1914 sollen in Dänemark ca. 50 weitere Filme des gleichen Sujets produziert worden sein. Hauptabnehmer dieser Serienproduktion waren die Kinos in Deutschland. Für einen noch größeren kommerziellen Erfolg und dementsprechenden Folgeproduktionen sorgte der 1913 produzierte Film „A Traffic in Souls“ von David W. Griffith in den USA. In deutschen Studios wurde nach dem Ende des 1. Weltkrieges eine Reihe ähnlicher Filme produziert von denen die bekanntesten „Die weiße Sklavin“ und „Das Schweigen der Großstadt“ gewesen sein dürften.

Aus der englischen Sittlichkeitsbewegung heraus entwickelten sich Initiativen um gegen den Mädchenhandel und gegen die Prostitution im allgemeinen auf internationalen Ebene vorgehen zu können. Zu ihren Leitfiguren gehörten neben William Stead, die Frauenrechtlerin Josephine Butler und der Schriftführer der „National Vigilance Association“ William Cote, der später Steads Privatsekretär wurde. Coote unternahm 1899 eine europäische Rundreise um die „First International Conference against White Slavery“ vorzubereiten. Infolge dieser Initiative entstand in Deutschland eine Initiativgruppe aus der das „Deutsche Nationalkomitee zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels“ hervorging. Den Vorsitz übernahm der evangelische Pfarrer Johannes Burckhardt, der bereits 1894 die erste Bahnhofsmission in Berlin gegründet hatte, die im Zuge des Aktionismus der Sittlichkeitsbewegung bald in jeder größeren Stadt zu finden waren. (Neben den evangelischen und katholischen Bahnhofsmissionen gab es auch eine ähnlich orientierte jüdische Bahnhofshilfe, die 1909 in 20 deutschen Bahnhöfen und Häfen präsent war) Die Gremien und Vorstände dieser Vereine konstituierten sich zum großen Teil aus dem protestantischen Bildungsbürgertum und gewannen zunehmend an Einfluss.

1905 auf dem 4. Deutschlandkongress waren 32 Verbände vertreten, auf der nachfolgenden Konferenz, zwei Jahre später, waren es bereits 55 Verbände. 1903 wurde eine „Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung des internationalen Mädchenhandels“ eingerichtet, die dem Berliner Polizeipräsidium angegliedert war. Zu ihr gehörten 15 Kriminalbeamte und 1 Wachtmeister. Auf die erste internationale Konferenz folgte die zweite 1902 in Paris, auf der bereits Regierungsvertreter aus 15 europäischen Ländern und Brasilien teilnahmen. Sie entwarfen ein Übereinkommen um gesetzgeberische und verwaltungstechnische Maßnahmen auf internationaler Ebene aufeinander abstimmen zu können. Das daraus resultierende Abkommen trat 1904 in Kraft.

Es gab zu dieser Zeit auch Vertreterinnen eines anderen Feminismus, wie den der militanten Suffragette Teresa Billington-Graig. Für sie stufte das in den Medien verbreitete White-Slavery-Script die Frauen zu geistig minderbemittelten Mitleidswesen herab. Billington-Graig machte es sich zur Aufgabe die Pressemeldungen über die Schicksale vermisster Mädchen, sowie die vielen Vermisstenanzeigen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Diese wurden u.a. von der „National Vigilance Asociation“ als Beweis für die Existenz internationaler Mädchenhändlerringe angeführt und lieferte genug Stoff um die Emotionalisierung der Debatte weiterbetreiben zu können. Im Rahmen ihrer Nachforschungen wurde deutlich, dass die maßgeblichen Organisationen dieser Kampagne, wie die „National Vigilance Asociation“ und die Heilsarmee keinen einzigen Fall nachweisen konnten, in dem eine Frau in ein ausländisches Bordell verschleppt worden war. Im deutschen Raum kamen kriminalistische Untersuchungen zu ähnlichen Ergebnissen. Deutlich zeigt sich an dem Thema Mädchenhandel, das ab 1900 von etlichen Organisationen und den Massenmedien als ein großes soziales Problem behandelt wurde, das die Verunsicherung breiter Bevölkerungskreise auf die neuentstehende Lebensformen in den Industriemetropolen durch eine unverhältnismäßige Skandalisierung des Themas im Sinne von konservativ-christlichen Moralisten kanalisiert wurde.

„Gibt es einen Mädchenhandel? (…) Ja! Wenn man damit die Vermittlung, Werbung und Verbringung von Mädchen durch bezahlte Agenten für ausländische (und inländische) Bordelle meint mit Kenntnis und Einverständnis der verbrachten Person selbst. Nein! (oder nur als außerordentliche Seltenheit) wenn man darunter – wie das große Publikum – die Verschleppung ahnungsloser Mädchen mit Gewalt oder List versteht, um sie im Ausland der Prostitution zuzuführen.“

Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld aus seinem Werk „Geschlechtskunde“ (1930/ Seite 436)

Jazbinsek, Dietmar,  „Der internationale Mädchenhandel – Biographie eines sozialen Problems“, Schriftenreihe der Forschungsgruppe „Metropolenforschung am Wirtschaftszentrum  Berlin für Sozialforschung, 2002

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Die Einschränkung des Hamburger Bordellwesens unter preußischer Einflußnahme

Bis zur Reichsgründung wurde der Umgang mit der Prostitution von jedem deutschen Land, bzw. Stadt selbstständig geregelt. 1871 vereinheitlichte das Reichsstrafgesetz mit dem Paragraphen §361 Nr.6 StGB sowie §180 und §181 StGB die Strafbestimmungen zur Prostitution. Danach war die registrierte Prostitution unter sittenpolizeilicher Aufsicht erlaubt, die Zimmervermietung an Prostituierte wie auch die Einrichtung von Bordellen war strafbar. Zum 1.September 1876 wurde nach vorangegangenen Rechtsstreit, dem Hamburg unterlag, durch eine Reichsintervention, dass polizeilich geduldete Hamburger Bordellwesen für nicht rechtmäßig erklärt. Die Polizeibehörde ordnete daraufhin die Aufhebung der Bordellwirtschaften an und nahm die erteilten Schankkonzessionen zurück. Die Häuser, in denen die Prostituierten nun wohnen und arbeiten durften waren allerdings keine anderen als die alten Bordelle, mit dem Unterschied, dass sich der Sprachgebrauch im Amtsdeutsch geändert hatte.

In Preußen war die Regulierung der Prostitution von 1794 bis Mitte des Jahrhunderts allgemeine Praxis. 1846 wurde die Regulierung aufgegeben und vom preußischen Strafgesetzbuch von 1851 außer Kraft gesetzt. Nach der Annexion Schleswig Holsteins durch Preußen nach dem Krieg von 1866 sollte dieses Strafrecht auch in Altona angewendet werden. Die Polizei in Altona hatte sich bis dahin an die Praxis des kontrollierten Bordellsystems des benachbarten Hamburgs gehalten und focht die preußische Praxis an und verlangte eine Fortführung der Regulierung, weil „die Ausweitung des Strafgesetzbuches auf Altona eigenthümliche Konflikte mit der örtlichen Polizei zur Folge hatte.“ (Evans J. Richard, 1997  : 286)

Aus den Bordellen wurden „Beherbergerhäuser“ und die Polizei unterließ es in Zukunft, sich in Streitigkeiten zwischen Wohnungsgebern und Prostituierten einzuschalten, sah die Verantwortung für die neuen Vorschriften teilweise bei den „Beherbergern“, also den Bordellwirten und überließ konkrete Rechtsstreitigkeiten der Kompetenz der Gerichte. An den bestehenden Arbeitsverhältnissen der Frauen veränderte sich nichts. Das Verbot des Getränkeausschankes wurde in den folgenden Jahren in Teilen immer mehr missachtet und schon um 1883 soll es die Regel gewesen sein, dass jedes „Beherbergerhaus“ einen Salon hatte in welchem die Prostituierten die Gäste zu reichlichen Alkoholgenuss zu animieren hatten und dabei auch viel mittrinken mussten. Vor allem nach der Polizeistunde, wenn normale Gaststätten schließen mussten, florierte das Geschäft mit dem Alkohol. Nichtsdestsotrotz ging in Konsequenz der neuen Gesetzeslage die Zahl der Bordelle zurück. In der Alt- und Neustadt gab es am 1. Januar 1876 noch 201 Bordelle, zwei Jahre später nur noch 167. Das Bordellgeschäft soll tatsächlich in erster Linie wegen dem Verbot des Ausschankes von Getränken zurückgegangen sein und sich zum Teil in die Tanz- und andere Vergnügungslokale verlagert haben. Die Gesamtzahl der kontrollierten Prostituierten nimmt im gleichen Maße ab, wobei in den Statistiken zwischen „streng- und leicht kontrollierten“ Frauen unterschieden wird.1876 waren es noch 1035, im Januar 1878,  816, davon 550 in Bordellen lebend und 227 in eigenen Wohnungen, die zusammen die Zahl der streng kontrollierten Frauen von 777 ausmachten, hinzukamen noch 39 „leicht“ kontrollierte Prostituierte. In St.Pauli existierten 1876 nur fünf Bordelle, ein Jahr später noch vier, mit 36 registrierten Prostituierten, während die Zahl der kontrollierten, alleinwohnenden Frauen im gleichen Zeitraum anstieg, wie sicherlich auch die Zahl der heimlichen Prostitution, da die Vorstadt St. Pauli mit seinen gut fluktuierenden Vergnügungsstätten die besten Voraussetzungen bot.


Bis ca. 1875 war das Bordellwesen in Hamburg sehr dezentralisiert, dann setzte allerdings im Zuge des preußischen Einflusses eine zunehmende Einschränkung und Zusammendrängung dieser Wirtschaften seitens offizieller Seite ein. In den Jahren 1876 bis 1879 verschwanden die Bordelle aus vielen Straßen der Innenstadt, so beim Alsterthor, Brauerknechtsgraben, Breiter Gang, Druvenhof, Ellernthorsbrücke, Hohler Weg, Niedernstraße, Paradieshof, Sägerplatz, Schauenburger Straße, Schlachterstraße und der Schmiedestraße. Eine einschneidende Veränderung im Hamburger Bordellwesen stellte das Abrechen der alten Bordellstraße Dammthorwall dar, die danach mit Amtsgebäuden bebaut wurde. Dort hatten ca. 30 Bordelle mit 120 Prostituierten existiert. Als Ersatz wurden in den folgenden Jahren die Straßen Ulricusstraße und Bei den Hütten mit einer Vielzahl von Bordellen belegt.

Im Jahr 1889 befanden sich die Hamburger Bordelle nur noch in 16 Straßen. In den folgenden Jahren, bis 1895 wurde das Gängeviertel der Neustadt von Bordellen geräumt (Amidammachergang, Ebräergang, Schulgang , Trampgang und Specksgang) Außerdem verschwanden die Wirtschaften in den Straßen Kleine Drehbahn, Valentinskamp, Pilatuspool und bei den Hütten. Einzig der Schaarhof wurde in dieser Zeit als Ersatz erstmals mit Bordellen belegt. Die Schützenstrasse wurde bei dieser Aufzählung erstmalig mit 2 Bordellen erwähnt. 1892 lagen bereits 9 Bordelle in dieser Straße, später deren 19.  Bei dieser Straße scheint es sich allerdings um einen Sonderfall gehandelt zu haben; in direkter Nachbarschaft und in der Nähe des Berliner Bahnhofes befand sich das St. Johanniskloster Jungfrauenstift, dessen Landgut der Hamburger Senat erwerben wollte und durch diesen Umstand das Kloster zum Verkauf zwingen und gleichzeitig zur Wertminderung des Grundstückes beitragen wollte. Dieser spezielle Fall wurde von August Bebel auf einem Parteitag, in der ein Antrag der Sozialdemokratie gegen das Bordellwesen besprochen wurde, zur Sprache gebracht. 1896 konzentrierten sich die Hamburger Bordelle nur noch auf wenige Straßen: den Großen Barkhof, 2. Brunnenstraße, Klefeckerstraße, Hinter der Markthalle, Schaarhof, Schützenstraße und die Schwieger- und Ulricusstraße. (die Heinrichstraße wird mit aufgezählt) Die Bordelle im Barkhof wurden 1907 wegen der Stadtsanierung in die Neue Springeltwiete verlegt und der Schaarhof 1908 abgebrochen. Ansonsten soll sich, laut Urban, bis zur offiziellen Aufhebung der Bordelle 1922  keine weitere Veränderung ergeben haben.

Im Zusammenhang mit den Ausführungen des sozialdemokratischen Abgeordneten August Bebel vor dem Reichstag, betreffend des Hamburger Bordellwesens und andererseits die Vorbereitungen für die sogenannte „Lex Heinze“, weswegen eine Untersuchung der Hamburger Prostitutionsverhältnisse durch Reichsinstanzen erwartet wurde, wurde die polizeiliche Überwachung der Bordellstraßen  ab der Mitte der 90er Jahre allgemein verschärft. Es wurde ein sittenpolizeilicher Patrouillendienst in der Zeit von 10.00 vormittags bis 12.00 nachts eingerichtet, mit dem Ziel das öffentliche Auftreten der Prostituierten vor den Häusern zum Zwecke der Kundenwerbung zu unterbinden.

Den Hintergrund für die Gesetzesveränderung, der sogenannte „Lex Heinze“, bildete ein Mordfall im Jahr 1891 in Berlin – vor allem der folgende Prozess fand ein enormes Echo in der Öffentlichkeit. Der Zuhälter Heinze und seine Frau, eine Prostituierte waren in eine Kirche eingebrochen und hatten dort den Nachtwächter ermordet. In dem späteren öffentlichen Prozess gaben beide freimütig zu, dass sie die Ehe nur aus reinen Geschäftsinteressen abgeschlossen hätten. Die Frau war bereits wegen 44 Verstößen gegen die Sittengesetze aktenkundig. Ihre Verteidigung im Gerichtssaal führten sie in einer milieubedingten Selbstsicherheit die die bürgerliche Öffentlichkeit schockierte. H. Heinze ließ sich ab und zu eine Flasche Champagner zur Stärkung kommen und seine Verteidigung wurde unter Beifall seiner Freunde und Bekannten geführt. Die Empörung war so groß, das der Kaiser im gleichen Jahr eine Proklamation herausgab in der er die Regierung aufforderte strengere Gesetze gegen Prostituierte und deren Anhang einzuführen. Gerade ein Jahr zuvor waren die Sozialistengesetze aufgehoben worden, worauf es dann zu vielen Demonstrationen und Massenversammlungen der Sozialdemokraten kam, die die Ängste des konservativen Bürgertums vor sozialer Unruhe schürten.  Der Berliner Autor Hans Ostwald bestritt seinerseits, dass die Zuhälter in Berlin zentrale Figuren der kriminellen Szene seien; – da, wenn sie ihre Kunden bestehlen würden, würden sie so ihre Kundschaft abschrecken und ihrem eigenen Geschäft schaden. Er beschreibt, dass viele Prostituierte sich einen Mann zum Schutz gegen die Sittenpolizei und zur Unterstützung ihres Geschäftes suchen würden und ihn sozusagen zu ihrem Zuhälter machen würden. Für viele dieser Männer war die Zuhälterei nicht ihr Hauptberuf, da sie nebenher oft in anderen, milieunahen Berufen ( z.b. in der Gastronomie und im Schaustellergewerbe) arbeiten würden.

Mit der Einschränkung und Konzentrierung des Hamburger Bordellwesens ging eine immer stringentere Reglementierung der erfassten Prostituierten einher. Seit dem Jahr 1876 war es ihnen verboten nach 23.00 Uhr auf den Straßen spazieren zu gehen und für die Umgebung der Börse und der Wall-, Alster- und Hafenpromenaden bestand ein vollständiges Straßenverbot, welches 1902 erheblich erweitert wurde. Außerdem bestand das Verbot andere Tanz- und Vergnügungslokale zu besuchen als die, in denen sie vom Bordellwirt mit Genehmigung der Polizei zugelassen waren. Dies waren das Ballhaus in der Neustädter Neustraße 25, das Geerz`sche Tanzlokal in der Altstädter Fuhlentwiete und in St. Pauli das Ballhaus Alcazar und die Elbhalle. Auch dieses Reglement wurde 1902 erheblich verschärft und ausgedehnt, bis dann 1907 den Prostituierten das Betreten aller Gastwirtschaften, Cafe`s, Konzert- und Gesangslokalen in der Stadt und in den Vororten komplett verboten wurde.  Ausnahmen bildeten weiterhin die Elbhalle, ein Lokal in der Neustädter Neustraße und ein Tanzlokal in der Molenhofstraße. Da viele der Frauen diese Reglementierungen nicht hinnahmen, kam es im Rahmen der strengeren Kontrollen zu einer Zunahme der verzeichneten Verwarnungen und Bestrafungen, die sich in den Statistiken niederschlugen.

Diese verschärften Reglementierungen führten dazu, dass sich immer mehr Frauen dem Modell der kasernierten Prostitution entzogen und sich heimlich prostituierten. Dies wird besonders am statistischen Material betreffend der Bordelle St. Pauli`s deutlich. So waren laut Amtszählung in St. Pauli seit 1870 durchschnittlich nie mehr als 100 Frauen kaserniert, 1907 dann 75 Frauen und 1919   72 Frauen, während in diesem Zeitraum der Hamburger Hafen, der Schiffs- und Fremdenverkehr, die ein bedeutendes Kundenpotential für die Prostitution stellten, einen enormen Wachstum verzeichneten. So stieg die Zahl der von See gekommenen Schiffe von 1880 mit deren 6024 auf 17 320 Schiffe im Jahr 1910 und die Zahl der bei der Fremdenpolizei angemeldeten Fremden wuchs von 134 868 im Jahr 1880 auf 480 872 im Jahr 1910. Bereits 1895 äußerte sich der damalige Chef der Hamburger Kriminalpolizei zu diesem Thema der Prostitutionsfrage:

„(…) dass in einer Stadt von der Größe und dem Fremdenzufluß Hamburgs die etwa 1000 eingetragenen Kontrollmädchen die Nachfrage auch nicht zum vierten Teile deckten und dass sich daher Privatunternehmen daneben ausgebildet haben.“

(Zitat aus: Urban Alfred, 1927 : 114)

Aufgrund der stadtplanerischen Maßnahmen und der restriktiven Vorgehensweise der Sittenpolizei  nutzten immer mehr Frauen die großen und eng beieinanderliegenden Tanz- und Vergnügungslokale St. Paulis um ihrem Gewerbe nachzugehen. In dem ersten Halbjahr 1898 wurden auf der Reeperbahn über 700 Frauen durch die Sittenpolizei verhaftet unter denen sich 300 Kontrollmädchen befunden haben, die aufgrund  Kontrollentziehung oder Umhertreibens bestraft worden sind. Genauso breitete sich in der Alt- und Neustadt Hamburgs zu dieser Zeit die freie Prostitution aus. So kam es 1898 zu einer öffentlichen Beschwerde von über 600 Anwohnern über die Verhältnisse in den Concerthallen in der Niedernstraße und Altstädter Fuhlentwiete, weswegen die Polizei die Überwachung dieser Gegend verschärfte. 1899 wurden dort über 750 Frauen wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Unzucht festgenommen. Zu dieser Beschwerde schrieb der Chef der Sittenpolizei:

„Es kann nicht außer Betracht bleiben, dass sich in der Altenstädter Fuhlentwiete früher Bordelle befanden und dass seit dem engen Zusammendrängen der Prostitution und seitdem die Behörde die strengste Abschließung der Kontrollmädchen durchführt, sittliche Uebelstände in anderer Form auftreten. Die vagierende Prostitution mehrt sich und sucht Männerbekanntschaften auf der Straße und in den Wirtschaften, während die kasernierte Prostitution zurückgeht.“

(Zitat aus: Urban Alfred, 1927 : 117)

In der Neustadt waren vor allem die Gängeviertel weiterhin für die Prostituierten anziehend. Es waren dort zwar alle der fast 100 Jahre existierenden Bordelle geschlossen worden, womit aber keineswegs die Prostitution aus den Gängen verdrängt wurde. Viele Prostituierte wohnten in den Vierteln und betrieben ihr Gewerbe von ihren Zimmern und den Gassen aus.

Evans Richard J, 1997, „Szenen aus der deutschen Unterwelt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

Die Prostitution in St. Pauli – Tanzlokale und „stille Wirtschaften“

In der Vorstadt St. Pauli war das Prostitutionswesen von der Stadt völlig getrennt und stand unter der Oberaufsicht des Landesherrn der Vorstadt, einem Mitglied des Hamburger Senats. Im Jahr 1838 gab es in St. Pauli 21 und in der Stadt 109 Bordelle, 1853: 15 zu 145, 1862: 10 zu 156 und 1875: 7 zu 192.  In St. Pauli war bereits sehr früh eine starke Zusammendrängung der registrierten Prostitution in wenige Bordellstraßen erkennbar, während in der Stadt Hamburg im Zeitraum 1853 – 1873 durchschnittlich 4-5 Frauen in einem Bordell untergebracht waren, waren es in St. Pauli im gleichem Zeitraum 14-15 Frauen. Die St. Paulianer Bordelle wurden von den Amtsärzten der Sittenpolizei auch von vornherein als Untersuchungslokale genutzt, während sich die Zwangsuntersuchungen der Frauen durch die Kontrollärzte sich in der Innenstadt Hamburgs weitaus schwieriger gestalteten, da viele der eingeschriebenen Frauen oft einzeln und weit gestreut in verschiedenen Wirtschaften wohnten und viele Lokalitäten in den Gängevierteln schwer zugänglich waren und nicht über ausreichend Licht verfügten. Die Untersuchungen lagen bereits seit 1820 bei einem Vollarzt, so dass in St.Pauli alle Bordelle als Untersuchungslokale genutzt wurden.
Es gab in St. Pauli zwei Arten von Bordellen, die einen waren zugleich öffentliche Tanzlokale und die sogenannten stillen Wirtschaften ohne Tanz- und Musikerlaubnis. Die stillen Wirtschaften wiesen die gleiche Betriebsgröße auf wie die Bordelle in der Stadt, während diejenigen mit Tanzsalon eine weitaus größere Anzahl von Prostituierten aufwiesen. So wohnten von 186 Frauen, die 1846 in den 19 Bordellen von St. Pauli eingeschrieben waren, 131 in den sieben Wirtschaften mit angeschlossenem Tanzsaal.

Die lizenzierten Bordelle mit angeschlossenem Tanzsaal waren jahrzehntelang eine Spezialität St. Paulis und ein wesentlicher Faktor im Vergnügungsgewerbe der Vorstadt. Das bekannteste und größte dieser Lokale lag in der Davidstraße, der Tanzsaal „Zu den 4 Löwen“. Im Erdgeschoss der „4 Löwen“ befanden sich der Tanzsalon, die Küche und die Wohnung der Wirte. Das obere Stockwerk diente als Unterkunft für die Prostituierten, die in diesen Zimmern auch ihrem Gewerbe nachgingen. In diesen Tanzlokalen brauchte kein Eintritt gezahlt zu werden, aber für jeden längeren Tanz mit einer der Frauen mussten die Gäste um die 2 Schillinge als Lohn für die Musiker zahlen. Entsprechend der vielen Nationalitäten der Seeleute wurde ein breites Spektrum von Musiken und Tänzen gespielt. Aufgrund von politischen Druck und neuen Behördenauflagen zerbrach die traditionelle Symbiose von Prostitution und Gastwirtschaft mit Tanz und Alkoholkonsum. Die Wirte in der Davidstrasse hatten sich zu entscheiden ob sie Kneipiers bleiben wollten – dann mussten sie die Frauen außerhalb ihrer Räume ihr Geschäft nachgehen lassen oder sie verloren ihre Schanklizenz und wurden stattdessen zu Zimmervermietern.

Im Zeitraum 1850 – 1870 entstanden vor allem in St. Pauli sogenannte Cafe chantants mit weiblichen Gesangs- und Tanzkünstlerinnen, in denen häufig der heimlichen Prostitution nachgegangen wurde. Das Aufkommen dieser Gesangswirtschaften stellte die staatliche Bordellprostitution in St. Pauli in den Schatten, da die Männer die Atmosphäre mit Gesang und Tanz bei weitem bevorzugten. Ab 1890 breiteten sich die „Wiener Cafe`s“, Lokale größeren Stils, aus. 1899 gab es 33 dieser Lokale mit Nachtkonzession für alle Tage die Woche. Diese Cafe`s, wie auch die anderen Vergnügungslokale deren Anzahl und Größe stark angestiegen war, wurden von den Prostituierten zur Anbahnung von Geschäftskontakten gerne frequentiert. Manche dieser Läden entwickelten sich zu regelrechten Prostitutionsmärkten. 1898 hieß es, dass die „Großen Bierhallen“ am Spielbudenplatz zum „Rendezvous der Prostitution und des Louistums“ geworden seien. Aufgrund polizeilichen Drucks erteilte der Wirt den Prostituierten und ihren Zuhältern Hausverbot – mit der Konsequenz das seine Tageseinnahmen von bis zu 1000 Mark auf höchstens 250 Mark zurückgingen, da dort täglich 150 Prostituierte samt Anhang verkehrt hatten.

Barth Ariane, 1999, „Die Reeperbahn“,  Spiegel- Buchverlag, Hamburg

Detlefs Gerald, 1997, „Frauen zwischen Bordell und Abschiebung“, Roderer Verlag, Regensburg

Evans Richard J, 1997, „Szenen aus der deutschen Unterwelt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

Schlaf- und Heuerbasen in der Heinrichstraße (Herbertstr.)

Für Seeleute, die auf das Beladen ihrer Schiffe warteten oder eine Heuer suchten gab es in Hamburg, Altona und St. Pauli zahlreiche Logishäuser. Oft konnten sie sich dort bestimmt zu regulären und fairen Konditionen einmieten. In der Heinrichstraße, der späteren Herbertstraße in St. Pauli, bestand eine direkte Nachbarschaft zwischen mehreren, von Schlaf- und Heuerbasen betriebenen Logierhäusern für Seemänner und den stillen Bordellwirtschaften. Diese Straße wurde im Jahr 1797 gemeinsam mit dem umgebenden Straßennetz als enge Vorstadtstraße angelegt und 1801 als Heinrichstraße benannt. Sie verband die Davidstraße, die bereits nach 1800 als Matrosenquartier und Bordellstraße bekannt war mit der Gerhardstraße. Um 1800 herum war das Prostitutionsgeschäft noch deutlicher auf die Schifffahrt ausgerichtet und dementsprechenden saisonalen Schwankungen unterworfen. In der Herbstzeit herrschte Hochkonjunktur, da zu dieser Zeit die Schifffahrt beendet war und den Seeleuten ihre Heuer ausgezahlt wurde. In den übrigen Jahreszeiten war der Umsatz geringer, so dass die Wirte oftmals auch einen Teil ihrer Mädchen entließen. 1883 gab es 6 Bordelle in der Heinrichstraße, 2 Jahre später deren zehn. 1887 wurden die in der Straße gelegenen Logierhäuser in Bordelle umgewandelt, so dass die Strasse dann mit 20 Bordellen belegt war. Um die Jahrhundertwende wurde der konzessionierte Bordellbetrieb in St. Pauli in der Herbertstraße von der Stadtverwaltung zentralisiert um ihn aus der stark frequentierten Durchgangszone Davidstraße in eine Nebenstraße zu verlagern. Die Herbertstr hat ihren Namen seit 1922, die Tore zu beiden Seiten, die als Absperrung und Sichtblende fungieren, wurden während der Nazi-Zeit eingerichtet. Der Herbertstraße optisch ähnliche Gassen waren die kleine Marienstraße, Nähe Nobistor, die Ulricusstraße, die Winkelstrasse und der Kalkhof.

Die Logiswirte wurden „Schlafbaase“ genannt, oft waren sie gleichzeitig auch die „Heuerbaase“ und vermittelten den Matrosen eine neue Heuer. Dort traf man allerdings auch auf Verhaltensweisen seitens der Wirte die denen der Bordellwirte durchaus ähnlich waren. Die Seemänner wurden dauernd aufgefordert zu trinken, z.b. wenn ein neuer Kamerad kam, musste er eine Lage geben und die anderen zogen mit einer weiteren nach. Mädchen wurden ihnen durch die Wirte gegen Bezahlung vermittelt. Es kam desöfteren zu einer bewussten Verzögerung der Vermittlung zu einem neuen Schiff bis der Mieter kein Geld mehr hatte und auf Kredit leben musste und so in Abhängigkeit geriet. Was der Wirt oft zu überteuerten Preisen ausgelegt hatte, mussten die Matrosen von ihrem Vorschuss auf die Heuer zurückzahlen. Der Ausdruck „Seelenverkoper“ hat nichts mit dem Verkauf von Seelen zu tun, sondern bedeutet in Wirklichkeit „Zettelverkäufer“. Der Seemann bekam bei seiner Anmusterung einen Zettel mit der Angabe des Vorschusses, den er oft dem Wirt geben musste, der ihn dann wieder, wie eine Obligation, zu einem bestimmten Kurs weiterverkaufen konnte. Viele der Arbeitsverhältnisse des Hamburger Hafens waren zu dieser Zeit von der Vermittlung von Hafenkneipen und korrupten Wirten abhängig.  Ordentliche Lohnbüros wurden erst im Jahr 1897 eingeführt.

Weitere Möglichkeiten für Logis oder zumindestens für eine warme Mahlzeit boten konfessionelle und freie Wohlfahrtseinrichtungen auf St. Pauli, wie die „Seemannsruhe“ in der Bernhardt-Nocht-Straße (1881), das Seemannsheim am Pinnasberg (1887), die Herberge zur „Heimat“ in der Talstraße (1889/90), die Volkskaffeehallen und das Logierhaus „Concordia“ auf der Reeperbahn (1891, bzw.1894), die neben verschiedenen Ansätzen des Stiftungs- und Wohnungsbaus, wie bsp. In der Wohlwillstraße (Jägerpassage/1866-1873) die verstärkten Bemühungen des Bürgertums und der Kirche  um die sittliche, kulturelle und soziale Bildung der Arbeiterschaft zeigten. Noch existierende Beispiele sind die Schwedische und Finnische Seefahrtskirche(Dietmar-Koel-Straße) mit angeschlossenen Wohnheimen und das heutige Hotel Hafen Hamburg. Es wurde 1860 von den Reedern errichtet. Die moderne und relativ komfortable Unterkunft war jedoch gepaart mit einer strengen Hausordnung(feste Essenszeiten, kein Alkohol, kein Damenbesuch) und Bildungsprogrammen(gemeinsame Gottesdienste, Alphabetisierungskurse, Ausflüge nach Hamburg). Das erschien vielen Seeleuten wenig attraktiv, so dass es bald anders genutzt wurde, zuerst als Navigationsschule, dann als weitere Zweigstelle des Tropeninstitutes, bis es dann 1982 von Willi Bartels aufgekauft und in ein Hotel umgewandelt wurde.

Detlefs Gerald, 1997, „Frauen zwischen Bordell und Abschiebung“, Roderer Verlag, Regensburg

Ellermeyer Jürgen (Hg.) : 1986, „Stadt und Hafen“, Hans Christians Verlag, Hamburg

Haspel Jörg, 1987 , „Hamburger Hinterhäuser. Terrassen – Passagen – Wohnhöfe“, Hans Christians Verlag, Hamburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

10
Feb
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Die Prostitution im Hamburger Raum

Zuhälter und organisierte Kriminalität

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und vor allem mit dem einsetzenden Boom des Rotlichtgewerbes kam es zu einer Wiederbelebung der Zuhältervereinigungen. Es entstanden eine Reihe der Ring-Vereine neu, so in Berlin der „Sparverein West“(1949), der „Vergnügungs- und Sparverein Louisenstadt“ (1952) und der „Lotto-Verein-Nord“ (1954) 1957 wurden 17 Mitglieder eines Berliner „Sparvereins“ wegen Gründung einer Untergrundvereinigung, Landfriedensbruch, Nötigung und Körperverletzung zu hohen Strafen verurteilt. Im gleichem Jahr wurden in Braunschweig 10 Mitglieder des Kegelclubs „Goldene Neun“ und des wiederauferstandenen  Sparvereins „Unter Uns“ zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Geschichte dieser offiziellen Zuhältervereine, die in ihrem jeweiligen Milieu verwachsen waren und in ihrer Erscheinungsform  Wert auf äußere Legalität legten und ihre Vereine und Statuten offiziell bei den Behörden anmeldeten und vorzeigten, ging in den 50er Jahren zuende. Die Zuhälterorganisationen neueren Typs unterschieden sich von diesen Ringvereinen durch eine größere Affinität zu anderen kriminellen Deliktformen und Schwer-kriminalität, durch eine starke Kommerzialisierung und betriebs-wirtschaftliche Organisation und eine erweiterte Internationalisierung von „Geschäftskontakten“

In den 60er Jahren trat die Person von Wilfried Schulz, genannt „Frieda“ im St. Pauli-Milieu erstmals in die Öffentlichkeit. Er  war in St. Pauli geboren und aufgewachsen und trat zuerst als Besitzer des Stundenhotels „Austria“ in der Talstraße in Erscheinung, bis er dann durch vielfältige Beteiligungen und Geschäftsübernahmen zu einer der einflussreichsten Personen im Milieu wurde. Er galt als der Inbegriff des „ehrenwerten Gauners“, der in seinem Revier seinen Codex durchsetzte – mit dem Faustrecht, aber ohne Waffen. Mit Freunden und Bekannten übernahm er die Gerichtsbarkeit bei Streitigkeiten im Milieu. Maßregelungen konnten von einer „Abreibung“, bis zur Zerstörung einer Ladeneinrichtung oder der Verbannung durch ein St. Pauli-Verbot gehen. 1977 veranstaltete Wilfried Schulz im Hamburger Kongresszentrum eine exklusive Boxgala, u.a. mit den Pop-Stars Roberto Blanco und Katja Epstein, die als eine der größten „Ganovenbälle“ der Nachkriegszeit galt.

Ende der 70er Jahre gerieten zwei konkurrierende Zuhältergruppen in die Schlagzeilen. Die einen firmierten unter dem Namen „GMBH“ in den Boulevardblättern, mit einem Clublokal in der Silbersackstrasse. Die andere Gruppierung unter den Namen „Nutella“. Sie hatten Anteile im Eros-Center und in der Herbertstraße und den ehemaligen „German Club“ am Spielbudenplatz als Treffpunkt. Bei der „Nutella“ stieg Anfang der 80er Jahre die deutsche Sektion der „Hell Angels“ mit ein. Symptomatisch für das Auftreten vieler Zuhälter war ein ausgeprägter Mannbarkeitsritus wie er sich auch in vielen Filmen Ende der 60er und den 70er Jahren widerspiegelte: die Fähigkeit sich mittels Faustrecht durchzusetzen, das unter Beweis stellen ihrer Potenz und das überzogene Zuschaustellen von Statussymbolen, z.b. teure Uhren, die Kleidung der Frauen (wie auch die Frauen selbst) und vor allem auffällige Autos und Motorräder.

Der Prostitutionsmarkt begann sich zu verändern. Den Bordellbetrieben und Hotels auf St. Pauli entstand eine Konkurrenz durch die ca. 300-500 Kleinanzeigen in den großen Tageszeitungen  „Bild“ und „Mopo“ mit einer klar veränderten Konsumentenhaltung des Freiers, weg von den Großbordellen, hin zu den oft serviceorientierteren kleinen Bordellen und Privatwohnungen, die über den gesamten Hamburger Raum verteilt waren. Außerdem gelangten anfangs der 80er  härtere Drogen im größeren Umfang auf den Markt, zuerst Kokain, später dann auch Heroin. Die Konkurrenzsituation verschärfte sich und interne Revierkämpfe, bzw. neue Geschäftsinteressen unter den verschiedenen Gruppierungen in St. Pauli wurden ab 1981 auch mit Waffengewalt (und Todesfolgen) ausgetragen, so dass der Codex „ohne Waffen“ auf dem Kiez keine Gültigkeit mehr hatte. 1982 beendete eine der größten Polizeirazzien der Nachkriegsgeschichte die Karriere von Wilfried Schulz. An die hundert Nachtlokale, Spielsalons und Wohnungen wurden durchsucht und „Frieda“ infolge der zusammen getragenen Beweise 1984 wegen Steuerhinterziehung und Förderung der Prostitution verurteilt. 1983 riegelten ca. 500 Beamte das Gebiet um die Club-Kneipe „Angels Palace“ im Schanzenviertel, dem Lokal der Hell´s Angel, ab und verhafteten sämtliche Anwesenden. Der Bundesinnenminister verbot den „Hell´s Angels Motor-Club e.V.“ als kriminelle Vereinigung und infolge dieses Polizeieinsatzes wurde auch die Zuhälterorganisation GMBH empfindlich getroffen – entweder unter dem juristischen Konstrukt „der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung“ oder durch die Steuerfahndung. 1984 konnte durch verdeckte Ermittlungen die Nutella-Gruppe belangt werden, ihre Geschäftskonten wurden gesperrt und Verfahren wegen Steuerhinterziehung, räuberischer Erpressung und Körperverletzung erhoben. 1986 wurde mit einer weiteren Großrazzia auf dem Hans Albers Platz die Kneipe „Chikago“ durchsucht und die dortigen kriminellen Strukturen ausgehebelt. Mit diesem Großeinsatz und aufgrund des Umstandes das Claus Becker, ein Immobilienhändler und Besitzer des „Erotic Art Museums“,  ab Mitte `85 etliche Immobilien rund um den Hans Albers Platz aufkaufte, hat sich das kriminelle Milieu dort weiter zurückgezogen. Danach sollte das einheimische Milieu von St. Pauli keine weiteren populären Führungspersonen hervorbringen. Wegen der sich inzwischen allgemein abzeichnenden Krise des Rotlichtmilieus bedingt durch Aids und des zunehmenden Verfolgungsdrucks staatlicher Behörden zogen sich ehemals führende Profiteure der Prostitution ins Privatleben zurück bzw. verlagerten ihre Geschäftsbereiche.

Während in den 70ger und 80ger Jahren das Geschäft mit Prostitution und später der Drogenhandel in deutscher Hand lag, drängten in den späten 80ern und den 90ern türkische Zuhältercliquen auf den Kiez. Richtig etablieren konnten sie sich  nur zur Landseite der Reeperbahn, in der Paul-Roosen-Str. und umliegenden Straßen wie der Talstraße. Hier betrieben sie , eingebettet in einem Milieu von vielen türkische Läden und Imbissen, illegale Bordelle und Spielclubs in den Hinterhöfen, die hauptsächlich von Landsleuten frequentiert wurden und waren im Drogenhandel engagiert Nach polizeilichen Erkenntnissen soll jeder zweite türkische Betrieb in St. Pauli unter krimineller Kuratel gestanden haben. Die Polizei hob zu dieser Zeit im türkischen Rotlichtmilieu neun illegale Bordelle aus. In den 16 übrig gebliebenen sollen ca. 260 Frauen gearbeitet haben. In den sogenannten Türkenclubs arbeiteten überwiegend Frauen aus Osteuropa, oft mit illegalen Aufenthaltsstatus, allerdings nie welche aus Deutschland oder der Türkei. Die Arbeitsbedingungen dort waren schlecht, die Preise niedrig und ungeschützter Verkehr ohne Kondome wurde in diesen Clubs angeboten. Zwischen 1995-97 gab es in der Paul-Rosen-Straße und Umgebung ca. 25 dieser Clubs, die dann unter Mitwirkung einer Bürgerinitiative, der Stadtentwicklungsgesellschaft(STEG) von dem Bezirksamt und der Polizei geschlossen wurden. In den 90ern kam es zeitweise zu Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden afrikanischen und kurdischen Gruppierungen wegen des Straßenverkaufes von Drogen, die das Alltagsleben auf dem Kiez belasteten. Durch die daraufhin einsetzenden verdeckten Ermittlungen einer Sonderkommission von 50 Ermittlern konnte ein Teil der kurdischen Drogenmafia, die ihre Heimat in der Region Elazig, Bingöl und Palu hatten, verhaftet werden. Insgesamt wurden 76 Angeklagte- von den Straßenverkäufern bis zu den Residenten – zu teilweise hohen Haftstrafen verurteilt.

Weitere schwerwiegende Veränderungen im Milieu zeichneten sich durch den deutsch-deutschen Mauerfall und den politischen Umbrüchen in Europa ab. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens und Albaniens kamen viele Kosovo-Albaner in den norddeutschen Raum, speziell nach Hamburg-St. Pauli. Die Albaner fielen durch ihren hohen Organisationsgrad und teilweise durch ihre Gewaltbereitschaft auf . Direkt auf der Reeperbahn sollen mehrere der Striplokale von albanischen Mittelsmännern übernommen worden sein und eine 300 Mann starke Gruppe hatte in Norddeutschland eine regelrechte „Einbruchsfirma“ betrieben. Zwischen 1994-1997 wurden 224 Kosovo-Albaner festgenommen wg. Einbrüchen, Scheckbetrug, Urkundenfälschung, Autodiebstahl und Hehlerei.

Ein Beispiel für die Einflussnahme von albanischen Interessengruppen oder auch „Ölaugen“, wie sie im Volksmund von St. Pauli genannt werden, sind die Osmani-Brüder. Burim Osmani studierte Ökonomie und kam Ende der 1970er Jahre mit seiner Familie, zu der auch seine Brüder Bashkim, Bekim und Quazim gehören, aus dem Kosovo nach Hamburg. Das später auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzte Vermögen wurde nach ihren Angaben in der Gastronomie und mit Immobilieninvestitionen erwirtschaftet. Bekannte Immobilien auf St. Pauli, die sich in ihrem Besitz befanden, waren u.a. die „Heiße Ecke“, das „Café Keese“ und das „Pupasch“ an den Landungsbrücken. Zudem war  Burim Osmani Gesellschafter von drei Immobilienfirmen, die ca. 20 Immobilienobjekte im Wert von über 40 Millionen Euro in ihrem Portefeuille hatten. Das Landeskriminalamt ermittelte gegen den Familienclan spätestens seit Ende der 80er Jahre wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Deliktformen betrafen u.a.: illegales Glücksspiel, Geldwäsche, Betrug, Drogenhandel, Erpressung, gefährliche Körperverletzung und Waffenbesitz. Nachgewiesen konnte lange Zeit kein einziger dieser Vorwürfe. Allein 1999 wurde Burim Osmani wegen dem Verkauf gestohlener TÜV- und ASU-Plaketten zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen Hehlerei verurteilt. 2004 wurde er vom Landgericht Lübeck zu 14 Monaten Haft auf Bewährung wegen Steuerhinterziehung verurteilt und 2006 wurde Burim Osmani durch das Landgericht Würzburg der Beihilfe zum Betrug beschuldigt, weswegen er kurzzeitig in Nürnberg in Untersuchungshaft einsaß. Osmani betrieb seit Januar 2004 ein Asylbewerberheim, für das die Stadt Hamburg jeden Monat 39.000 € zahlte. In einigen Artikeln der Hamburger Boulevardpresse wurde vermutet, das Hamburger Politiker den wirtschaftlichen Aufstieg des Osmani-Clans begünstigt haben sollen.

Der Rechtspopulist Ronald Schill, der sich inzwischen nach Brasilien abgesetzt hat, holte 2001 mit seiner Partei bei der Hamburg-Wahl 19 Prozent und beendete in Koalition mit der CDU die 40- jährige SPD-Herrschaft. Wolfgang Barth-Völkel ein enger Vertrauter des ehemaligen Innensenators Roland Schill und zu dieser Zeit Vorsitzender des Gesundheitsausschusses in der Hamburger Bürgerschaft, arbeitete vor seiner politischen Karriere im „Corner 57“ einem bekannten Milieu-Treffpunkt, der unter der Kuratel der Osmani-Brüder gestanden haben soll. Barth-Völkel wie Schill wurden enge Kontakte zu den Osmanis nachgesagt. Im Mai 2008 nahm das Mobile Einsatzkommando die 36 und 39 Jahre alten Brüder Burim und Bashkim Osmani in Hamburg fest.  Beide wurden im Oktober 2008 für erschlichene Millionenkredite in Höhe von dreißig Millionen Euro bei der früheren Volksbank Lauenburg, in einem der größten Wirtschaftsstrafverfahren der Nachkriegszeit vor dem Landgericht Hamburg zu langen Haftstrafen verurteilt. Am gleichen Tag setzte das Landgericht Hamburg die Haftbefehle gegen eine hohe Kaution von rund einer Million Euro sowie strenge Meldeauflagen außer Vollzug.

Bis 2005 war ein naher Verwandter des Brüdertrios, Sefer Osmani, als Betriebsleiter des Bordells Atmos eingesetzt. Ein 2500 Quadratmeter großer FKK-Saunaclub am Großmoorring im Gewerbegebiet in Hamburg-Harburg, . Diese Immobilie wurde über fragwürdige Kredite aus Lauenburg finanziert. 3,5 Millionen Euro sollen nach einer Anklageschrift gegen Osmani in das Bordell geflossen sein. Juni 2009 wurde beim „Atmos“  auf einen stadtbekannten Zuhälter geschossen. Ein Schwager von Burim Osmani, Sadri Lipai, von der Boulevardpresse unter dem Namen „Albaner-Toni“ gehandelt, war offiziell Besitzer eines Bordells am Süderstraßen-Strich und soll diesen faktisch kontrolliert haben. März 2008 eskalierten Territorialstreitigkeiten verschiedener Gruppierungen um den Straßenstrich und die Steigen in Hammerbrook in einer Schießerei, bei der eine Person mit einem Knieschuss niedergestreckt wurde.

Ab 1991 kommt es zu  mehreren Mordanschlägen als Folge von Auseinandersetzungen zwischen jugoslawischen, türkischen, deutschen, später dann albanischen Zuhältergruppen, bei denen es u.a. um den  Straßenstrich Süderstraße ging und wobei mehrere Unbeteiligte ums Leben kamen. Diese neue Gewaltbereitschaft  hatte auch Auswirkungen auf die Club- und Diskothekenszene. 1994/5 kam es nach Auseinandersetzungen vor verschiedenen Diskotheken zu mehreren Toten und Verletzten, in dessen Konsequenz  die Türsteher aufrüsteten. Ein klares Zeichen dass die Gewalt sinnlos eskaliert war.

Das Einschleusen von Mädchen und Frauen, ein Bereich wo die Grenzen zum Menschenhandel oft fließend sind, verlagerte sich von den thailändischen Frauen in den 70er und 80er Jahren auf den osteuropäischen Sektor – viele Polinnen, aber auch Bulgarinnen, Rumäninnen und russische Frauen arbeiten inzwischen, oftmals unter Tarif, in den Bordellen und Animierlokalen. In den Rotlichtkneipen St. Georgs, dem Straßenstrich Hammerbrocks und den Großbordellen der Reeperbahn sind viele osteuropäische und russische Frauen anzutreffen und es ist anzunehmen, dass inzwischen dementsprechende russische Organisationen im Milieu vertreten sind. Von Mitte der 90er-Jahre bis 2005 blieb es vergleichsweise ruhig in St. Pauli, bzw. im Hamburger Rotlichtmilieu. Die Geschäftsleute dieses Metiers hatten ihre einzelnen Reviere abgesteckt und waren bemüht geschäftsschädigende Schießereien und Messerstechereien durch vorbeugende Gesprächsrunden zu ersetzen.

An der Herbertstraße und auf dem Straßenstrich in der Davidstraße arbeiten hauptsächlich deutsche Prostituierte, die von deutschen Zuhältern kontrolliert werden. 1997 sollen dies insgesamt 7 verschiedenen Gruppen gewesen sein, die sich aus 200 Zuhältern mit ca. 400 Prostituierten zusammensetzten. 2005 ist nach langer Zeit erstmals wieder eine Hamburger Zuhältergruppe in das Licht polizeilicher Ermittlungen und der Öffentlichkeit geraten. Ausgelöst durch Revierstreitigkeiten um die Herbertstraße mit einer Schießerei, kam es in Folge zu zwei großen Polizeieinsätzen mit jeweils über 400 Beamten. Eine Vielzahl von Privatwohnungen, Bordellen, das Lokal „Rotlicht“ am Hans Albers Platz und die Spielhalle „Vegas World“ auf der Reeperbahn wurden durchsucht und insgesamt 20 Haftbefehle vollstreckt. Laut Angaben der Polizei handelte es sich bei der „Hamburger Gruppe“ bzw. „Marek-Gruppe“  um eine ca. 85 Mann starken Gruppierung, die 140 Frauen in 14 Bordellen und Absteigen kontrolliert haben soll. Der Gesamtumsatz im Zeitraum 2001 – 2005  wurde auf 27 Millionen Euro geschätzt. Das erreichbare Vermögen, inklusive Sachwerten wie Automobile, wurden von der Finanzermittlungsdienststelle eingezogen. Im April 2007 wurden die Angeklagten der „Marek-Gruppe“ u.a. wegen gewerbsmäßigen Menschenhandels, Zuhälterei und Körperverletzung zu Bewährungsstrafen zwischen 14 und 28 Monaten verurteilt. Der Vorstandsvorsitzende Carsten Marek wurde zu einem Jahr und zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Nur ein Einziger der Beklagten musste für 2,5 Jahre in Haft.

Seit 2005 werden Konkurrenzien  im Milieu wieder verstärkt mit Waffengewalt ausgetragen. Ende Dezember 2005 kam es in der Maxstraße zu Auseinandersetzungen zwischen Russen und Afghanen, sowie Angestellten des betreffenden Bordells, bei der Schusswaffen und Messer eingesetzt wurden. Tage darauf wurde  ein Hamburger Zuhälter in seinem Bordell im Hamburger Stadtteil Eilbek verhaftet. Er hatte acht Wohnungen an osteuropäische Frauen vermietet. Dem Mann wurde „Schleusung“, also Verstöße gegen das Ausländergesetz vorgeworfen. Zusammen mit ihm wurden elf osteuropäische Prostituierte aus dem Etablissement in der Maxstrasse abgeführt. Bereits 1998 gab es in diesem Milieu Auseinandersetzungen: eine Ukrainerin, die zuletzt als Prostituierte in einem Appartement an der Maxstraße arbeitete, wurde tot im nahe gelegenen Eilbektal-Park gefunden. Im gleichen Jahr entging der besagte Zuhälter, der angeblich gute Geschäftskontakte zu Albanern unterhält, knapp einem Anschlag mit einer Autobombe. Februar 07 schoss ein Zuhälter im Großbordell Laufhaus ein Mitglied der Hells Angels nieder. Ein halbes Jahr später kam es zur Schießerei in dem Wandsbeker Bordell „Tropicana“. Im Dezember 07 lieferten sich zwei rivalisierende Gruppierungen einen Schusswechsel in Jenfeld. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war im März 2008 eine bewaffnete Auseinandersetzung in Hammerbrook, wo es um Territorialstreitigkeiten um den dortigen Straßenstrich ging. Die Polizei nahm mehrere Personen fest und stellte u.a. eine Maschinenpistole sicher. Aufgrund der folgenden Presseberichterstattung und der beunruhigten Öffentlichkeit wurde noch im gleichen Monat eine neue Sonderkommission der Polizei ins Leben gerufen.

Spiegel Nr. 50/ 8.12.1997, „Kampf um die Reeperbahn“,  Seite 86-107

Hamburger Abendblatt 9/10. Juli 2005, S.1,  „Razzia in der Herbertstraße“

Amelunxen Clemens, 1967, „Der Zuhälter – Wandlungen eines Tätertyps“, Kriminalistik – Verlag Hamburg

Arndt Ute, Thomas Duffe, Bernd Gerstäcker, 1995, „St Pauli – Gesichter und Ansichten vom Kiez“, Historika Photoverlag, Hamburg

Barth Ariane, 1999, „Die Reeperbahn“, Spiegel- Buchverlag, Hamburg

Straßenstrich, Modellwohnungen und Bordelle

1978 wurden die zur Verfügung stehenden Zwangsmaßnahmen zugunsten liberalerer Verfahrensweisen eingestellt. Der bloße Verdacht auf Prostitutionsausübung reichte nicht mehr aus um Frauen zur Zwangsuntersuchung zu verpflichten. In Folge wurden die Maßnahmen der „Zuführung terminsäumiger Frauen“, damit zusammenhängende Fahndungen und zwangsweise Krankenhauseinweisungen stark eingeschränkt. Weitergehend wurde die 1969 eingeführte Kontrollkarte, der sogenannte „Bockschein“ wieder abgeschafft und Frauen, die ihren Wohnsitz außerhalb Hamburgs verlegten, wurden aufgrund eines Schweigepflichtgebotes nicht mehr an die dortigen Gesundheitsämter weitergemeldet. Durch diese Liberalisierung nahm die Anzahl der registrierten Frauen im Zeitraum 1978 bis 1983 um ca. 40% ab. 1978 hatte die Zahl der registrierten Frauen noch bei über 2000 gelegen. 1987, unter der Diktion einer wirksamen Bekämpfung von Aids, ist die Untersuchungspflicht ganz weggefallen. Die Untersuchungen werden seitdem freiwillig und anonym durchgeführt. Das Angebot der Beratungsstellen wurde im medizinischen und im sozialfürsorgerischen Bereich erweitert und auf männliche Prostituierte ausgeweitet. Bundesweit erfolgte die generelle Abschaffung erst 2001.

In der ersten Hälfte der 90er sind in Hamburg rund 4000 Prostituierte der Polizei bekannt, der damalige Dienststellenleiter des Milieudezernates schätzte aber, dass ca. 8000 Frauen in Hamburg als Prostituierte arbeiteten. Prostitution findet nicht nur in St. Pauli und St. Georg statt. In jedem Stadtteil gibt es Bordelle, kleinere Etablissements und Modellwohnungen, die einen großen Teil der Prostitution in Hamburg ausmachen. Seitens des Hamburger Milieudezernates wurde in sechs Kategorien unterschieden: Prostitution auf dem Autostrich, in Sexclubs, Absteigen, Appartements, auf der Straße und in Türkenclubs. Zu dieser Zeit sind in St. Pauli 300 Frauen auf dem Straßenstrich registriert, in St. Georg sogar 700. In ca. 75 Sexclubs boten 1200 Prostituierte ihre Dienste an und ca. 1500 Frauen arbeiteten in Absteigen und 600  schafften in Appartements an. Nach einer Erhebung der Hamburger Kriminalpolizei aus dem Jahr 1998 soll aufgrund des polizeilichen Drucks die Zahl der Prostituierten von 6000 auf 4300 zurückgegangen sein und der monatliche Umsatz der Prostituierten sich von 25 Millionen Mark auf 15 Millionen reduziert haben. Die Beratungsstellen für Prostituierte schätzten die Zahl mit weiterhin 6000 allerdings weitaus höher ein als die offizielle Statistik. Nach Angaben des Landeskriminalamtes für organisierte Kriminalität vom Juni 2001 arbeiteten 3.700 Frauen als Prostituierte, wobei der Anteil der Ausländerinnen 52% betrug. In St. Georg, wo die Beschaffungsprostitution weit verbreitet ist, arbeiteten 660 Frauen.  In Clubs und Modellwohnungen arbeiteten 2.300 Frauen , davon 1500 mit illegalen Status und in St. Pauli ca. 500 Frauen, überwiegend mit legalem Status. Der täglicher Umsatz wurde auf 375.000 bis 500.000 Euro geschätzt, der monatlicher Umsatz auf 12,5 Mio Euro.

1997 zählte das Magazin der „Spiegel“  in St. Pauli  32.000 Einwohner,  450 Lokale, von denen 100 dem kriminellen Milieu zugerechnet wurden. 32 Diskotheken und Live Musikclubs, 6 Theater, 4 Museen. 22 Spielhallen, 2 Leihhäuser, 17 Sexläden, 5 Sadomaso-Treffs, 5 Stripbühnen, 4 Kopulationstheater und 52 Bordelle.

Laut der Zeitschrift „Szene Hamburg“ waren 1999/2000 in Hamburg 4500-5000 Prostituierte fest im Gewerbe, davon ca. die Hälfte Migrantinnen, überwiegend aus osteuropäischen Ländern.

2005 waren in Hamburg ca. 2325 Frauen bekannt, die in der Prostitution arbeiten, davon mehr als die Hälfte Ausländerinnen, ca. 300 mit illegalen Aufenthaltsstatus. Es gab zu diesem Zeitpunkt rund 290 bekannte Häuser mit ca. 350 Modellwohnungen, 40 Clubs, darunter 6 Edelbordelle, 7 SM-Clubs, 8 Swinger-Clubs und 2 Billigclubs. 59 Absteigen, überwiegend in St. Pauli und außerdem in St. Georg und der Süderstraße, 4 Laufhäuser und 53 andere Objekte wie Sexshops, Sexkinos und Animierlokale.

Viele Frauen wurden in Bordelle oder Großhäuser wie das „Laufhaus“ gedrängt, so dass der Zugriff für Zuhälterorganisationen und Bordellpächter erleichtert wurde. Eine durchschnittliche Zimmermiete betrug vor der Euroeinführung im Großbordell auf der Reeperbahn 110DM täglich. Dazu 20DM Trinkgeld(Tip) für den Wirtschaftler, 30 DM pro Tag für Präservative, frische Handtücher, Bettwäsche etc. und 10 DM fürs Essen. Tagesfixkosten in Höhe von 170 DM. Außerdem besteht in vielen Bordellen ein Getränkezwang zu überhöhten Preisen, der abhängig ist von der Höhe der Bezahlung durch den Freier (z.b. bei 50 DM Freierentgelt müssen zwei Getränke a´12DM abgenommen werden) Diese Getränke muss die Frau bezahlen, unabhängig davon ob der Kunde Getränke haben will oder nicht.

In den Clubs sind die Frauen prozentual am Getränkeumsatz beteiligt. Die Preise liegen bei einem Bier zwischen 6 bis 12 €, bis hin zu einer Flasche Champagner für 300€. Die sexuellen Angebote werden oft indirekt, über den Kauf der teuren Alkoholika abgewickelt, müssen dann aber in der Regel extra bezahlt werden. Als Kupplergeschäft und Förderung der Prostitution war diese Form des getarnten Sex-Angebotes zwar strafbar, wurde aber kaum unterbunden.

Für Straßenprostituierte gilt nach wie vor die Sperrgebietsverordnung von 1982, nach der das Anschaffen auf der westlichen Seite der Davidstraße, auf dem Hans-Albers-Platz und in der Friedrichstraße zwischen 20.00 abends und 4.00 morgens erlaubt ist. Auf dem Autostrich an der Süderstraße liegen die Zeiten zwischen 20.00 und 6.00 morgens. Außerhalb dieser festumrissenen Gebiete und Zeiten begehen Prostituierte, wenn sie ihrem Geschäft in der Öffentlichkeit nachgehen, formell eine Ordnungswidrigkeit, der aber oft nicht nachgegangen wird – zumindestens wird die Straßenprostitution in St. Georg am Steindamm und in den Seitenstraßen(Elmenreichstr., Bremer Reihe, Steintorweg, bis hin zur Brennerstr.) hinter dem Schauspielhaus weitgehend geduldet, obwohl das Quartier schon 1961 zum Sperrgebiet erklärt wurde. Prostituierte sind dort bereits vereinzelt ab 8 Uhr morgens auf dem Straßenstrich anzutreffen, verstärkt dann um die Mittagszeit, bis in den späten Abend. Ein Teil der Frauen haben  ihren festen Stammplatz  und Stammkunden, Andere wiederum arbeiten nur sporadisch auf dem Strich. In der Regel werden die vielen Stundenhotels frequentiert. Einige Frauen sind erheblich älter als ihre Kolleginnen in der Davidstr. oder in Hammerbrook, es gibt aber auch viele junge Frauen. Zur Zeit als der Hansaplatz Treffpunkt der Drogenszene war, soll laut Einschätzung des Hilfsprojektes „Cafe Sperrgebiet“(1992) die Anzahl von drogenabhängigen und minderjährigen Frauen, die anschaffen gingen, bei 200-300 gelegen haben. Inzwischen ist sie zurückgegangen. Neben dem Straßenstrich existieren vor allem in der Bremer Reihe eine Anzahl von Nachtbars mit Animierdamen, einem hochpreisigen Getränkesortiment und verdeckter Prostitution. Am Steindamm, der ehemaligen Einkaufs- und Amüsiermeile St. Georgs vor dem 2. Weltkrieg, dominieren Sex-Shops, Videoshows und türkische Imbisse und Gemüseläden

Der ursprüngliche Straßenstrich am Fischmarkt wurde anfangs der 80er Jahre im Zuge der Hafenrandsanierung in das Gewerbegebiet an der großen Elbstraße verlegt und ist inzwischen wegen der stadtplanerischen Maßnahmen so gut wie nicht mehr existent und hat sich weitgehend nach Hammerbrook verlagert Der Straßenstrich Süderstraße, der deutlichen Abstand zum Wohngebiet hält, beschränkt sich auf den Straßenabschnitt im Gewerbegebiet zwischen Ausschläger Weg, Hammer Deich (Shell-Tankstelle) bis zum Borstelmannsweg, das Nachts vollkommen menschenleer ist. Viele der Frauen schaffen dort mit eigenen Wagen oder Wohnwagen an, erledigen ihren Job im Wagen des Kunden, oder nutzen nahe gelegene Absteigen. Viele Osteuropäerinnen und Russinnen arbeiten auf diesem Strich

Nach Angaben des Hamburger Landeskriminalamt 242 soll der monatliche Durchschnittsverdienst einer Frau zwischen 5000 – 30 000 Mark gelegen haben, je nachdem ob sie auf dem Straßenstrich, im Sexclub, Appartement oder im Edelbordell arbeitet. Den Frauen die allerdings nicht selbstständig arbeiten, sollen davon höchstens 20% bekommen, der weitaus größere Teil geht in die Hände der Vermieter, Clubbesitzer und Zuhälter. Nach polizeilichen Erkenntnissen arbeiten in Hamburg ca. 80% der Frauen für Zuhälter, ein weitaus höherer Prozentsatz als in vielen anderen deutschen Großstädten, wie z.b. Frankfurt oder München. 1600 Zuhälter sind der Polizei bekannt. Mit der Euro-Einführung und der zunehmenden osteuropäischen Konkurrenz haben sich die Tarife weiter verschlechtert. Die billigste „Nummer“ gibt es nach den Erfahrungen von Szene-Kennern schon für 25 bis 30 Euro. Nur noch wenige Frauen kommen heute abzüglich der Zimmermiete auf 300 Euro pro Tag, früher waren bis zu 1000 Mark üblich.

Emilija Mitrovic „Prostitution in Hamburg – ein lukratives Geschäft für wen?“

von Dücker  Elisabeth, 2005, „Sexarbeit : Prostitution – Lebenswelten und Mythen“, Edition Temmen, Bremen

Migrantinnen im Prostitutionsgewerbe

Hamburg hat sich nach der EU-Osterweiterung in einem noch größeren Stil zum Umschlag- und Einfuhrplatz sexueller Dienstleistungen und des internationalen Frauenhandels entwickelt. Laut Angaben des LKA Hamburgs handelte es sich bei den Schleusern vor dem deutsch-deutschen Grenzfall, „um Einzelpersonen aus dem Milieu, die sich untereinander alle kennen“. Die Frauen wurden in ihren Heimatländern kontaktiert, man stellt ihnen gute Verdienstmöglichkeiten in Aussicht und besorgt ihnen ein Touristen-, oder Künstlervisum (seitdem 1989 die vorherige Visumspflicht aufgehoben wurde und ein auf drei Monate beschränktes Visum zur Einreise genügte) und vermittelt sie danach an interessierte Club- oder Bordellbesitzer. Die Vermittlungsgebühren betrugen ca. 10 000 Mark; 5000 Mark für die Vermittlung, 5000 für die entstandenen Unkosten wie Flugticket, Transfer und Unterbringung. Diese Summe war von den Frauen in monatlichen Raten abzuarbeiten. Viele der männlichen „Schleuser“ waren mit ausländischen Frauen verheiratet. Rund 1000 ausländische Frauen waren zu der Zeit bei der Hamburger Kripo als Prostituierte registriert. Thailändische Frauen bildeten mit einem Drittel die größte Gruppe. In St. Pauli sind sie, jenseits der Großbordelle und Appartement in der Großen Freiheit, in den dortigen thailändischen Sexclubs, dem Bordell  und der Karaoke-Bar anzutreffen.

Als zweitgrößte Gruppe galten die Südamerikanerinnen, und dann die Osteuropäerinnen, die inzwischen allerdings, im Zuge der Entwicklung der letzten Jahre, die größte Gruppe stellen. Für Frauen aus Drittweltstaaten gibt es drei Möglichkeiten legal nach Deutschland einzureisen; als Ehefrau, Touristin oder Künstlerin. Das Künstler- oder Tänzervisum wird von den deutschen Auslandsvertretungen im Herkunftsland ausgestellt und führt, im Gegensatz zum Touristenvisum, in der Regel zur Bewilligung einer Arbeitserlaubnis und damit zur Aufenthaltsgenehmigung. Die Ehe mit einem deutschen Mann wird aufgrund der vielen Scheinehen behördlicherseits stark kontrolliert. Die eheliche Lebensgemeinschaft muss mindestens 4 Jahre halten, für das Zusammenleben in einer Wohnung und den ehelichen Vollzug müssen Beweise erbracht werden. Kündigt der Mann die Ehe auf, verliert die Frau ihr Aufenthaltsrecht und wird, wenn sie nicht vorher untertaucht, abgeschoben. Ohne gültige Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung sind die Frauen ihrem Arbeitgeber dann oftmals so gut wie ausgeliefert.

Schleuser- und Zuhälterringe organisierten die Prostitution zunächst in den sogenannten Billigclubs. Viele osteuropäische Frauen arbeiteten unter schlechten Bedingungen in solchen Clubs in den Nebenstraßen von St. Pauli, die bis 1997 Laden für Laden vom Ordnungsamt und der Polizei geschlossen wurden. Gleichzeitig wuchs die Modellwohnungsprostitution, die für die Strafverfolgungsbehörden schwerer zugänglich war, überproportional an. Die Anzahl der polizeilich bekannten Wohnungen stieg von ca.50 (1990) auf ca. 900 (Ende 1997) an. Auf den zunehmenden organisierten Menschenhandel mit Zwangsprostitution reagierte die Polizei 1997 mit dem „Bekämpfungskonzept Modellprostitution“, das zu einem Schwerpunkt der Ermittlungstätigkeit des Landeskriminalamtes (LKA) 731 wurde. In der Apartmentprostitution waren hauptsächlich osteuropäische und lateinamerikanische Frauen involviert.  In den folgenden Jahren ging die Polizei verstärkt gegen die illegale Prostitution und denen mit ihr zusammenhängenden Strukturen der organisierten Kriminalität vor. Im Jahr 2003 wurde das „Bekämpfungskonzept Menschenhandel“ erarbeitet. Wesentliche Ziele dieses Konzeptes ist die Bekämpfung des Menschenhandels, die Verbesserung der Situation der Prostituierten und vor allem die Abschöpfung der kriminellen Organisationen durch Beschlagnahmung und Einziehung der Vermögenswerte. Bis Anfang 2005 wurde im Rahmen dieses Konzeptes die Zusammenarbeit mit „Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel (KOOFRA)“  intensiviert und in rund 60 Groß- und mehreren Einzelverfahren wurden über 200 Täter verurteilt.

-In einem Großverfahren zur Bekämpfung der Prostitution in der Modellwohnungsszene wurde 1998 gegen 9 Beschuldigte wegen des Verdachts der Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Die Beschuldigten unterhielten insgesamt 86 Modellwohnungen, in denen zeitweise 100 – 130 osteuropäische und südamerikanische Frauen arbeiteten.
-1999 wurde die sogenannte „Trinitas“-Bande zerschlagen, die mehrere Wohnblocks in verschiedenen Hamburger Stadtteilen komplett in Modellwohnungen umgewandelt und dort 175 Prostituierte untergebracht hatte
-Im gleichen Jahr wurde in einer Großaktion gegen eine Gruppierung die den Straßenstrich um die Süderstr. kontrollierte, insgesamt 19 Wohnungen und 8 Bordelle durchsucht, mehrere Bordelle geschlossen und 4 Personen verhaftet. Der Hauptangeklagte, der Mazedonier Musa A zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Mazedonier hatte im Zeitraum 1994 –1997 fast alle Bordelle, bzw. Absteigen im Bereich der Süderstr. „übernommen“ und soll die Arbeitsmodalitäten von rund 300 Prostituierten bestimmt haben.
– Im Jahr 2000  wurde eine Sektion der „Hells Angels“ verhaftet und angeklagt, da sie die Übernahme mehrerer Großbordelle auf Hamburgs Reeperbahn planten. Im gleichen Zeitraum wurde ein Großverfahren gegen eine Gruppe russischer Menschenhändler und Zuhältern abgeschlossen.
-2002 kam es zu einer Razzia im „Club 77“ an der Holstenstraße (Altona) und im Rotlichtmilieu St. Georgs zu einer größeren Durchsuchung, an der über 140 Beamte und die Ausländerbehörde beteiligt waren. Infolgedessen wurden drei Polen wegen Schleusung und „dirigistischer Zuhälterei“ angeklagt. Drei der vier Nacht-Bars(Preise für ein Bier 8€ und für eine Flasche Sekt 130€), die in den Straßen um den Hansaplatz lagen, wurden geschlossen und 10 von 35 festgenommenen Prostituierten nach Polen zwangsausgewiesen
-Januar 2009 kam es zu einer konzertierten, zeitgleichen Aktion von MEK und SEK in Hamburg und Bremen, sowie von vergleichbaren Spezialeinheiten (SIC) im rumänischen Braila, bei der neun Rumänen verhaftet wurden. Ihnen wird Menschenhandel, Zuhälterei, Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, Körperverletzung und Vergewaltigung vorgeworfen. Diese rumänische Zuhältergruppe soll seit mindestens 2005 Frauen, überwiegend aus dem rumänischen Constanta nach Deutschland gebracht haben, wo sie, zum Teil unter Zwang, als Prostituierte arbeiten mussten. In Hamburg geschah dies in Modellwohnungen in Harburg, Wilhelmsburg, Eilbek und Tonndorf, sowie auf dem Straßenstrich im Stadtteil St. Georg. Dort wurden den Frauen feste Standorte in der Bremer Reihe und am Hansaplatz sowie ein Stundenhotel zugewiesen. Bei der Arbeit wurden sie aus einem angrenzenden Lokal und einem Internetcafé heraus überwacht.

Inzwischen ist die Anzahl der Modellwohnungen auf ca.  400  reduziert worden. Viele Frauen wichen zunächst auf den Straßenstrich in St. Georg und dann an den der Süderstraße in Hammerbrook aus, oder arbeiteten in einen der rund 40 Hamburger Sex-Clubs. Durch das verschärfte Vorgehen der Hamburger Polizei mit massiven Kontrollen und Razzien seit Ende der 90er gegen die Drogenszene und dann gegen den Strich und die Clubszene von St. Georg, schafften die Frauen verstärkt verdeckt an und viele Prostituierte sind von dort in die Süderstraße abgewandert. 2005 wurden in der Hamburger Presse Pläne diskutiert, wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation traditionelle Prostitutionseinrichtungen wie die Herbertstraße teilweise in Musikclubs und Gastronomie umzuwandeln, weil die Erträge aus der Prostitution für alle Beteiligten real sinken. Tagsüber sind nur noch sehr wenige Kunden in der Herbertstr., andererseits beginnt sich der Straßenstrich langsam  wieder an der Silbersackstraße und  Erichstraße auszubreiten. Der Autostrich an der Süderstr. hingegen wird stark frequentiert. Für ein Großteil der Frauen existieren  allerdings schlechte Arbeitsbedingungen: reine Nachtarbeit, sexuelle Dienstleistung im Auto/LKW und auf sogenannten „Stichplätzen“, wenig sanitären Anlagen und Kondomzugänge und niedrige Tarife für die sexuelle Dienstleistung aufgrund des Konkurrenzdrucks.

Im Frühjahr 2009 eröffnete in Hamm-Süd ein Groß-Bordell für 130 Prostituierte, dem weitere folgen sollten. In direkter Nähe bestehen bereits fünf Bordelle und Beherbergungsbetriebe. Dies stieß bei den Bewohnern des Osterbrookviertels auf großen Widerstand, worauf der Hamburger Bezirk Mitte einen neuen Bebauungsplan für den Stadtteil Hamm-Süd aufstellte, der die Ansiedlung neuer Bordelle verhindern soll. Gleichzeitig lässt der Bezirk Wohnmobile von Prostituierten entfernen. Nach neuesten Plänen soll der Straßenstrich von der Süderstraße ins Industriegebiet Buller Deich in Hammerbrook verlegt werden. Auch in Wandsbek protestierten rund 1000 Menschen mit ihren Unterschriften gegen die Planung eine neuen Großbordells, sowie einem bereits genehmigten Etablissement an der Angerburger Straße. Antragsteller für dieses Bordell mit 20 Zimmern ist der Betreiber der Bordellkette „Geizhaus„.

„taz“, Bd.14, 1992, Nr. 3679 vom 10.4., Seite 23,  Redakteurin Sannah Kirch

Hamburger Rundschau Nr.6, 2.2.1995, Seite 4-7,   Redakteurin Petra Bäuerle

Szene Hamburg, 26 Jahr, Nr.11, November 1999 „Beruf Hure – Anschaffen auf Lohnsteuerkarte“, Seite 27-34

http://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DocumentServlet?id=11042
http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Hauptseite

Hamburger Initiativen und Organisationen

Die Zentrale Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten (Max-Brauer-Alle 152) bietet Informationen zu – sowie Untersuchungen und Behandlungen von sexuell übertragbaren Erkrankungen an. Über 90% der Klientel der Zentralen Beratungsstelle sind Frauen aus Osteuropa, Lateinamerika, Afrika und Asien, weswegen Informationen und soweit es geht Beratungen in den Sprachen: englisch, russisch, polnisch, bulgarisch, spanisch und  rumänisch angeboten werden. Es besteht die Möglichkeit einer kostenlosen Untersuchung bei Tripper(Gonorrhoe)  und Syphilis,  anonymen und kostenlosen HIV-(AIDS) Antikörpertests , Hepatitis-Antikörpertest mit anschließender Möglichkeit zur Impfung,  Schwangerschaftstests und Krebsvorsorgeuntersuchungen. Sowie weitere kostenfreie Untersuchung und Behandlung mittels Privatrezept bei anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Die Zentrale Beratungsstelle für sexuell übertragbare Erkrankungen und die AIDS Beratung am Bernhard-Nocht-Institut wurden April 2008 zum neuen Beratungszentrum „CASA blanca“ zusammengeführt.

Die Kaffeeklappe, (Mitternachtsmission St. Pauli/ Diakonisches Werk Hamburg) in der Seilerstraße 34, St. Pauli bietet seit 1973 Unterstützung beim Ausstieg aus der Prostitution, Hilfe beim beruflichen Neustart, Beratung und Begleitung bei Behördenangelegenheiten, Gesundheitsaufklärung und ist über die Teestube Sarah in der Straßensozialarbeit engagiert.

Die Teestube Sarah ist eine christliche Initiative, die bereits vor 25 Jahren von einem Werftarbeiter gegründet wurde, dessen frühere Privatwohnung am Hans-Albers-Platz den Sitz dieser Teestube stellt. Die ca. 15 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen gehen ein- bis zweimal wöchentlich die verschiedenen Hamburger Straßenstrichs ab und verteilen kostenlos Getränke, Süßigkeiten und Kondome und suchen das Gespräch und den Kontakt mit den Prostituierten.

Die Koordinierungsstelle gegen Frauenhandel(KOOFRA
) gibt es seit 1999. Ein eingetragener, gemeinnützig anerkannter Verein, der überwiegend durch die Freie und Hansestadt Hamburg finanziert wird. Die Zielsetzung des Vereins ist es vom Frauenhandel betroffene Frauen und Mädchen über ihre Rechte zu informieren, sie weitergehend psychosozial zu betreuen und ihnen den Ausstieg zu ermöglichen. Hierzu kann u. .a  die Unterbringung an einem sicheren Ort, eine Prozessbegleitung und Hilfe bei der Rückkehr ins Heimatland gehören. Im Rahmen der Zeuginnengewinnung als notwendiger Bestandteil der Beweisführung hat die Zusammenarbeit mit der Polizei an Bedeutung gewonnen. KOOFRA betreut die betroffenen Frauen und bietet denen, die sich entschieden haben in einem Gerichtsverfahren auszusagen, weitergehende Hilfestellungen.        http://www.koofra.de/de/kontakt.html

Amnesty for Women (Grosse Bergstr. 231, Altona) besteht seit 1986. Es ist keine Organisation dessen Arbeit speziell auf Sexarbeiterinnen ausgerichtet ist, sondern hat als Ziel die soziale und rechtlich Situation von emigrierten Frauen zu verbessern. Aber ca. 40% der Frauen, die Kontakt zu Amnesty for Women aufgenommen haben, hatten bereits Erfahrungen in der Sexindustrie gemacht. Zu den Angeboten dieser Organisation gehört eine rechtliche und gesundheitliche Beratung, der Aufbau von Multiplikatoren und kontinuierliches Streetworking. Sie bieten unter dem Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe ein umfangreiches Beratungs-, Begleitungs-, Betreuungs- und Weiterbildungsangebot.

Raggazza e.V.( Brennerstraße 81 / 12 Mitarbeiterinnen)  wurde 1991 als gemeinnütziger Verein gegründet um Beschaffungsprostituierte zu unterstützen. Der Verein arbeitet im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg und bietet drogenabhängigen und sich prostituierenden Frauen Beratung und Überlebenshilfen an. Dazu gehören Strassensozialarbeit, Spritzentauschprogramme, die Möglichkeit medizinischer und hygienischer Versorgung, gesundes Essen und das Angebot von Schlafmöglichkeiten. Ein ähnliches Angebot bietet das Café Sperrgebiet in St. Georg an, eine Einrichtung des Diakonischen Werkes, welche seit 1985 existiert.

Der Trägerverein BASIS e.V. kümmert sich um männliche Jugendliche und junge Erwachsene, die „auf der Straße leben“ und sich häufig im Bereich des Hamburger Hauptbahnhofes aufhalten, wo Drogen und Prosititution zum Alltag gehören. Der Verein bietet medizinische Hilfe, Übernachtungsmöglichkeiten und ein auswärtiges Ferienhaus als Kriseninterventions- und Freizeitprojekt.

Tampep ist ein aktives Interventions- und Forschungsprojekt für Präventionsarbeit im Gesundheitsbereich für migrierte Sexarbeiterinnen mit 19 Partnerorganisationen in west/-mittel- und osteuropäischen Ländern. In Hamburg ist Tampep im speziellen im Bereich der Appartmentsprostitution aktiv, der Träger ist „Amnesty for Women“, finanziert wird dieser Projektzusammenhang  über eine Regelung mit dem Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz

10
Feb
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Sexuelles Entertainment auf St. Pauli im Detail

(z.T. Stand 2005)

Striptease

In St.Pauli, auf der Reeperbahn/Landseite gibt es noch ca. 10 Life-Shows. In der „Großen Freiheit“, dem Aushängeschild St. Paulis, sind die meisten Live-Cabaretts durch Diskotheken und Musikclubs verdrängt worden. Die  nennenswerten Etablissements lassen in ihren Shows selten eine Rückbesinnung auf die Kultur der Burleske erkennen. Daneben gibt es auf der ganzen Reeperbahn eine Mehrzahl von Peep-Shows, entweder als eigenständigen Laden oder als Bestandteil des Angebotes der vielen Sexshops.

In der Großen Freiheit bieten die Clubs “Dollhouse”, “Safari”und “Susies Stripbar” Live-Shows an, wobei dem Safari als einzigem Etablissement noch dem Begriff „Kabarett“ gerecht wird. Die durchgängige Bestuhlung mit kleinen Tischen auf zwei Ebenen für ein Publikum bis ca. 200 Zuschauern ist auf  die 1 Meter erhöhte Theaterbühne ausgerichtet. Der Eintritt liegt bei 20 €, in dem ein normales Getränk inbegriffen ist. Die Show dauert zwischen 1,5-2 Stunden und wird zumindestens an den Wochenenden durchgängig wiederholt. Sie setzt sich aus verschiedenen Acts zusammen: verschiedene Frauen treten einzeln mit ihrer Stripteasenummer auf, kombiniert mit Musik und Gesang, der allerdings ausschließlich als Playback läuft. Das Bühnenbild und die Kostüme sind teilweise sehr aufwendig. Höhepunkt und Abschluss bildet ein Bühnenkoitus. Susies Stripbar ist ein kleines Lokal mit einer runden Drehbühne im Zentrum, die auf gleicher Höhe wie die umfassenden Sitzgelegenheiten liegt. Es gibt mehrere im Halbdunkeln liegende separeeähnliche Sitzgelegenheiten, ein DJ-Pult mit Ansager und eine kleine Bar mit einem hochpreisigen Getränkesortiment. Pro Abend strippen im ständigen Wechsel 5-8 Frauen auf der Bühne, das tänzerische Repertoire aller Frauen ähnelt sich, bzw. gleicht sich nach der Zeit der Einarbeitung an. Über den normalen Striptease hinaus werden von einzelnen Frauen auch Dildo-Shows oder lesbische Nummern angeboten, desöfteren werden auch Gäste auf die Bühne geholt. Diese Bar hatte sich bis zum Um- und Ausbau 2005 noch etwas von dem alten Charme des St. Pauli-Milieus erhalten und die Atmosphäre war geprägt von der Nähe zu den Darstellerinnen, deren Hauptaufgabe neben den Tanznummern in der Getränkeanimation liegt.

Das Dollhouse, in den Räumen des ehemaligen „Salambo“, vertritt ein modernes, amerikanisches Konzept des Striptease. (keine Genitalshow, keine Berührungen) Auf der zentralen Hauptbühne findet ein Hauptprogramm statt und die Gäste können außerdem zwischen verschiedene Acts, von männlichen wie weiblichen Darstellern wählen, die dann separat auf ihrem Tisch tanzen. Dem Betreiber Andreas Schenktat ist es gelungen die Grenze zum Publikum der Diskotheken und Musikclubs zu durchbrechen, die neben ungewöhnlich vielen Frauen einen Großteil des Publikums stellen. Das Dollhouse hat zusätzlich das Restaurant „Dollhouse Dinner“ im ehemaligen Kabarett „Tabu“ und eine Bar in der Großen Freiheit eröffnet und betreibt inzwischen Filialen in Berlin und Köln. Im März 2005 fand mit knapp 200 Beamten eine Razzia in den verschiedenen Lokalitäten der Dollhaus-Kette statt. Dem Geschäftsführer, wie dem Dollhousegründer Andy Schenkat wurden umfangreiche Steuerhinterziehungen vorgeworfen. Seit dieser Razzia soll das Dollhouse den Brüdern Dreschaj gehören. Anfang 2010 wurde Schenkat wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 2,5€ Millionen zu 30 Monaten Haft verurteilt.

„10€ Eintritt und Garderobe. Hinter dem Eingang 2 halbvergitterte, röhrenförmige Käfige in denen jeweils ein Mann und eine Frau tanzen. Insgesamt habe ich 15 Tänzer und Tänzerinnen gezählt, von denen ca. zwei auf der Hauptbühne agieren, 2 weitere auf den kleinen Laufstegen und Käfigen und weitere, jeweils nach Bedarf, auf den Rundtischen, wo die Extrastripshow 20E kostet. Die Show der Tänzer auf der Hauptbühne und den Laufstege sind im Eintrittspreis mit inbegriffen. Der Strip auf den Einzeltischen endet mit der vollständigen Entkleidung (bis auf die Schuhe), wobei die Beine dann geschlossen bleiben und der/die TänzerIn mit einer Hand ihr Geschlecht bedecken. Ein Nebenverdienst und eine Möglichkeit der Interaktion zwischen Publikum und Akteur besteht darin, dass man die „Doll-Dollars“ – einen erhält man beim Eintritt, weitere kann man bei einer Frau kaufen, die mit einem kleinen Bauchladen, ihrer Wechselstube, von Tisch zu Tisch geht – entweder mit Spucke auf der nackten Haut, oder am Bikinioberteil, am Höschen oder am Strumpfband eingeschoben – der Tänzerin zukommen lässt. Einer der männlichen Striptänzer, beispielsweise, animierte an einem Tisch mit 5 Frauen hauptsächlich eine einzige Zuschauerin, steckte  ihr einen Schein zu und forderte sie auf es ihm gleichzutun. Dann entkleidete er sich tänzerisch expressiv (MTV-Stil), und bittet, noch mit einem Slip bekleidet, die Frau mit auf den Tisch zu steigen und tanzte mit ihr und forderte sie zum Schluss auf ihre Beine um ihn zu schlingen während er sich noch ein paar mal mit ihr drehte. Es werden keine Obszönitäten und anscheinend keine weiteren sexuellen Dienstleistungen geboten.. Das Angebot der Solostripnummern variierte: bei den Männern trat einer in sehr militärischer Kleidung auf, mit einer sehr expressiven, schnellen Tanznummer. Ein anderer schälte sich aus dem Anzug, ließ sich beim Entkleiden von dem weiblichen Gästen helfen und gewährte zum Schluss, beim Zustecken eines Doll-Dollars auch einen Blick unter dem Tuch auf sein Geschlecht. Die Frauen begannen meistens schon leichtbekleideter als die Männer und lieferten in der Regel einen konventionellen Strip, wobei sie sich zuerst, leicht tänzelnd von der Vorderseite präsentierten, dann (mit einem leichten Shimmy) ihren Popo, wobei sie zwischen die Beine auf die Zuschauer guckten. Öfters spreizten sie (noch mit einem Slip bekleidet) die Beine vor den Männern. Eine der Frauen trat, vor einem Frauentisch, als Polizistin auf und benutzte den Polizeiknüppel als ein wichtiges Requisit, wobei sie pantomimisch mit dem Stab masturbierte. Desweiteren gab es zwei Doppelnummern: eine lesbische, mädchenhafte Darstellung, bei der in der 69-Position Cunnigulus angedeutet wurde. Die andere Doppelnummer bestand aus einer Frau und einem jungen Mann, der mit einem Sträflingsanzug ausgestattet war. Er war für die Frau das Reittier, der Hund, oder auch derjenige der sie mit der Peitsche bearbeitete. Beide Doppeldarstellungen stellten keine tatsächlichen SM, oder lesbische Szene dar, sondern theatralisierten sie nur.“

Dollhouse, 2003, Beschreibende Beobachtung  Ethnologie,  Uni HH

Die Las Vegas Strip Bar ist, neben dem „Moulin Rouge“ und der „Roten Katze“ eine von den fünf  Stripbars alten Typs auf der Reeperbahn. Es gibt eine kleine Bühne am hinteren Rand des Raumes, der Tresen befindet sich meistens auf der anderen Seite, im Eingangsbereich, die Tische und Stühle sind in Sitzgruppen bzw. Nischen gruppiert. Eine Frau tanzt auf der Bühne, die anderen animieren die Männer zum Trinken, wobei sie Prozente am Getränkeverkauf bekommen. Die Preise für ein Bier liegen in diesen Läden in der Regel bei 6 Euro und klettern dann für Sekt bzw. Champagner auf Flaschenpreise von 120 bis 240 Euro. In der Woche sind diese Läden oftmals leer und die Betreiber haben zum Teil Schwierigkeiten  neue Tänzerinnen zu bekommen, da viele Frauen lieber gleich „anschaffen“ gehen würden, da sie dort mehr verdienen und bei Frauen außerhalb des Milieus in der Regel Berührungsängste bestehen.

Während  in diesen Läden die Zeit seit den 60ern stehengeblieben zu sein scheint und sie so als Relikte der „Golden Sixties and Seventhies“ überdauert haben, merkt man den moderner ausgestatteten Live-Bars einen deutlich höheren Kapitalfluss an, obwohl auch in diesen Läden wenig Kunden anzutreffen sind. Die Inneneinrichtung wird von vielen Spiegeln und Chrom bestimmt, in zwei dieser Bars setzt sich die Bühne über eine Art Laufsteg in Richtung Publikum fort und die Beleuchtungstechnik ist weitaus aufwendiger. Die Preise für die Grundgetränke liegen um einige Euro höher als in den „alten“ Läden. Bei allen diesen Bars, den modernen, wie den alten, fiel die Unlust der Tänzerinnen während ihrer Show auf, wie auch die Tatsache, dass fast alle Frauen einen deutlichen Mangel an tänzerischer Kompetenz hatten, diese Läden also eine deutliche Ausrichtung auf das Geschäft mit dem Alkohol und der verdeckten Prostitution erkennen lassen. Jeder dieser Nachtclubs hat einen Portier, auch „Koberer“ genannt, als Türsteher. Früher, bis Mitte der 80er Jahre, standen noch mehr als 80 Koberer von 19 bis 4 Uhr vor den „echten Clubs“ auf St. Pauli. Aber der Großteil der niveauvollen Erotic-Theater hat  inzwischen geschlossen und potenzielle neue Betreiber haben in der Regel Probleme eine neue Konzession zu erhalten. Heute stehen  noch ca. 15 „Portiers der alten Schule“ rund um die Reeperbahn und in der Großen Freiheit, bei denen sich ein klarer Generationsunterschied zu den jüngeren Türstehern der Musikclubs zeigt.

Es gibt in Hamburg keine prosperierende Pornofilmindustrie wie in den USA, wo sich ein gut funktionierendes und lukratives Zusammenspiel von Filmproduktionen und Auftritten der Filmstars in den Stripbars entwickelt hat. Die Krise des Striptease auf der Meile liegt einerseits an der seit den 60ern enorm ansteigenden Verbreitung von visueller Erotica in Printmedien, Filmen und im Internet bis hin zu den Video-Peep-Shows, die zu einer Übersättigung geführt haben, so dass die bloße Zurschaustellung des weiblichen Körpers ihren Reiz verloren hat. Eine weitere Ursache stellt das  milieubedingte Zusammenspiel zwischen Striptease, Animation und Prostitution dar, welches sich seit der Krise des Rotlichtmilieus in den 80ern im Niedergang befindet. Während ausnahmsweise alle befragten Frauen, die bereits länger oder früher als Tänzerinnen gearbeitet haben, sagen, dass man früher gut- und bis zur Einführung des Euro verhältnismäßig verdienen konnte, haben sich die Einkommensverhältnisse in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Inzwischen arbeiten viele Migrantinnen aus Osteuropa in diesen Bars. Viele dieser St- Pauli-Läden scheinen entweder ausschließlich vom Wochenendgeschäft oder als Abschreibungsobjekte und Geldwaschanlagen zu existieren. Mischkonzepte von Striptease, Peep-Shows, Live-Musik, experimenteller Kunst und Kurzfilmen, bis hin zur Wiederbelebung des niveauvollen Striptease, stellen durchaus eine Marktlücke dar, vor allem wenn es Frauen von außerhalb des Milieus möglich wäre auf diese Art ihr Geld zu verdienen, ohne dabei mit prostitutiven Verhältnissen in Berührung zu kommen. Aber solche Konzepte scheinen mit dem alten St. Pauli-Milieu nicht realisiert werden zu können. (genau diese Lücke versuchen die Betreiberinnen von „Queen Cavalera“ – einer 2008 eröffneten Schwesternkneipe des Punk´n roll-Clubs „King Cavalera“ am Hans-Albers-Platz – mit einem wechselnden Angebot von Neoburleskeshows zu schließen)

Weiterhin gibt es eine Reihe von Live-Peep-Shows, bei denen die „Nevada-Peep-Show(Reeperbahn, Nähe Große Freiheit) einer der größeren Läden darstellt. In der Peepshow wird eine Mischung aus Striptease und reiner Präsentation des nackten weiblichen Körpers geboten. Die Frauen beginnen ihre Show, die meistens in einem Zeitraum zwischen 2-5 (früher 5-10) Minuten liegt, schon leicht bekleidet auf einer kleinen Bühne, früher rund und heutzutage meistens in der Art eines kleinen Laufstegs in deren Mitte sich eine bis zur Decke reichende Chromstange befindet. Diese ist oft das Zentrum der Darbietung, da es z.b. mit ihrer Hilfe leichter ist gymnastische Figuren aus dem klassischen Striptease auszuführen ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die Zuschauer befinden sich in räumlich abgegrenzten Einzelkabinen die rund um die Bühne gruppiert sind. Durch den Einwurf eines Geldstückes öffnet sich die Kabinentür (früher der Sehschlitz in der Kabine) und damit der visuelle Zugang zur Show. Normalerweise gibt es keinen körperlichen Kontakt zwischen der darstellenden Frau und dem Zuschauer. In den Hochzeiten der Peepshows bekam die Frau in der Regel eine Zusage für ein Engagement eines Monats. Die Arbeitszeiten und die Pauschalen waren bei vielen Peepshows verschieden, z.b. Frühschicht von 10-19 Uhr (9Std.), Spätschicht von 19-3 Uhr (8Std.). Pro geleisteter Schicht gab es  100DM. Die Frauen kamen auf ungefähr 4-5 Schichten die Woche, so dass sie im Monat 1500-2000 DM verdienten, plus das zusätzliche Geld für die „Extras“ wie Solovorführungen etc.. In jeder Schicht arbeiteten mehrere Frauen, jede tanzte in der Regel 45 Minuten. Gehörten z.b.  vier Frauen zu einer Schicht gab es nach dem Tanzen eine Pause von 15 Minuten. Die Bühne bestand früher aus einem kreisrunden, oft sich drehenden Podest oder aus einem Laufsteg, jeweils mit einer bis zur Decke gehenden Chromstange im Zentrum. Viele der Frauen versuchten die Männer zum Besuch einer Solo-Box zu animieren, ließ ein Mann sich darauf ein, löste er an der Kasse einen Extra-Bon/Chip der teurer ist als die reguläre 5min Show. Der Kassierer, der gleichzeitig auch Aufpasser und Diskjockey ist, ruft dann über Mikro die betreffende Frau zur Solokabine auf. In der Kabine stehen sich nun Peeperin und Zuschauer gegenüber. Am Anfang werden, falls üblich „Extras“ und deren Bezahlung ausgehandelt, dass kann, je nach Etablissement, bis zur Prostitution gehen. Ansonsten wird  unter Berücksichtigung der Kundenwünsche getanzt (z.b. 2 Minuten für 5 Mark) die Soloauftritte stellen eine weitere Verdienstmöglichkeit dar, ein prozentualer Anteil an diesen Extrabons (z.b. 2DM von fünf) steht den Frauen zu und wird entweder allabendlich oder monatlich ausgezahlt.

„Da ich der einzige Besucher war, erschien die Frau auf ein Signal hin und begann mit ihrer Vorführung direkt vor mir. Ein erschwerender Umstand  der Beobachtung und was ich auch persönlich als unangenehm empfunden habe, war die Höhe meines Blickes aufgrund der räumlichen Begebenheiten. Der Laufsteg ist um einiges höher als die Kabine. Der untere Teil ist durch eine Plexiglasscheibe abgegrenzt, der obere Raum ist völlig frei. Der Blick geht genau auf die Höhe des Unterleibs der Tänzerin. Die Frau ist unter 25 Jahre, hat langes Haar, ist schlank und leicht bekleidet. Sie trägt ein weißes Spitzenunterhöschen und – BH  und ein weiteres, leichtes Oberteil, ihre Schuhe sind hochhackig, mit breiten Absätzen. Die Frau hat Erfahrungen in Jazz-Dance, bzw. vergleichbaren Tanzstilen.. Ihre Choreographie war leicht, nicht schweißtreibend und bestand in einer Gesamtfigur, die sich hauptsächlich um die Chromstange und am Platz des Laufsteges, direkt vor mir, bewegte. Mimik und Sprache spielten keine Rolle. Ihre Hände hingegen sind ein wichtiges Ausdrucksmittel. Indem sie ihren Körper streichelnd von Oberschenkeln bis Bauch entlangfährt. Oder, was bei ihr 4-5 mal vorkommt, die Präsentation ihres straffen Hinterns, bei kreisender oder hin- und herbewegender Beckenbewegung, auseinandergestellten Beinen in Schulterbreite, bei einem, leicht nach vorne gebeugten Oberkörper. Eine Stellung, die vollen Einblick auf – und in ihr Geschlecht geben würde, welches sie aber jedesmal mit ihrer Hand, an der sie einen Goldring trug, bedeckte. Der eigentliche Strip gestaltete sich folgendermaßen: zuerst zog sie ihren Slip aus und zeigte bei kreisenden Becken ihre frisch rasierte Vulva, dann eine Drehung um die Stange, wobei sie eher nebensächlich, ihr Oberteil auszog, In einer Figur hob sie, wie beim CanCan, ihr Bein zu einer halben „Gitarre“ und fuhr mit ihren Händen am Bein entlang. Beim akustischen Signal des Münzautomaten brach sie ihre Vorführung ab und sagte noch ihren Namen, für den Fall, dass man Interesse an einem Solo für 6 € hat.(…) Abschließend kann man sagen, dass die Innenarchitektur und Konzeption dieser Art von Peepshow nur eine bestimmte Art von sexuellen Entertainment zulässt. Ähnlich wie es die Kamera im standardisierten pornographischen Film vorgibt, wird der Blick der Zuschauer auf eine reine Genitalschau fixiert“

Nevada Peepshow,2003, Beschreibende Beobachtung,  Ethnologie,  Uni HH

Die Live-Peepshows, die Ende der 70 und Anfang der 80er boomten, wurden großteils durch Videoautomaten ersetzt. In diesen Einzelkabinen kann der Kunde nach Einwurf von Münzen zwischen einer Vielzahl von Pornofilmen wählen.1982 wurden in einem Präzedenzfall durch das Bundesverwaltungsgericht die Berliner Peep-Shows geschlossen, da, so die Urteilsbegründung, die Art und Weise der Zuschaustellung des weiblichen Körpers gegen die Prinzipien der Menschenwürde verstoße. Die Besitzer der Peep-Shows reagierten auf dieses Grundsatzurteil mit baulichen Maßnahmen, einer veränderten Innenarchitektur und einer verstärkten Technisierung und Rationalisierung. Anstatt des Sehschlitzes, der sich nach dem Münzeinwurf des Zuschauers öffnete und den Blick freigab auf ein drehendes, rundes Podest mit einer tanzenden und strippenden Frau, gab es nun eine Plexiglasscheibe, die die Zuschauerkabine von dem erhöhten Podest auf dem die Darstellerin ihren Körper präsentierte, trennte. Ein großer Anteil der Live-Shows wurde abgeschafft zugunsten von Videokabinen, wo man nach Münzeinwurf, eine Auswahl zwischen verschiedenen Pornofilmen treffen konnte. Aus vielen  Peep-Shows entwickelten sich kleine Warenhäuser für Erotica, wo von Magazinen, Puppen, Vibratoren und Videos bis spezieller Unterwäsche alles zu kaufen war. Die Peep-Show, wenn sie nicht durch Filmkabinen ersetzt wurde, lieferte nur noch das Begleitprogramm, wo sie vorher die Hauptattraktion war. Für die Frauen bedeutete dies einen enormen Einschnitt in ihre Verdienstmöglichkeiten während sich gleichzeitig die Konkurrenzsituation und die Arbeitsbedingungen verschärften. Für die männliche Kunden bedeutete diese Modernisierung einen Verzicht auf ihre onanistischen Neigungen, der viele bei dem alten Modell der Peepshow mit Sehschlitz, nachgegangen waren.

Herbertstraße

In der Herbertstraße, die in der Tradition der kasernierten Prostitution steht, befinden sich 19 Häuser für über 200 Prostituierte. In dieser, von den umliegenden Straßen durch Sichtblenden abgetrennten Straße, können die potentiellen Kunden die in den „Koberzimmern“ sitzenden Frauen, ähnlich wie in Amsterdam, durch große Fenster begutachten. Die Frauen versuchen durch Gesten, Klopfen an den Fenstern und direkter Ansprache auf sich aufmerksam zu machen. Bei Interesse wird bei geöffnetem Fenster über Vorlieben und Preise verhandelt und bei Einigung der Kunde dann in die hinteren Räume geführt. Die Preise in der Herbertstraße lagen 1992 bei 50DM Handarbeit, 100DM für eine Nummer im Bett, Extras mit jeweils 50.- Aufpreis. Es gibt zwei 10- Stunden-Schichten in denen das Personal wechselt, von 6 – 11 h sind nur wenige Frauen anzutreffen, danach füllen sich die Schaufenster. Die Immobilien werden durchgehend in einer Tagesschicht von 10-20 Uhr, einer Nachtschicht von 20-6 Uhr und einer Frühschicht, die um 6 Uhr beginnt, genutzt. Die Frauen, die hier arbeiten sind meist selbständige Unternehmerinnen und zahlen die Miete an den Wirtschafter, der für den Besitzer die Geschäfte führt.

Eine bekannte Persönlichkeit, die lange in der Herbertstr. gearbeitet hat, war Domenica, eine stadtbekannte Hure. Sie begann ihre Karriere in den 70er Jahren im Palais d´Amour und wechselte dann in die Herbertstraße. Sie befand sich jahrelang im Focus der Hamburger Boulevardblätter und wurde als Vorzeigefrau zu progressiven gesellschaftlichen Anlässen eingeladen. Ihre Arbeit  besang  sie in dem Lied „Alle meine Freier…hießen alle Maier“. Sie engagierte sich in der Selbsthilfeorganisation „Solidarität Hamburger Huren“ und organisierte das Sozialhilfeprojekt „Raggazza e.V.“

Viele der Frauen in der Herbertstrasse haben sich auf ein sadomasochistisches Angebot spezialisiert, zum Teil, weil der Altersdurchschnitt der Frauen erheblich höher liegt als der der Frauen auf der Davidsstraße oder in den Großbordellen auf der Reeperbahn, sie als Domina aber durchaus noch bis zum 50. Lebensjahr arbeiten können. Außerdem ist die Verdienstspanne bei einer geringeren Anzahl von Freiern weitaus höher. Das SM-Klientel wurde außerdem eine Seitenstrasse weiter, in der Erichstr., wo sich bis in die 60er der Straßenstrich gehalten hat, vom „Club de Sade“ und dem „Club Justine“ bedient. Beide Clubs haben dort seit über 30 Jahren ihren Sitz, Jahrzehnte bevor SM zu einer Modeerscheinung wurde, sind inzwischen (2009) allerdings abgewirtschaftet. Neben Offerten des individuellen Service wurden dort  Themen- und Einsteigerabende, bei günstigen bis freien Eintritt, veranstaltet. Die Getränkepreise bewegten sich im oberen Bereich. Eine professionelle Domina muss nicht nur mit den einschlägigen SM-Praktiken vertraut sein, sondern auch über Einfühlungsvermögen, wie medizinische und psychologische Grundkenntnisse verfügen. Zum Programm können Rollenspiele, Flagellationen, „Natursekt“ und „Kaviar“ gehören. Bei den vielzähligen Arten des Schmerzzufügens wird in der Regel vor Beginn der Session ein Codewort vereinbart, mit dem der Kunde zu verstehen geben kann, das seine Leidensfähigkeit erschöpft ist oder andere Unstimmigkeiten bestehen.

„Psychologische Kenntnisse sind sehr wichtig.(…) Ich muss eine Kommunikation mit dem Kunden aufbauen, die aus Augenkontakt, aus Körpersprache, auch aus verbaler Sprache besteht. Ich muss ein Gefühl für die Situation haben. Ein Beispiel: Ich kann eine Abstrafung, eine Auspeitschung, vornehmen und bei fünf verschiedenen Kunden kann sie in völlig verschiedenen Atmosphären stattfinden. Der eine ist ein Flagellant, der die Körperreize braucht; dabei agieren wir aber auf gleicher Augenhöhe, können in der Zwischenzeit miteinander reden und lachen. Er kann sogar einen Wunsch äußern – das ist alles möglich. Der andere dagegen braucht eine Abstrafung, weil er mir etwas erzählt hat, dass er etwas gemacht habe, was nicht in Ordnung sei, weswegen er jetzt bestraft werden müsse. Und der nächste, der kommt, ist grundsätzlich der ausgepeitschte Sklave, der innerlich vor der Herrin unten sein will. Obwohl ich handwerklich also immer das Gleiche tue, geschieht alles in verschiedenen Atmosphären, darauf muss ich mich einstellen.“

Lady Vera(58) – Domina, Berlin. Zitat aus: “Die Wa(h)re Lust”, Marcel Feige, 2004, Schwarzkopf&Schwarzkopf Verlag Berlin, Seite 127

Neben den Frauen, die wie in der Herbertstr. oder in Wohnungen ihre Dienste anbieten, gibt es auch richtige Domina-Studios. Die Ausstattung eines Studios kann sehr aufwendig sein, neben dem üblichen Kleidung und dem entsprechenden Handwerkszeug kann das Interieur von Streckbank, Körperaufhängungen, Käfigen, bis zu speziellen Themenzimmern, wie Klinik/Pathologie bis zum mittelalterlichen Folterkeller reichen. So eine Ausstattung bedingt größere Vorinvestitionen, die leicht von 10.000-50.000€ und weit darüber hinaus reichen können. In einem Studio liegt der Stundentarif bei ca. 200€. Dominas die außerhalb eines Studios ihre Dienste anbieten und über weniger Equipment verfügen sind in der Regel billiger, bei Tarifen zwischen 100-150€.  Neben dem Club de Sade haben sich in den letzten Jahren weitere Clubs und Bars von und für die SM-Szene gegründet. Die „UnSchlagBar“ (Nobistor 36), der „Club Touch“ (Erichstrasse 16) und das „Café SittsaM“ (Wexstraße 42), welches als einzigstes Lokal außerhalb St.Paulis liegt. Dort werden u.a. SM-Stammtische von „Schlagzeilen“ organisiert.  „Schlagzeilen“ ist aus dem Charon Verlag (Simon-von-Utrecht-Straße 4) heraus entstanden. Sie veranstalten in der Boutique Bizarre auf der Reeperbahn Workshops zu verschiedenen SM-Praktiken und bieten auf ihrer Webseite „schlagzeilen.com“, die neben „SklavenZentrale.com“ eine der wichtigsten deutschsprachigen Webplattformen für die SM-Gemeinde ist, eine umfangreiche Ressource zum Thema Seil- und Japanische Bondage (Shibari) an.

Die 2003 gegründete „BundesVereinigung SadoMasochismus“ nutzt neuerdings diese Webseiten ebenfalls als informelles Medium. Der BVSM engagiert sich u.a. für eine Verbesserung des Datenschutzes für Patienten, insbesondere für eine Streichung der „Kategorie F65“.  Seit 2004 werden ärztliche Diagnosen an die gesetzlichen Krankenkassen für die Abrechnung. nicht mehr fallbezogen, sondern personenbezogen weitergeben, damit ärztliche Leistungen und weitere Behandlungskosten der bei ihnen versicherten Personen direkt zugeordnet werden können. Mit Hilfe eines Diagnoseschlüssel werden spezielle sexuelle Interessen unter der Kategorie F65 erfasst.  – F65.5 Sadomasochismus, F65.0 Fetischismus und F65.1 fetischistischer Transvestitismus –  Damit wird die ärztliche Schweigepflicht unterlaufen und persönliche Daten des Patienten können in die Hände Dritter geraten, was für Betroffenen unangenehme Konsequenzen haben kann..

Feige Marcel, 2004, “Die Wa(h)re Lust” Schwarzkopf&Schwarzkopf Verlag Berlin

Sexshops

Bei dem Segment der Sexshops zeigt sich eine zunehmende wirtschaftliche Konzentration. Neben dem Erotikkaufhaus „WOS – World of Sex“ gibt es die Sex-Shop-Kette der Firma „Koch&Devil&Heaven“ zu der unter verschiedenen Namen die Boutiquen in der Reeperbahn 88, 90, 152 mit der „Darkside Boutique“(Hustlersortiment) und der Laden am Spielbudenplatz Nr.5 gehören. Alle diese Läden führen ein breitgefächertes Sortiment von Videofilmen, Magazinen, Toys und Wäsche und Video-Peep-Shows. Drei weitere Filialen dieses Unternehmens befinden sich auf  dem Steindamm/St. Georg. Daneben gibt es noch einige kleinere Läden wie die Condomerie (Reeperbahn, Ecke Taubenstraße), die bereits seit 1988, vor dem Boom der Sex Shops in den 90ern, besteht. Weitere Unternehmen haben sich erfolgreich auf den Bereich SM und Fetisch spezialisiert, dazu gehören die Boutique „Fashion and Tools“ (Reeperbahn 38) und „Absolute Danny“(Reeperbahn 40) dessen Betreiber  als einzige Hamburger auf dem „German Fetish Ball“ (Mai 2004) vertreten waren. Die Geschäftsführung befindet sich wahrscheinlich in Holland, zumindestens liegen die  Rechte  der Webseite in Amsterdam. Herausragend ist die „Boutique Bizarre“ (Reeperbahn 35), die es  seit 1991 auf  dem Kiez gibt und  die nach erfolgten Umbau und Erweiterung des Geschäftes auf 1400 qm Verkaufsfläche (2002), das größte Erotik-Kaufhaus St. Paulis mit dem Schwerpunkt auf SM und Fetisch ist. In den Räumen laufen ständig Kunstausstellungen der SM-, Fetisch-, und Gay-Community. Aber auch solide mittelständische Unternehmen sind, bzw. waren bis vor kurzem auf der Reeperbahn vertreten. Die Schuhgeschäfte „Schuh Messmer“ und  „Schuh-Blicker“ zählen beide die Frauen aus der Herbertstraße und Großen Freiheit, die Künstler des Travestie-Theaters „Pulverfaß“ und Theaterausstatter zu ihrem festen Kundenstamm. „Schuh Messmer“ eröffnete vor über 150 Jahren  unter dem Namen „Witt-Walden“ auf der Reeperbahn. Seit über 30 Jahren führt Paul Messmer neben Alltagsschuhen ein ausgefallenes Sortiment an farbenfrohen Plateausandalen, hochhackigen Lackstiefeln und Stilettos. Seit den 50er Jahren gibt es die Konkurrenz „Schuh-Blicker“ in der Nähe der S-Bahn Reeperbahn. Das Sortiment ist dem Messmers ähnlich, allerdings mit einer größeren Auswahl an High Heels. Die Krise des Rotlichtmilieus haben diese Schuhgeschäfte allerdings auch zu spüren bekommen; während früher Zuhälter mit ihren Frauen mal eben für 1000DM Schuhe aussuchten, lassen die Frauen heute schon mal ein Paar High Heels zurücklegen, weil das Geld nicht langt. In der Davidstraße Nr.5 befand sich bis 2004 „Leder-Puls“, bzw. die „Puls-Drugstore“. Dort wurden über 20 Jahren lang maßgefertigte  Hand- und Fußfesseln, Gerten und Peitschen, Kopfmasken und Keuschheitsgürteln in Handarbeit produziert. Inzwischen wird die Produktion und der Versand  von Ungarn aus betrieben.