Posts Tagged ‘Variete

11
Feb
10

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis im Verhältnis der politischen und städtebaulichen Rahmenbedingungen

Inhalt

.

Preface
Die Entwicklung von Hamburg,  Altona und der Vorstadt St. Pauli – Ein kurzer historischer Abriss-
Hamburg
Altona
St. Pauli

.

Das Unterhaltungsgewerbe in St. Pauli und der Alt- und Neustadt
Die Aufhebung der Torsperre – Singspielhallen und Tanzlokale
Der Hamburger Dom, Tingeltangel und Variete
Massenunterhaltung in festen Häusern – Der Spielbudenplatz und die Große Freiheit
Eine neue Theaterlandschaft
.
Verschiedene Obrigkeiten – verschiedene Rechts- und Handelssysteme
Warenschmuggel und Zensur
Kneipen, Kaschemen und Pennen – Die Grenzregion zwischen Hamburg und Altona
Politische Instabilität und politische Radikalisierung nach dem 1. Weltkrieg
Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächter – Die Entstehung eines modernen Polizeiwesens
.
Stadtentwicklung und „soziale Fremdkörper“
Hamburgs Eingliederung in den preußischen Nationalstaat und die Entstehung
einer Gewerkschaftsorganisation
Das Konzept der Citybildung und die Zerstörung der Gängeviertel
Das Gängeviertel
.
Das Prostitutionsgewerbe in Hamburg und St. Pauli
Mamsellenhäuser, Freudenhäuser und Bordelle – Alte Prostitutionsquartiere Hamburgs und St. Paulis
Bordellwirte und Verschickefrauen
Reglementierte und heimliche Prostitution
Mädchenhandel – Kampagnen und Wirklichkeit
Die Einschränkung des Hamburger Bordellwesens unter preußischer Einflussnahme
Die Prostitution in St. Pauli – Tanzlokale und „stille Wirtschaften“
Schlaf- und Heuerbasen in der Heinrichstraße (Herbertstr.)
Zuhälter und Ringvereine
Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung und das Prostitutionswesen
Schließung der Bordelle
Hamburg und St. Pauli unter faschistischer Herrschaft
.
Der Mythos St. Pauli – Erinnerung und Gegenwart
Hamburg und St. Pauli nach `45 bis in die 50er
Das Prostitutionsgewerbe und das Rotlichtmilieu seit der Nachkriegszeit
Die 60er Jahre – Musikclubs, Liberalisierung und die „St. Paul-Nachrichten“
Das Sexbusiness  in St. Pauli 1968
Die „Große Freiheit“ – Kabaretts und Transvestiten
Die 80er  Jahre  – ein Stadtteil im Umbruch
Musikclubs und „Kulturmeile“
.
Die Prostitution im Hamburger Raum

Zuhälter und organisierte Kriminalität
Straßenstrich, Modellwohnungen und Bordelle
Migrantinnen im Prostitutionsgewerbe
Hamburger Initiativen und Organisationen
Im Detail: Sexuelles Entertainment auf St. Pauli

18
Jan
10

Der „pikante“ Film

Im Gegensatz zum frühen pornographischen Film, der überwiegend in Bordellen gezeigt wurde, war der sogenannte „pikanten Film“ anfänglich erlaubt, bzw. geduldet und wurde öffentlich aufgeführt, bis er dann um 1910 verstärkt in den Fokus der Sittenwächter und Polizei geriet.
Der Begriff „pikant“ war um die Jahrhundertwende im bürgerlichen Sprachgebrauch verankert und wurde gleichbedeutend mit Charakterisierungen wie „erotisch“, „anstößig“ und „anzüglich“ verwendet. Pikante Szenen, bzw. Elemente gehörten damals zum festen Repertoire des Varietes und des Postkartengewerbes, bis sie dann im neuen Medium Film ebenfalls einen lukrativen Markt darstellten.

Um die Jahrhundertwende florierte das pikante Postkartengeschäft unter der Bezeichnung „Akademien“, bzw. „Künstlerstudien“ oder „Etudes Artistique“. Diese Aktaufnahmen sollten dem Worte nach als photographische Zeichenvorlagen dienen um Kunststudenten, die nicht genügend Geld besaßen um sich Aktmodelle leisten zu können ihr Anatomiestudium zu ermöglichen. Der wirkliche Kundenkreis dieser Postkarten war allerdings erheblich größer.

Ein bekanntes pikantes Motiv um die Jahrhundertwende war eine Entkleidungsszene der Darstellerin Louise Willy, die damit in dem Pariser Variete Olympia auftrat. Die wesentlichen Phasen dieser Szene wurden weitergehend in einer Serie von Postkarten vermarktet. 1896 wurde dieser Variete-Akt mit der gleichen Darstellerin in dem Film „Le Coucher de la Marie“ von Eugen Pirou auf Zelluid gebracht und fand seinen Weg zum Berliner Apollo-Theater, wo er unter dem Titel „Endlich allein“ im Rahmen von Messters Filmprogramm aufgeführt wurde. Weitere beliebte Motive stellten die „lebendigen Bilder“ dar. Dies waren Sujets in denen die Darstellerinnen leichtbekleidet oder in enganliegenden fleischfarbenen Trikots klassische Themen der Malerei und Bildhauerei nachstellten. Bekannte Motive wie „Die Venus“, „Raub der Sabinerinnen“ oder „Tanz der Salome“ gehörten zum Programm vieler Varietes und wurden auf Postkarten vermarktet und später dann verfilmt.

Bei den „pikanten“ Filmen der frühen Stummfilmära sind folgende Sujets besonders häufig anzutreffen: Tanzszenen, für den Voyeur gestellte Entkleidungsszenen und der „Künstler und sein Modell“. Bei den Tanzszenen waren dies vor allem der Serpentinentanz und der Bauchtanz.
Fatima, eine professionelle Bauchtänzerin, bekannt geworden durch ihre Auftritte bei der Chikagoer Weltausstellung, trat in mindestens vier Filmen in Erscheinung: „Fatima´s Coochee-Coochee-Tanz“ (1896), „Fatima“ (1897), “Fatima, Star of the Orient” (1899),“Fatima, Couchee Dancer” (1903).

Erotische Filme wurden im Rahmen sogenannter „Herrenabende“ gezeigt, bei der neben den bereits genannten auch Filmsequenzen von chirurgischen Operationen sowie über Krankheiten und missgebildete Körper zur Aufführung kamen. Als eine relative Blüte des erotischen Films gilt die Epoche des Wanderkinos. Zumindestens im österreichischen, bzw. deutschsprachigen Raum gelang es den Wanderkinobesitzern der Theaterzensur und den Polizeikontrollen in der Regel zu entgehen, da sie ihre „pikanten“ Filme erst am letztem Tag im Ort aufführten und am folgenden weiterzogen.

1906 existierte in Wien bereits die „Erste Leihanstalt für hochpikante Herrenfilme“. Es folgten weitere Verleiher, wie auch die Anzahl der Herrenabende, die in den ständigen Kinos gezeigt wurden, zunahm. Die Fachpresse publizierte ganz offen Inserate für den Verleih und den Verkauf erotischer Filme. Erotische Produktionen, die die Nacktheit ihrer Darstellerinnen in der Regel nur andeuteten, wurden auch in großer Zahl von den großen Produktionsfirmen wie Messter und Pathe auf den Markt gebracht. Deutlichere erotische und pornographische Filme wurden in der Regel anonym gehandelt, also ohne Angaben einer Produktionsfirma und Personaldaten. Eine bekannte Filmproduktion dieses Genres war die Wiener Filmproduktion „Saturn“. Sie stellte ausschließlich erotische Filme her und vermarktete sie über einen Bestellkatalog. Saturn war eine der wenigen bekannten europäischen Produktionsfirmen dieser Zeit, die offen mit Erotica auf Zelluid handelten. Eine weitere Firma war die deutsche Venus-Film. 1911 beschwerten sich allerdings die Vertreter Deutschlands, Englands, Japans und Italiens beim Wiener Außenministerium über die Einfuhr obszöner Filme der Saturn-Produktion, die daraufhin zum Teil konfisziert oder mit Schnittauflagen versehen wurden.

Der Handel mit erotischen Waren aller Art hatte in den Augen der Sittenwächter ein solches Ausmaß angenommen, das bereits 1910 in Paris eine internationale Konferenz zur Bekämpfung der Pornographie organisiert wurde. In Frankreich griff die staatliche Zensur erstmals 1911 ein, indem sie den dänischen Film „Tanz des Vampirs“ verbot und 1914 den als zu erotisch beurteilten schwedischen Film „Opiumträume“. In Frankreich bestand bis 1928 (dann kamen die surrealistischen Filme in die Kinos) auf dem offiziellen Filmmarkt eine rigide Zensur. Ein Umstand der zu einem florierenden Untergrundmarkt sogenannter „Spezialitäten-Produktionen führte, für die Frankreich in diesem Zeitraum allgemein bekannt war. Aus dem Jahr 1913 sind für Preußen interne Richtlinien der Zensurbehörden für den pikanten Film bekannt. Danach wurden „unsittliche Vorgänge und Handlungen und lüsterne, geschlechtlich anregende, unanständige und anstößige Darstellungen“ beanstandet. Darunter fielen in der Praxis Umarmungs- und Kussszenen, Darstellungen des Ehebruchs, Entkleidungen, Bettszenen, sowie Apache- und Schiebertänze.

Sittenfilme zwischen Aufklärung und „Pikanterie“

Zum Ende und nach dem ersten Weltkrieg wurde in Deutschland eine Reihe von Aufklärungsfilmen produziert. Der Regisseur Richard Oswald drehte bereits 1917 im Auftrag des Kriegsministeriums den Film „Es werde Licht“, der die Bevölkerung über die Geschlechtskrankheit Syphilis informieren sollte. „Es werde Licht“ entwickelte sich wegen des großen Erfolges zu einem Projekt in deren Folge insgesamt 4 gleichnamige Filme entstanden, von denen die ersten beiden von der „Deutschen Gesellschaft zu Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ gefördert wurden. Teil 2-4 wurden alle 1918 gedreht. Mit dem vierten Teil, der auch unter dem Titel „Sündige Mütter“ lief, nahm sich Oswald des Themas Abtreibung an. 1926 drehte Richard Oswald einen Remake von „Es werde Licht“ mit dem Titel „Dürfen wir schweigen“ mit Conrad Veidt in der Hauptrolle.

Der Regisseur Richard Oswald war mit dem ursprünglichen Namen Richard W. Ornstein 1880 in Wien geboren. Er kam ursprünglich vom Theater, wo er in Wien bereits Erfahrungen als Schauspieler, Dramaturg und Regisseur gemacht hatte, bis er dann mit 30 Jahren an das Düsseldorfer Schauspielhaus wechselte und ab 1911 erste Filmerfahrungen sammelte. 1913 wechselte er nach Berlin und arbeitete bei der Vitascope (später PAGU) in verschiedenen Bereichen als Werbefachmann bis zum Darsteller und wurde dann als Filmdramaturg und Regisseur tätig. Eines seiner Frühwerke, das „Eiserne Kreuz“ wurde 1915 von der Militärzensur wegen seiner pazifistischen Tendenz verboten und sämtliche Kopien beschlagnahmt. Insgesamt realisierte R. Oswald mehr als 150 Filme. Er brachte u.a. Anita Berber zum Film. Sie spielte in den Filmen „Dida Ibsens Geschichte“, „Prostitution“, „Anders als die Anderen“ und in „Nachtgestalten“ mit.

1919 entstanden eine ganze Reihe von diesen Aufklärungsfilmen, u.a. „Keimendes Leben“/ R.: Louis Ralph, sowie „Prostitution“ und „Anders als die Anderen“, der das Thema Homosexualität aufgriff. Der Regisseur bei beiden Filmen war wiederum Richard Oswald. Zu den Aufführungen dieser Filme wurde in allen Tageszeitungen (Bsp. Hamburg) mit großformatigen Anzeigen geworben. Oswalds Filme waren nur einige in einer Vielzahl von Produktionen, die aber von einer ernst gemeinten Intention, die auf eine sexualreformerische Liberalisierung der betreffenden Gesetze drang, geleitet wurde. Weitere Filme mit ähnlichen Intentionen waren „Kreuzzug des Weibes“ (1926) von Martin Berger, der in die damals aktuelle Diskussion um den Abtreibungsparagraphen 218, bzw. seiner Reformierung oder Abschaffung eingriff. Der Film wandte sich deutlich gegen den §218 und schilderte das fiktive Schicksal einer jungen Lehrerin, die von einem Schwachsinnigen vergewaltigt und geschwängert wird. Der 1928 erschienene Film „Geschlecht in Fesseln“ von Wilhelm Dieterle nahm sich des Themas der Sexualnot von Strafgefangenen an und basierte u.a. auf den Arbeiten von Franz Hollering und Karl Plättner („Eros im Zuchthaus“)

Durch den kommerziellen Erfolg dieser als „Sittenfilm“ bezeichneten Produktionen und aufgrund des Umstandes das zwischen 1918 und 1920 keine Filmzensur bestand, folgte den Aufklärungsfilmen eine Welle von Filmen wie „Hyänen der Lust“, „Der Schrei nach dem Weibe“ oder „Peitschende Sinne“. Die Handlungen  dieser Filme sollen größtenteils nur Aufhänger für pikante Schlüsselszenen wie Entkleidung und Verführung, etc.- gewesen sein. Die Darstellung von Nacktheit war in diesen Filmen ohne weiteres möglich, blieb aber hauptsächlich um die Lust am als abwegigen, skandalösen und verbotenen Empfundenen zentriert.

In der Hochzeit des sogenannten Sittenfilms, nach dem Wegfall der Filmzensur 1918/19 lösten viele dieser Filme Proteste und Diskussionen aus. In mehreren größeren Städten protestierten verschiedene Frauenverbände gegen die „Herabwürdigung der Frau“ in vielen dieser Filme. In Dresden veranstalteten sie einen Protestmarsch gegen die Aufklärungs- und Animierfilme, was in dieser Stadt wiederum die Prostituierten auf den Plan rief, die sich mit einer Resolution für die kinematographische Aufklärung aussprachen.

„Wir gefallene Mädchen beklagen den sittlichen Tiefstand und die Unmoral der „Kavaliere“, die angenehme Stunden mit uns verbringen und uns behandeln, als ob wir Spielbälle wären und ihre selbstverständlichen Opfer. Unsere außerehelichen Kinder schreien nach Rache. Wollen die Damen der Gesellschaft vielleicht noch länger über dieses grenzenloses Elend Stillschweigen bewahren, wort- und tatenlos zusehen! Was in letzter Zeit in den Kinos vorgeführt wurde, sind rein aus dem Leben gegriffene Tatsachen, an denen nichts zu ändern ist.“

Im Mai 1920 wurde ein Reichsgesetz zur Regelung aller Filmfragen erlassen und damit die Filmzensur wieder eingeführt. Ein Verbot dieser Sittenfilme im Rahmen einer neuen institutionellen Filmzensur oder einer freiwilligen Selbstkontrolle, kam den großen Filmstudios, allen voran der Ufa, gelegen, da viele dieser Produktionen von kleineren Studios realisiert wurden, die den Gewinn abschöpften. Das Genre erlebte zum Ende der 20er Jahre eine kurze Renaissance mit Filmen wie „Casanova“/1927, R.: Alexander Volkhoff  und „Eros in Ketten“ /1930, R.: Conrad Wiene.

Weitere Filme, die sich spektakulär mit der Prostitution und Sittenfragen beschäftigten, waren die des Regisseurs G.W.Pabst. So der Film „Die freudlose Gasse“ (1925) dessen Handlung in der Melchiorgasse Wiens, inmitten der Inflationsjahre 1921 spielt. Die Einwohner der durch die Wirtschaftskrise verelendeten  Strasse sind von zwei korrupten Geschäftemachern abhängig. Einem Fleischer(Werner Krauss), der seine Vorräte nur gegen Zusatzleistungen, wie Liebesdienste herausgibt und die Inhaberin eines Modesalons(Valeska Gert), die zwar gegen Kredit verkauft, im Gegenzug die jungen Damen aber in die Prostitution zwingt, u.a. die in Not geratene Marie(Asta Nielsen), Grete (Greta Garbo) und Else (Herta v. Walter). 1929 folgten die Filme „Die Büchse der Pandora“ und „Das Tagebuch einer Verlorenen“. Das Drama „Die Büchse der Pandora“ (1902) von Franz Wedekind wurde 1904 vom Staatsanwalt beschlagnahmt und Wedekind und sein Verleger wurden wegen dem Verbreiten unzüchtiger Schriften angeklagt, schlussendlich aber freigesprochen. Die Verfilmung von G.W. Pabst  mit Louise Brooks in der Hauptrolle des Vamps Lulu entsprach nicht den Erwartungen des bürgerlichen Publikums, die den Film an dem inzwischen populären Theaterstück Wedekinds maß. „Das Tagebuch einer Verlorenen“, die Geschichte einer Prostituierten, wurde ebenfalls mit Louise Brooks in der Hauptrolle realisiert. „Das Tagebuch“  wurde erstmals von Richard Oswald 1918 verfilmt und zwar mit so einem Erfolg, dass im gleichem Jahr ein zweiter Teil nachgedreht wurde. Auf dem gleichen Stoff basiert der Film „Dirnentragödie“(1927, R.: Bruno Rahn).

Achenbach, Michael; Caneppele, Paolo, Kieninger, Ernst, „Projektionen der Sehnsucht – Saturn. Die erotischen Anfänge der österreichischen Kinematographie“,  Filmarchiv Austria, Wien 2000

Elsaesser, Thomas; Wedel, Michael, „Kino der Kaiserzeit“, edition text+kritik, 2002, München
speziell „Der pikante Film“ / S.45-59 von Jean Paul Goergen

Seesslen, Georg, „Erotik – Ästhetik des erotischen Films“, Schüren-Verlag, Marburg, 1996

Thiessen, Rolf , „Sex verklärt – Der deutsche Aufklärungsfilm“, Heyne-Verlag, München, 1995