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11
Feb
10

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis im Verhältnis der politischen und städtebaulichen Rahmenbedingungen

Inhalt

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Preface
Die Entwicklung von Hamburg,  Altona und der Vorstadt St. Pauli – Ein kurzer historischer Abriss-
Hamburg
Altona
St. Pauli

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Das Unterhaltungsgewerbe in St. Pauli und der Alt- und Neustadt
Die Aufhebung der Torsperre – Singspielhallen und Tanzlokale
Der Hamburger Dom, Tingeltangel und Variete
Massenunterhaltung in festen Häusern – Der Spielbudenplatz und die Große Freiheit
Eine neue Theaterlandschaft
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Verschiedene Obrigkeiten – verschiedene Rechts- und Handelssysteme
Warenschmuggel und Zensur
Kneipen, Kaschemen und Pennen – Die Grenzregion zwischen Hamburg und Altona
Politische Instabilität und politische Radikalisierung nach dem 1. Weltkrieg
Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächter – Die Entstehung eines modernen Polizeiwesens
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Stadtentwicklung und „soziale Fremdkörper“
Hamburgs Eingliederung in den preußischen Nationalstaat und die Entstehung
einer Gewerkschaftsorganisation
Das Konzept der Citybildung und die Zerstörung der Gängeviertel
Das Gängeviertel
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Das Prostitutionsgewerbe in Hamburg und St. Pauli
Mamsellenhäuser, Freudenhäuser und Bordelle – Alte Prostitutionsquartiere Hamburgs und St. Paulis
Bordellwirte und Verschickefrauen
Reglementierte und heimliche Prostitution
Mädchenhandel – Kampagnen und Wirklichkeit
Die Einschränkung des Hamburger Bordellwesens unter preußischer Einflussnahme
Die Prostitution in St. Pauli – Tanzlokale und „stille Wirtschaften“
Schlaf- und Heuerbasen in der Heinrichstraße (Herbertstr.)
Zuhälter und Ringvereine
Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung und das Prostitutionswesen
Schließung der Bordelle
Hamburg und St. Pauli unter faschistischer Herrschaft
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Der Mythos St. Pauli – Erinnerung und Gegenwart
Hamburg und St. Pauli nach `45 bis in die 50er
Das Prostitutionsgewerbe und das Rotlichtmilieu seit der Nachkriegszeit
Die 60er Jahre – Musikclubs, Liberalisierung und die „St. Paul-Nachrichten“
Das Sexbusiness  in St. Pauli 1968
Die „Große Freiheit“ – Kabaretts und Transvestiten
Die 80er  Jahre  – ein Stadtteil im Umbruch
Musikclubs und „Kulturmeile“
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Die Prostitution im Hamburger Raum

Zuhälter und organisierte Kriminalität
Straßenstrich, Modellwohnungen und Bordelle
Migrantinnen im Prostitutionsgewerbe
Hamburger Initiativen und Organisationen
Im Detail: Sexuelles Entertainment auf St. Pauli

11
Feb
10

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis

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Preface

In den Jahren um 1820 -1840 begann ein Prozess , in der sich die Stadt „öffnet“; so wie die äußeren Begrenzungsmauern der Städte fallen, lösen sich auch in ihrem Inneren feste und seit Jahrhunderten bestehende Absperrungen auf. Die vorher übliche „Nachtstunde“ wurde hinfällig, da sich wegen der wachsende Stadtbevölkerung und der steigenden Menge des Warenumschlags der Arbeitsbeginn der Märkte immer weiter in die Früh- bis in die Nachtstunden verlagerte. Dies galt umso mehr für die großen Hafenstädte, in der Nähe der Häfen und  Märkte entstanden Schenken, die bis in den morgen geöffnet hatten oder früh morgens mit dem  Ausschank begannen, womit die Basis eines Milieus einer breiten nächtlichen Unterhaltungskultur geschaffen wurde. Die sich formierende Schicht des städtisch-industriellen Bürgertums, zu der nach der nach dem 1. Weltkrieg die „Kriegsgewinnler“ stoßen, löst den Adel als tonangebenden kulturellen Faktor ab. Einerseits werden Formen der Unterhaltung und Geselligkeit des Adels in den luxuriösen Theatern, Ballhäusern, Hotels und Restaurants imitiert, andererseits kommt es zu Anleihen an die Fest- und Unterhaltungsformen der unteren sozialen Schichten mit ihrer Tradition der Bühnenunterhaltung und Konsumption. Damalige Prostitutionsquartiere, wenn sie eingebunden waren in einem kulturellen Umfeld von Variete, Tanzsalons, innovativen Nachtleben und Stadtteilkultur, haben teilweise Ausgangsvoraussetzungen geboten, um jenseits der gesellschaftlichen Ausgrenzung ein subkulturelles Selbstbewusstsein entstehen zu lassen, aus dem heraus Prostitution als eine Art kulturelles Ferment wirksam werden konnte. In diesem Zusammenhang hilft die historische Betrachtung von Hamburgs Stadtentwicklung, die Entstehung des „Mythos St.Pauli“ zu verstehen. Nach dem Wegfall des Varietes und des Tanzsalons als kulturelle Institutionen der Massenunterhaltung und der fast überall stattgefundenen Sanierungspolitik in den Rotlichtquartieren, die einen Verlust der historischen und räumlichen Strukturen und der damit verbundenen sozialen Kontexte bedeutete, hat sich das Bedeutungsumfeld der Prostitution heutzutage reduziert auf die Diskussion um Entstigmatisierung, Gewaltverhältnissen und legaler Dienstleistung.

Die durch die Industrialisierung boomende Wirtschaft brachte nur wenigen Reichtum. Durch ständige Zuwanderung und Landflucht kam es zu einer Bevölkerungsexplosion mit dem Phänomen der Massenarmut. Die wirtschaftliche und politische Führungsschicht reagierte in Hamburg bereits ab dem 18. Jh. mit einem  verstärkten Ausbau des Stiftungswesens und der Gründung von Wohlfahrtsorganisationen, kam aber im Bereich des Polizeiwesens der Entwicklung nicht nach, was sich erst mit einer grundlegenden Umstrukturierung unter preußischer Einflussnahme änderte. Das zeitweilig massenhafte Auftreten der Prostitution und deren Bekämpfung – im Verhältnis des Paradigmenwechsels der mittelalterlichen – organischen und geschlossenen- Stadt, hin zur modernen, industriellen Großstadt, mit den Begleiterscheinungen des explosionsartigen Bevölkerungswachstums, des sozialen Elends und dem zeitweiligen Nachlassens der staatlichen Autorität, liefert ein einsichtiges Beispiel welche nachhaltige Rolle Stadtstruktur-planungen bei der Ausgrenzung der unteren Klassen und als langfristiger Ordnungsfaktors bereits im 19. Jh. gespielt haben. Eine Tendenz, die sich seitdem kontinuierlich – und selten hinterfragt – weiterentwickelt hat und mit dem modernen Diskurs um die „Unregierbarkeit der Städte“ und der US-Militärdoktrin der „feral cities“  eine neue Dimension erlangt hat.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23616/1.html

Die soziale Erosion dieser Entwicklung lässt sich in jedem Stadtbild erkennen. Dort wo die Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Nähe von Leben, Arbeiten und Handel voraussetzt, waren die Parterrezeilen der Häuser überwiegend dementsprechend ausgerichtet und schufen Räume für Gewerbe, Gastronomie und Unterhaltung und bildeten so die Möglichkeit kommunikativer Sphären. Stadtteile, die diese gewachsene Baustruktur bewahrt haben, sind in der Regel beliebte Wohngegenden mit der Tendenz sich zu „In-Vierteln“ zu entwickeln. Die funktionale Trennung von Leben und Arbeiten schuf demgegenüber reine Geschäfts- und Wohnviertel, sowie Gewerbegebiete im Umland. Der damit einhergehende kapitalintensive öffentliche Siedlungsbau löste zwar dringende Probleme wie mangelnde Hygiene und Lichtzufuhr, war aber deutlich von dem Gedanken der sozialen Kontrolle getragen. Die monotonen Strukturen den neuen Stadteile boten keine engen Gassen, verwinkelten Hinterhöfe und vermeintlichen Schlupfwinkel, sondern waren übersichtlich und klar durchstrukturiert. Der Notwendigkeit von öffentlichen Gewerberäumen wurde in der Siedlungsarchitektur der Weimarer Republik, wenn auch deutlich beschränkt, noch nachgekommen, während sich nach dem 2. Weltkrieg eine deutliche Tendenz zu reinen „Schlaf“-Vierteln zeigt, in denen kaum noch ein öffentliches Leben stattfindet.

Gerade Hamburg mit seiner Geschichte als freien Handelsstadt und der darauffolgenden Eingliederung in den preußischen Nationalstaat – begleitet von einem enormen Kapitalfluss der die städtebauliche Umstrukturierung in einem Umfang ermöglichte, der zu dieser Zeit im Deutschen Reich außergewöhnlich war – bietet viele Beispiele für die konkreten planerischen Prämissen dieser Zeit. So die durchgehende Bebauung des heutigen Gorch-Fock-Walls mit öffentlichen Bauten, von den Postgebäuden am  Dammtorwall und Dammtorstrasse bis hin zur Musikhalle – dort wo sich vorher, traditionell an der Grenze zum Stadtwall, ein prosperierendes Prostitutionsgewerbe entwickelt hatte, das sich über mehrere Straßenzüge erstreckte und dessen letzte Erinnerung mit dem Bau des Uni-Lever-Hochhauses und dem Verschwinden der Ulricusstrasse getilgt wurde. Oder dem jetzigen Kontorhausviertel, wo das Chilehaus mit seiner raumgreifenden Architektur in der Nähe zur Niedernstrasse liegt. Früher ein dichtbesiedeltes innerstädtisches Wohngebiet, welches der Sittenpolizei als erhebliche Problemzone galt – bis hin zu den Hamburger Gängevierteln, die bereits vor dem Beginn des 2. Weltkrieges vollständig abgerissen wurden.

Die Entwicklung von Hamburg,  Altona und der Vorstadt St. Pauli – Ein kurzer historischer Abriss

Hamburg

Um 810 n.Chr., mit der  Errichtung der Festung Hammaburg auf dem Geestrücken zwischen Bille und Alster und der Einsetzung des Erzbischofes Ansgar im Jahr 831 n.Chr. entwickelte sich das spätere Hamburg zum wichtigen Handels- und Missionsstützpunkt Nach 1106 übernahm Adolf von Schauenburg I. die Grafschaften Holstein und Storman, zu denen auch Hamburg gehörte. In den folgenden drei Generationen der Schauenburger Herrschaft entwickelte sich Hamburg zu einer rasch wachsenden Handelsstadt Ab 1240 wird einen neue Befestigungslinie angelegt, die bereits um 1250 die gesamte Innenstadt umgibt und deren Grundrisse und Namen noch heute das Stadtbild prägen (Lange Mühren, Kurze Mühren, Steintor, Millerntor, Alstertor). In dieser Phase des Aufbaus entstehen auch etliche Klöster und Spitäler. Ein Jahrhundert später ist Hamburg Mitglied im Städtebund der deutschen Hanse, die zu ihren Hochzeiten zwischen 1350 und 1400 ca. 70 Städte und der Deutsche Orden angehörten,  während weitere 130 locker assoziiert waren.  Ihr Einflussbereich bezog ein Gebiet mit ein, das von Flandern bis nach Reval reichte und umfasste dabei den gesamten Ostseeraum bis hin zum Finnischen Meerbusen.  Der Niedergang der Hanse, eingeleitet durch das Erstarken der landesherrlichen Territorialgewalten im Ostseeraum, dem die Städte untergeordnet wurden und durch die starke niederländische Konkurrenz durch den neuen Überseehandel, begann 1494 mit der Schließung des Kontors in Nowgorod durch Iwan III.. Mit der Verlagerung des Außenhandels nach Übersee verlor die Hanse im 15. und 16. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Die Zahl der Mitgliedsstädte ging immer mehr zurück. 1669 hielten die letzten in der Hanse verbliebenen Städte, Lübeck, Hamburg, Bremen, Danzig, Rostock, Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Köln den letzten Hansetag in Lübeck ab.

Im Zuge der Reformation erhält Hamburg durch den Theologen Johann Bugenhagen (1485-1558) 1529 seine erste evangelische Kirchenordnung bei einer gleichzeitigen Reformation des Schulwesen. Als Folge der Religionskriege in den spanischen Niederlanden flüchten viele lutherische und kalvinistische Holländer nach Hamburg, so dass sich die Einwohnerzahl von 1550 bis 1600 auf 40000 verdoppelt. Durch die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge sowie von zahlreichen Juden aus Spanien, Portugal und Teilen Deutschlands, aber auch durch die Niederlassung englischer Kaufleute in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfährt Hamburg auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet eine intensive Belebung

Ab 1616 begann um Hamburg ein Festungsbau, der von dem Holländer Van Valckenburg geleitet wurde und nach 9 Jahren fertiggestellt war. Im Zuge einer grundlegenden Militärisierung wurden alle wehrfähigen Männer zu einer Bürgerwache einberufen und zusätzlich 4.000 Berufssoldaten angeworben. Finanziert wurden diese hohen Kosten durch Stiftungen wohlhabender Geschäftsleute und durch eine Extrasteuer, das sogenannte „Grabengeld“. Unter diesen Vorraussetzungen konnte Hamburg den 30-jährigen Krieg (1618-1648) mit seinen verheerenden Auswirkungen (1618 lebten 17 Millionen Menschen in Deutschland, 1648 sind es mit 8 Millionen weniger als die Hälfte) unbeschadet überstehen und eine Politik der bewaffneten Neutralität betreiben, so dass sich im Laufe des Krieges die Fläche und die Anzahl der Bewohner der Stadt sogar verdoppelte und Hamburg bereits 1619 als größte Stadt Deutschlands galt. Nicht unwesentlich beteiligt an diesem  Aufschwung war die 1619 gegründete Hamburger Bank mit ihrem Sitz im Rathaus. Die Hamburger Bank wurde  als für die Kaufmannschaft bestimmte Species-Wechsel-Bank, nach dem Vorbild der Bank von Amsterdam (1609) gegründet. Ihre Hauptaufgabe war die Schaffung und Gewährleistung einer sicheren Währung, in den kriegsbedingten Zeiten der Inflation und Münzverschlechterung. Im übrigen war Hamburg, neben Amsterdam, in diesem Zeitraum auch wichtigste Bankenstadt für den Handel und die Kriegsfinanzierung Schwedens.

Wegen der strategischen Bedeutung der Stadt für die Durchsetzung der Kontinentalsperre gegen England ließ Napoleon die Stadt im 4. Koalitionskrieg besetzen. Am 19. November 1806 marschierten französische Truppen in Hamburg ein und hielten die Stadt bis 1814 besetzt. Gemeinwesen und Handel der Hansestadt wurden aufgrund der Besatzung gründlich ruiniert, die Einwohnerzahl ging von rund 130000 im Jahre 1800 auf etwa 100000 zurück.  Danach trat Hamburg  dem Deutschen Bund bei und nannte sich seit Ende 1819 Freye und Hansestadt. 1820 begann die Entfestigung der Stadt, die sich bis 1880 hinzog. Die Zeit von der französischen Revolution bis zur Reichsgründung führte Hamburg erst langsam, dann immer schneller vom Mittelalter Richtung Moderne. Der ständisch geprägte, souveräne und neutrale Stadtstaat von 1800 machte bis 1871 einem boomenden Bundesstaat mit Gewaltenteilung, Religionsfreiheit und neuer Verfassung Platz. 1807 wurde in Hamburg eine Verordnung erlassen, die die Prostitution bedingt tolerierte. Mit der Verabschiedung des „Hudtwalcker Reglements“ von 1834 wurde die gesundheitliche Zwangsuntersuchung für alle Prostituierten verordnet. Der namensgebende Senator Hudtwalcker wurde nach den revolutionären Ereignissen von 1848 als Leiter einer Reformkommission eingesetzt. Im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 blieben die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck zunächst gemeinsam neutral, stimmten dann aber dem Bund mit Preußen zu. Nach dem Preußen den Krieg erfolgreich beendet hatte, erweiterte es sein Territorium um Hannover und Schleswig-Holstein. Mit den Verbündeten aus dem Krieg bildete Preußen den Norddeutschen Bund, einen Bundesstaat, dessen neue Verfassung der Hamburger Bürgerschaft im Jahre 1867 zur Abstimmung vorgelegt wurde. Die Verfassung fand eine deutliche Zustimmung, obwohl Hamburg dadurch an Souveränität verlor,  allerdings behielt  es vorläufig seine Zoll- und Gerichtshoheit bei.

http://www.droste-enkesen.de/Hh-sv-17.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg
http://fhh1.hamburg.de/fhh/internetausstellungen/hh4849/welcome.htm
http://www.hamburgmuseum.de/

Altona

Altonas Geschichte ist weitaus jüngeren Datums. Von Anfang an kommt es zwischen Hamburg und Altona zu Auseinandersetzungen über Weide- und Münzrechte, Zunft- und Glaubensfragen und die Nutzung der Elbe. Als Bestandteil der Grafschaft Pinneberg in direkter Nachbarschaft zu Hamburg entwickelte es sich im 16. Jahrhundert unter der Herrschaft der Schauenburger Grafen von einer Siedlung zu einer kleinen Stadt. Die Anzahl der Bierkneipen im Ort soll sich von drei im Jahre 1601 auf 27 neun Jahre später erhöht haben, die von den Hamburgern wegen der niedrigen Preise sehr gut besucht wurden. Ein Teil der Glaubensverfolgten aus den spanischen Niederlanden, aber auch Mennoniten, Katholiken, Juden und Quäker, die zu dieser Zeit nach Norddeutschland strömten, ließen sich in Altona nieder. Der Graf von Schauenburg wies 1603 den eingewanderten Handwerkern unter der Vorausbedingung einer Schutzgeldzahlung, nördlich der heutigen Straße Nobistor, Flächen mit besonderem Vorrecht zu, wo die Handwerker sich niederlassen konnten, ohne dem Zunftzwang unterworfen zu sein. Daraus entwickelten sich die bekannten Straßen Kleine und Große Freiheit. Nach dem Tod des letzten Schauenburger Grafen besetzt 1640 der dänische König Christian IV die gesamte Grafschaft Pinneberg und beginnt mit einem Ausbau des Altonaer Hafens. 1650 hat Altona ca. 2.500 Einwohner und wächst als offene Stadt ungeordnet weiter. Im Gegensatz zur Festungsstadt Hamburg ist in Altona keine offizielle Polizei oder Gerichtsbarkeit vorhanden.

1664 verleiht der dänische König Altona das Stadtrecht und gewährte, um es als Konkurrenz zu Hamburg zu entwickeln, außergewöhnliche Privilegien: Ansiedlungsfreiheit für Jedermann, vollkommene Religionsfreiheit und Gewerbefreiheit ohne Zunftzwang, sowie zollfreier Warenumschlag und Handel der Altonaer Waren im gesamten dänischen Königreich. Dadurch wird Altona zum ersten Freihafen Nordeuropas. Die religiösen Minderheiten errichteten in den Straßen Kleine und Große Freiheit  ihre Gotteshäuser: die Katholiken 1660 in der Großen Freiheit, dessen Kirche, die von 1718 – 1721 erbaute St. Josephskirche, dort immer noch steht, wenig später auch Reformierte und Mennoniten und 1682 die Juden. (Diese Straßen wurden 1938 dem Stadtteil St. Pauli zugeordnet.) Durch militärische Drohgebärden erreicht Dänemark 1692 das Hamburg Altona als Stadt offiziell anerkennt. 1710 zählt Altona mit 12.000 Einwohnern hinter Kopenhagen(60.000) bereits zur zweitgrößten Stadt Dänemarks.

Infolge kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Schweden, wird Altona 1713 vom schwedischen Militär eingenommen und weitgehend niedergebrannt. Beim folgenden dänischen Wiederaufbau wird Altona, das vorher über keine Kanalisation und Beleuchtung und nur über wenige befestigte Straßen verfügte, zu einer zeitgemäß modernen Stadt ausgebaut. Mit der Gründung des akademischen Gymnasium „Christianeum“ entsteht eine Bildungsinstitution, die auch für das Hamburger Bürgertum von Interesse war. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erlebt Altona einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem durch den Hafen, an dem es 1740 drei Großschiffswerften und mehrere Bootswerften gab, sowie etliche Zulieferer wie Reepschlägereien, Segelmachereien und Ankerschmieden. 1746 umfasst Altona 3.000 Häuser mit ca. 15.000 Einwohnern.1789 kommen durch die Wirren der französische Revolution weitere 4.000 Menschen in die offene Stadt, die nach ein paar Jahren größtenteils wieder verschwanden, stattdessen wurde Altona durch die französische Besetzung Hamburgs 1813 zum Ziel vertriebener Bürger der Nachbarstadt  1806 hat Altona ca. 23.000 Einwohner und rund 300 in Altona beheimatete Schiffe mit ca. 3.000 Mann Besatzung. Hamburg hat um 1800 ca. 100.000 Einwohner und erreicht aber erst um 1845 eine ähnliche Anzahl beheimateter Schiffe.

Eine Wende trat ein mit den Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Großbritannien nach 1789, in die auch Dänemark und Altona mit hineingezogen wurden. Der Seeverkehr zur Nordsee wurde durch Blockaden seitens der gegnerischen Briten und dänischer Zollverordnungen, die Altonas Handelsvorrechte abschafften, lahmgelegt. Das Interesse der dänischen Regierung an Altona,  das seit 1768 immer weiter nachgelassen hatte, war um die Jahrhundertwende an einem Tiefpunkt angelangt. Die folgende Napoléonische Kontinentalsperre mittels der totalen Elbblockade brachte viele Handelshäuser, Reedereien und exportorientierte Gewerbe Altonas an den Rand des Ruins. 1835 zählt Altona 26.393 Einwohner, knapp 1864 sind es bereits deren 53.039. Im gleich Jahr  muss Dänemark nach verlorenen Kämpfen gegen preußische und österreichische Truppen alle Herrschaftsansprüche über Schleswig-Holstein aufgeben.1866 wird Schleswig-Holstein und somit auch Altona in den preußischen Staat eingegliedert. Das heißt das in Altona bereits das preußische Rechtssystem Gültigkeit hat während in Hamburg noch bis zur Reichsgründung 1871  eine eigenständige Rechtsprechung wirksam war. 1888, Altona zählt inzwischen über 100 000 Einwohner, wird das Städtegroßgebiet Hamburg und Altona mit dem deutschen Zollgebiet vereinigt und Altona verliert seine Freihafenrechte. Zollfreibezirk bleibt ein Teil des Hamburger Hafens. Die preußische Regierung unterstützt aber weiterhin die Eigenständigkeit der Stadt Altona.

http://www.altona.dk/geschichte/
http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-Altona

St. Pauli

Das Gebiet des heutigen St. Pauli hieß damals noch Hamburger Berg und lag vor dem Millerntor, auf der Grenze zum dänischen Altona. Der Hamburger Berg war in seiner Ausdehnung weitaus größer als das Gebiet des heutigen St. Paulis, es reichte von der Admiralitätsstraße bis hin zur Grenze nach Altona. Noch heute zeugen die abfallenden Hänge vor den Landungsbrücken, bei der Bernhardt-Nocht-Straße und dem Pinnasberg von einer Geesthöhe, die sich von Hamburg bis nach Wedel erstreckte. Der benötigte Ton und Sand zur Herstellung von Ziegeln für die Steinhäuser wurde bis in das 17. Jh. hinein zum Großteil aus dem Material des Hamburger Bergs gewonnen, der so Stück für Stück abgetragen wurde, bis dann, um 1620 die Stadt den Berg planierte, bzw. ihn zum Großteil zum Bau der Festungswälle verwendete, um das Gelände in Kriegszeiten besser kontrollieren zu können. Bald schon wurden Gewerbebetriebe ausgelagert, die man aufgrund von Lärm, des Gestankes und der Abfälle nicht in der inneren Stadt haben wollte, so die Ziegelhütten und die Ölmühle (1633), die Trankocherei (1649) und die Dröge, ein Trockenhaus für geteerte Seile (1671). Die Reepschläger drehten dort auf langen Bahnen die Taue für die Tagelagen der Schiffe. 1883 als die Taue durch Stahltrossen ersetzt wurden, löste man die Reeperbahnen auf. Die Straße Reeperbahn liegt südlicher als die eigentlichen Bahnen und erhielt ihren Namen erst um 1900.

Trotz der Verbote errichteten viele Zuwanderer, Seeleute und Hafenarbeiter bereits ab 1600 ihre Hütten und Buden auf dem Hamburger Berg. Die Kanoniere der Hamburger Festungsanlage legten Wert auf ein freies Schussfeld, „Glacis“ genannt. Die dort errichteten Häuser durften nur eingeschossig errichtet werden und bei Kriegsgefahr mussten auf Befehl des Hamburger Senats gegebenenfalls die Bauten sofort abgerissen werden. Feste Häuser durften erst zum Ende des 17.Jh. gebaut werden, als Hamburg bereits völlig übervölkert war. Während der Zeit der französischen Besatzung (1806 – 1815) wurden die Festungswälle zu Parkanlagen umgewandelt und der Schiffbau und die Schifffahrt auf der Elbe verboten und vielen so die Haupternährungsquelle genommen. Auf Befehl der französischen Militärregierung wurde 1814 die gesamte Vorstadt des Hamburger Bergs niedergebrannt. 7000 Bewohner verloren damals ihr Zuhause, doch bereits 1820 war die Vorstadt vollständig wieder aufgebaut. 1833 erhält die Vorstadt, in alten Landkarten als „Hamburger Berg“ bezeichnet, ihren Namen St. Pauli. Die St. Pauli-Kirche, die dem Viertel seinen Namen gab, wurde 1833 bei der Antonistraße dem heutigen St. Pauli Süd errichtet. Sie entstand im Rahmen eines Baubooms, in dessen Zusammenhang die ganzen Straßen nach dem ABC (Männernamen) benannt wurden (Antonistr., Balduinstr., Friedrichstr., Gerhardstr., Davidstr. usw.) 1833 wurde St. Pauli offiziell zur Vorstadt Hamburgs ernannt und die endgültige Eingemeindung erfolgte dann 1894. Durch den Senator Hudtwalcker, dem Leiter der Reformkommission in Hamburg, die als Reaktion auf die revolutionären Ereignisse von 1848 eingesetzt wurde, entstanden die ersten Sperrbezirke für Prostituierte auf dem Hamburger Berg. Erst 1860 fällt die Torsperre der Hamburger Festungsanlage die sonst zur Abendstunde ihre Pforten schloss. Die Gebühr für den Eintritt durch das Millerntor steigerte sich damals mit der nach der Dunkelheit vorgenommenen Torsperre von 4 Schillingen auf bis zu 16 Schillingen nach Mitternacht.

Arndt Ute, Thomas Duffe, Bernd Gerstäcker, 1995, „St Pauli – Gesichter und Ansichten vom Kiez“, Historika Photoverlag, Hamburg

Ellermeyer Jürgen (Hg.) : 1986, „Stadt und Hafen“, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg, Nr.8, Hans Christians Verlag, Hamburg