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11
Feb
10

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis im Verhältnis der politischen und städtebaulichen Rahmenbedingungen

Inhalt

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Preface
Die Entwicklung von Hamburg,  Altona und der Vorstadt St. Pauli – Ein kurzer historischer Abriss-
Hamburg
Altona
St. Pauli

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Das Unterhaltungsgewerbe in St. Pauli und der Alt- und Neustadt
Die Aufhebung der Torsperre – Singspielhallen und Tanzlokale
Der Hamburger Dom, Tingeltangel und Variete
Massenunterhaltung in festen Häusern – Der Spielbudenplatz und die Große Freiheit
Eine neue Theaterlandschaft
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Verschiedene Obrigkeiten – verschiedene Rechts- und Handelssysteme
Warenschmuggel und Zensur
Kneipen, Kaschemen und Pennen – Die Grenzregion zwischen Hamburg und Altona
Politische Instabilität und politische Radikalisierung nach dem 1. Weltkrieg
Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächter – Die Entstehung eines modernen Polizeiwesens
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Stadtentwicklung und „soziale Fremdkörper“
Hamburgs Eingliederung in den preußischen Nationalstaat und die Entstehung
einer Gewerkschaftsorganisation
Das Konzept der Citybildung und die Zerstörung der Gängeviertel
Das Gängeviertel
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Das Prostitutionsgewerbe in Hamburg und St. Pauli
Mamsellenhäuser, Freudenhäuser und Bordelle – Alte Prostitutionsquartiere Hamburgs und St. Paulis
Bordellwirte und Verschickefrauen
Reglementierte und heimliche Prostitution
Mädchenhandel – Kampagnen und Wirklichkeit
Die Einschränkung des Hamburger Bordellwesens unter preußischer Einflussnahme
Die Prostitution in St. Pauli – Tanzlokale und „stille Wirtschaften“
Schlaf- und Heuerbasen in der Heinrichstraße (Herbertstr.)
Zuhälter und Ringvereine
Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung und das Prostitutionswesen
Schließung der Bordelle
Hamburg und St. Pauli unter faschistischer Herrschaft
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Der Mythos St. Pauli – Erinnerung und Gegenwart
Hamburg und St. Pauli nach `45 bis in die 50er
Das Prostitutionsgewerbe und das Rotlichtmilieu seit der Nachkriegszeit
Die 60er Jahre – Musikclubs, Liberalisierung und die „St. Paul-Nachrichten“
Das Sexbusiness  in St. Pauli 1968
Die „Große Freiheit“ – Kabaretts und Transvestiten
Die 80er  Jahre  – ein Stadtteil im Umbruch
Musikclubs und „Kulturmeile“
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Die Prostitution im Hamburger Raum

Zuhälter und organisierte Kriminalität
Straßenstrich, Modellwohnungen und Bordelle
Migrantinnen im Prostitutionsgewerbe
Hamburger Initiativen und Organisationen
Im Detail: Sexuelles Entertainment auf St. Pauli

11
Feb
10

Die Entwicklung des Rotlichtmilieus und des Unterhaltungsgewerbes St. Paulis

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Pornographie, Moral und Sexindustrie von Peer A. Gosewisch steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.

Preface

In den Jahren um 1820 -1840 begann ein Prozess , in der sich die Stadt „öffnet“; so wie die äußeren Begrenzungsmauern der Städte fallen, lösen sich auch in ihrem Inneren feste und seit Jahrhunderten bestehende Absperrungen auf. Die vorher übliche „Nachtstunde“ wurde hinfällig, da sich wegen der wachsende Stadtbevölkerung und der steigenden Menge des Warenumschlags der Arbeitsbeginn der Märkte immer weiter in die Früh- bis in die Nachtstunden verlagerte. Dies galt umso mehr für die großen Hafenstädte, in der Nähe der Häfen und  Märkte entstanden Schenken, die bis in den morgen geöffnet hatten oder früh morgens mit dem  Ausschank begannen, womit die Basis eines Milieus einer breiten nächtlichen Unterhaltungskultur geschaffen wurde. Die sich formierende Schicht des städtisch-industriellen Bürgertums, zu der nach der nach dem 1. Weltkrieg die „Kriegsgewinnler“ stoßen, löst den Adel als tonangebenden kulturellen Faktor ab. Einerseits werden Formen der Unterhaltung und Geselligkeit des Adels in den luxuriösen Theatern, Ballhäusern, Hotels und Restaurants imitiert, andererseits kommt es zu Anleihen an die Fest- und Unterhaltungsformen der unteren sozialen Schichten mit ihrer Tradition der Bühnenunterhaltung und Konsumption. Damalige Prostitutionsquartiere, wenn sie eingebunden waren in einem kulturellen Umfeld von Variete, Tanzsalons, innovativen Nachtleben und Stadtteilkultur, haben teilweise Ausgangsvoraussetzungen geboten, um jenseits der gesellschaftlichen Ausgrenzung ein subkulturelles Selbstbewusstsein entstehen zu lassen, aus dem heraus Prostitution als eine Art kulturelles Ferment wirksam werden konnte. In diesem Zusammenhang hilft die historische Betrachtung von Hamburgs Stadtentwicklung, die Entstehung des „Mythos St.Pauli“ zu verstehen. Nach dem Wegfall des Varietes und des Tanzsalons als kulturelle Institutionen der Massenunterhaltung und der fast überall stattgefundenen Sanierungspolitik in den Rotlichtquartieren, die einen Verlust der historischen und räumlichen Strukturen und der damit verbundenen sozialen Kontexte bedeutete, hat sich das Bedeutungsumfeld der Prostitution heutzutage reduziert auf die Diskussion um Entstigmatisierung, Gewaltverhältnissen und legaler Dienstleistung.

Die durch die Industrialisierung boomende Wirtschaft brachte nur wenigen Reichtum. Durch ständige Zuwanderung und Landflucht kam es zu einer Bevölkerungsexplosion mit dem Phänomen der Massenarmut. Die wirtschaftliche und politische Führungsschicht reagierte in Hamburg bereits ab dem 18. Jh. mit einem  verstärkten Ausbau des Stiftungswesens und der Gründung von Wohlfahrtsorganisationen, kam aber im Bereich des Polizeiwesens der Entwicklung nicht nach, was sich erst mit einer grundlegenden Umstrukturierung unter preußischer Einflussnahme änderte. Das zeitweilig massenhafte Auftreten der Prostitution und deren Bekämpfung – im Verhältnis des Paradigmenwechsels der mittelalterlichen – organischen und geschlossenen- Stadt, hin zur modernen, industriellen Großstadt, mit den Begleiterscheinungen des explosionsartigen Bevölkerungswachstums, des sozialen Elends und dem zeitweiligen Nachlassens der staatlichen Autorität, liefert ein einsichtiges Beispiel welche nachhaltige Rolle Stadtstruktur-planungen bei der Ausgrenzung der unteren Klassen und als langfristiger Ordnungsfaktors bereits im 19. Jh. gespielt haben. Eine Tendenz, die sich seitdem kontinuierlich – und selten hinterfragt – weiterentwickelt hat und mit dem modernen Diskurs um die „Unregierbarkeit der Städte“ und der US-Militärdoktrin der „feral cities“  eine neue Dimension erlangt hat.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/23/23616/1.html

Die soziale Erosion dieser Entwicklung lässt sich in jedem Stadtbild erkennen. Dort wo die Architektur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts die Nähe von Leben, Arbeiten und Handel voraussetzt, waren die Parterrezeilen der Häuser überwiegend dementsprechend ausgerichtet und schufen Räume für Gewerbe, Gastronomie und Unterhaltung und bildeten so die Möglichkeit kommunikativer Sphären. Stadtteile, die diese gewachsene Baustruktur bewahrt haben, sind in der Regel beliebte Wohngegenden mit der Tendenz sich zu „In-Vierteln“ zu entwickeln. Die funktionale Trennung von Leben und Arbeiten schuf demgegenüber reine Geschäfts- und Wohnviertel, sowie Gewerbegebiete im Umland. Der damit einhergehende kapitalintensive öffentliche Siedlungsbau löste zwar dringende Probleme wie mangelnde Hygiene und Lichtzufuhr, war aber deutlich von dem Gedanken der sozialen Kontrolle getragen. Die monotonen Strukturen den neuen Stadteile boten keine engen Gassen, verwinkelten Hinterhöfe und vermeintlichen Schlupfwinkel, sondern waren übersichtlich und klar durchstrukturiert. Der Notwendigkeit von öffentlichen Gewerberäumen wurde in der Siedlungsarchitektur der Weimarer Republik, wenn auch deutlich beschränkt, noch nachgekommen, während sich nach dem 2. Weltkrieg eine deutliche Tendenz zu reinen „Schlaf“-Vierteln zeigt, in denen kaum noch ein öffentliches Leben stattfindet.

Gerade Hamburg mit seiner Geschichte als freien Handelsstadt und der darauffolgenden Eingliederung in den preußischen Nationalstaat – begleitet von einem enormen Kapitalfluss der die städtebauliche Umstrukturierung in einem Umfang ermöglichte, der zu dieser Zeit im Deutschen Reich außergewöhnlich war – bietet viele Beispiele für die konkreten planerischen Prämissen dieser Zeit. So die durchgehende Bebauung des heutigen Gorch-Fock-Walls mit öffentlichen Bauten, von den Postgebäuden am  Dammtorwall und Dammtorstrasse bis hin zur Musikhalle – dort wo sich vorher, traditionell an der Grenze zum Stadtwall, ein prosperierendes Prostitutionsgewerbe entwickelt hatte, das sich über mehrere Straßenzüge erstreckte und dessen letzte Erinnerung mit dem Bau des Uni-Lever-Hochhauses und dem Verschwinden der Ulricusstrasse getilgt wurde. Oder dem jetzigen Kontorhausviertel, wo das Chilehaus mit seiner raumgreifenden Architektur in der Nähe zur Niedernstrasse liegt. Früher ein dichtbesiedeltes innerstädtisches Wohngebiet, welches der Sittenpolizei als erhebliche Problemzone galt – bis hin zu den Hamburger Gängevierteln, die bereits vor dem Beginn des 2. Weltkrieges vollständig abgerissen wurden.

Die Entwicklung von Hamburg,  Altona und der Vorstadt St. Pauli – Ein kurzer historischer Abriss

Hamburg

Um 810 n.Chr., mit der  Errichtung der Festung Hammaburg auf dem Geestrücken zwischen Bille und Alster und der Einsetzung des Erzbischofes Ansgar im Jahr 831 n.Chr. entwickelte sich das spätere Hamburg zum wichtigen Handels- und Missionsstützpunkt Nach 1106 übernahm Adolf von Schauenburg I. die Grafschaften Holstein und Storman, zu denen auch Hamburg gehörte. In den folgenden drei Generationen der Schauenburger Herrschaft entwickelte sich Hamburg zu einer rasch wachsenden Handelsstadt Ab 1240 wird einen neue Befestigungslinie angelegt, die bereits um 1250 die gesamte Innenstadt umgibt und deren Grundrisse und Namen noch heute das Stadtbild prägen (Lange Mühren, Kurze Mühren, Steintor, Millerntor, Alstertor). In dieser Phase des Aufbaus entstehen auch etliche Klöster und Spitäler. Ein Jahrhundert später ist Hamburg Mitglied im Städtebund der deutschen Hanse, die zu ihren Hochzeiten zwischen 1350 und 1400 ca. 70 Städte und der Deutsche Orden angehörten,  während weitere 130 locker assoziiert waren.  Ihr Einflussbereich bezog ein Gebiet mit ein, das von Flandern bis nach Reval reichte und umfasste dabei den gesamten Ostseeraum bis hin zum Finnischen Meerbusen.  Der Niedergang der Hanse, eingeleitet durch das Erstarken der landesherrlichen Territorialgewalten im Ostseeraum, dem die Städte untergeordnet wurden und durch die starke niederländische Konkurrenz durch den neuen Überseehandel, begann 1494 mit der Schließung des Kontors in Nowgorod durch Iwan III.. Mit der Verlagerung des Außenhandels nach Übersee verlor die Hanse im 15. und 16. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Die Zahl der Mitgliedsstädte ging immer mehr zurück. 1669 hielten die letzten in der Hanse verbliebenen Städte, Lübeck, Hamburg, Bremen, Danzig, Rostock, Braunschweig, Hildesheim, Osnabrück und Köln den letzten Hansetag in Lübeck ab.

Im Zuge der Reformation erhält Hamburg durch den Theologen Johann Bugenhagen (1485-1558) 1529 seine erste evangelische Kirchenordnung bei einer gleichzeitigen Reformation des Schulwesen. Als Folge der Religionskriege in den spanischen Niederlanden flüchten viele lutherische und kalvinistische Holländer nach Hamburg, so dass sich die Einwohnerzahl von 1550 bis 1600 auf 40000 verdoppelt. Durch die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge sowie von zahlreichen Juden aus Spanien, Portugal und Teilen Deutschlands, aber auch durch die Niederlassung englischer Kaufleute in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erfährt Hamburg auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet eine intensive Belebung

Ab 1616 begann um Hamburg ein Festungsbau, der von dem Holländer Van Valckenburg geleitet wurde und nach 9 Jahren fertiggestellt war. Im Zuge einer grundlegenden Militärisierung wurden alle wehrfähigen Männer zu einer Bürgerwache einberufen und zusätzlich 4.000 Berufssoldaten angeworben. Finanziert wurden diese hohen Kosten durch Stiftungen wohlhabender Geschäftsleute und durch eine Extrasteuer, das sogenannte „Grabengeld“. Unter diesen Vorraussetzungen konnte Hamburg den 30-jährigen Krieg (1618-1648) mit seinen verheerenden Auswirkungen (1618 lebten 17 Millionen Menschen in Deutschland, 1648 sind es mit 8 Millionen weniger als die Hälfte) unbeschadet überstehen und eine Politik der bewaffneten Neutralität betreiben, so dass sich im Laufe des Krieges die Fläche und die Anzahl der Bewohner der Stadt sogar verdoppelte und Hamburg bereits 1619 als größte Stadt Deutschlands galt. Nicht unwesentlich beteiligt an diesem  Aufschwung war die 1619 gegründete Hamburger Bank mit ihrem Sitz im Rathaus. Die Hamburger Bank wurde  als für die Kaufmannschaft bestimmte Species-Wechsel-Bank, nach dem Vorbild der Bank von Amsterdam (1609) gegründet. Ihre Hauptaufgabe war die Schaffung und Gewährleistung einer sicheren Währung, in den kriegsbedingten Zeiten der Inflation und Münzverschlechterung. Im übrigen war Hamburg, neben Amsterdam, in diesem Zeitraum auch wichtigste Bankenstadt für den Handel und die Kriegsfinanzierung Schwedens.

Wegen der strategischen Bedeutung der Stadt für die Durchsetzung der Kontinentalsperre gegen England ließ Napoleon die Stadt im 4. Koalitionskrieg besetzen. Am 19. November 1806 marschierten französische Truppen in Hamburg ein und hielten die Stadt bis 1814 besetzt. Gemeinwesen und Handel der Hansestadt wurden aufgrund der Besatzung gründlich ruiniert, die Einwohnerzahl ging von rund 130000 im Jahre 1800 auf etwa 100000 zurück.  Danach trat Hamburg  dem Deutschen Bund bei und nannte sich seit Ende 1819 Freye und Hansestadt. 1820 begann die Entfestigung der Stadt, die sich bis 1880 hinzog. Die Zeit von der französischen Revolution bis zur Reichsgründung führte Hamburg erst langsam, dann immer schneller vom Mittelalter Richtung Moderne. Der ständisch geprägte, souveräne und neutrale Stadtstaat von 1800 machte bis 1871 einem boomenden Bundesstaat mit Gewaltenteilung, Religionsfreiheit und neuer Verfassung Platz. 1807 wurde in Hamburg eine Verordnung erlassen, die die Prostitution bedingt tolerierte. Mit der Verabschiedung des „Hudtwalcker Reglements“ von 1834 wurde die gesundheitliche Zwangsuntersuchung für alle Prostituierten verordnet. Der namensgebende Senator Hudtwalcker wurde nach den revolutionären Ereignissen von 1848 als Leiter einer Reformkommission eingesetzt. Im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 blieben die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck zunächst gemeinsam neutral, stimmten dann aber dem Bund mit Preußen zu. Nach dem Preußen den Krieg erfolgreich beendet hatte, erweiterte es sein Territorium um Hannover und Schleswig-Holstein. Mit den Verbündeten aus dem Krieg bildete Preußen den Norddeutschen Bund, einen Bundesstaat, dessen neue Verfassung der Hamburger Bürgerschaft im Jahre 1867 zur Abstimmung vorgelegt wurde. Die Verfassung fand eine deutliche Zustimmung, obwohl Hamburg dadurch an Souveränität verlor,  allerdings behielt  es vorläufig seine Zoll- und Gerichtshoheit bei.

http://www.droste-enkesen.de/Hh-sv-17.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg
http://fhh1.hamburg.de/fhh/internetausstellungen/hh4849/welcome.htm
http://www.hamburgmuseum.de/

Altona

Altonas Geschichte ist weitaus jüngeren Datums. Von Anfang an kommt es zwischen Hamburg und Altona zu Auseinandersetzungen über Weide- und Münzrechte, Zunft- und Glaubensfragen und die Nutzung der Elbe. Als Bestandteil der Grafschaft Pinneberg in direkter Nachbarschaft zu Hamburg entwickelte es sich im 16. Jahrhundert unter der Herrschaft der Schauenburger Grafen von einer Siedlung zu einer kleinen Stadt. Die Anzahl der Bierkneipen im Ort soll sich von drei im Jahre 1601 auf 27 neun Jahre später erhöht haben, die von den Hamburgern wegen der niedrigen Preise sehr gut besucht wurden. Ein Teil der Glaubensverfolgten aus den spanischen Niederlanden, aber auch Mennoniten, Katholiken, Juden und Quäker, die zu dieser Zeit nach Norddeutschland strömten, ließen sich in Altona nieder. Der Graf von Schauenburg wies 1603 den eingewanderten Handwerkern unter der Vorausbedingung einer Schutzgeldzahlung, nördlich der heutigen Straße Nobistor, Flächen mit besonderem Vorrecht zu, wo die Handwerker sich niederlassen konnten, ohne dem Zunftzwang unterworfen zu sein. Daraus entwickelten sich die bekannten Straßen Kleine und Große Freiheit. Nach dem Tod des letzten Schauenburger Grafen besetzt 1640 der dänische König Christian IV die gesamte Grafschaft Pinneberg und beginnt mit einem Ausbau des Altonaer Hafens. 1650 hat Altona ca. 2.500 Einwohner und wächst als offene Stadt ungeordnet weiter. Im Gegensatz zur Festungsstadt Hamburg ist in Altona keine offizielle Polizei oder Gerichtsbarkeit vorhanden.

1664 verleiht der dänische König Altona das Stadtrecht und gewährte, um es als Konkurrenz zu Hamburg zu entwickeln, außergewöhnliche Privilegien: Ansiedlungsfreiheit für Jedermann, vollkommene Religionsfreiheit und Gewerbefreiheit ohne Zunftzwang, sowie zollfreier Warenumschlag und Handel der Altonaer Waren im gesamten dänischen Königreich. Dadurch wird Altona zum ersten Freihafen Nordeuropas. Die religiösen Minderheiten errichteten in den Straßen Kleine und Große Freiheit  ihre Gotteshäuser: die Katholiken 1660 in der Großen Freiheit, dessen Kirche, die von 1718 – 1721 erbaute St. Josephskirche, dort immer noch steht, wenig später auch Reformierte und Mennoniten und 1682 die Juden. (Diese Straßen wurden 1938 dem Stadtteil St. Pauli zugeordnet.) Durch militärische Drohgebärden erreicht Dänemark 1692 das Hamburg Altona als Stadt offiziell anerkennt. 1710 zählt Altona mit 12.000 Einwohnern hinter Kopenhagen(60.000) bereits zur zweitgrößten Stadt Dänemarks.

Infolge kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Schweden, wird Altona 1713 vom schwedischen Militär eingenommen und weitgehend niedergebrannt. Beim folgenden dänischen Wiederaufbau wird Altona, das vorher über keine Kanalisation und Beleuchtung und nur über wenige befestigte Straßen verfügte, zu einer zeitgemäß modernen Stadt ausgebaut. Mit der Gründung des akademischen Gymnasium „Christianeum“ entsteht eine Bildungsinstitution, die auch für das Hamburger Bürgertum von Interesse war. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts erlebt Altona einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, vor allem durch den Hafen, an dem es 1740 drei Großschiffswerften und mehrere Bootswerften gab, sowie etliche Zulieferer wie Reepschlägereien, Segelmachereien und Ankerschmieden. 1746 umfasst Altona 3.000 Häuser mit ca. 15.000 Einwohnern.1789 kommen durch die Wirren der französische Revolution weitere 4.000 Menschen in die offene Stadt, die nach ein paar Jahren größtenteils wieder verschwanden, stattdessen wurde Altona durch die französische Besetzung Hamburgs 1813 zum Ziel vertriebener Bürger der Nachbarstadt  1806 hat Altona ca. 23.000 Einwohner und rund 300 in Altona beheimatete Schiffe mit ca. 3.000 Mann Besatzung. Hamburg hat um 1800 ca. 100.000 Einwohner und erreicht aber erst um 1845 eine ähnliche Anzahl beheimateter Schiffe.

Eine Wende trat ein mit den Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Großbritannien nach 1789, in die auch Dänemark und Altona mit hineingezogen wurden. Der Seeverkehr zur Nordsee wurde durch Blockaden seitens der gegnerischen Briten und dänischer Zollverordnungen, die Altonas Handelsvorrechte abschafften, lahmgelegt. Das Interesse der dänischen Regierung an Altona,  das seit 1768 immer weiter nachgelassen hatte, war um die Jahrhundertwende an einem Tiefpunkt angelangt. Die folgende Napoléonische Kontinentalsperre mittels der totalen Elbblockade brachte viele Handelshäuser, Reedereien und exportorientierte Gewerbe Altonas an den Rand des Ruins. 1835 zählt Altona 26.393 Einwohner, knapp 1864 sind es bereits deren 53.039. Im gleich Jahr  muss Dänemark nach verlorenen Kämpfen gegen preußische und österreichische Truppen alle Herrschaftsansprüche über Schleswig-Holstein aufgeben.1866 wird Schleswig-Holstein und somit auch Altona in den preußischen Staat eingegliedert. Das heißt das in Altona bereits das preußische Rechtssystem Gültigkeit hat während in Hamburg noch bis zur Reichsgründung 1871  eine eigenständige Rechtsprechung wirksam war. 1888, Altona zählt inzwischen über 100 000 Einwohner, wird das Städtegroßgebiet Hamburg und Altona mit dem deutschen Zollgebiet vereinigt und Altona verliert seine Freihafenrechte. Zollfreibezirk bleibt ein Teil des Hamburger Hafens. Die preußische Regierung unterstützt aber weiterhin die Eigenständigkeit der Stadt Altona.

http://www.altona.dk/geschichte/
http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-Altona

St. Pauli

Das Gebiet des heutigen St. Pauli hieß damals noch Hamburger Berg und lag vor dem Millerntor, auf der Grenze zum dänischen Altona. Der Hamburger Berg war in seiner Ausdehnung weitaus größer als das Gebiet des heutigen St. Paulis, es reichte von der Admiralitätsstraße bis hin zur Grenze nach Altona. Noch heute zeugen die abfallenden Hänge vor den Landungsbrücken, bei der Bernhardt-Nocht-Straße und dem Pinnasberg von einer Geesthöhe, die sich von Hamburg bis nach Wedel erstreckte. Der benötigte Ton und Sand zur Herstellung von Ziegeln für die Steinhäuser wurde bis in das 17. Jh. hinein zum Großteil aus dem Material des Hamburger Bergs gewonnen, der so Stück für Stück abgetragen wurde, bis dann, um 1620 die Stadt den Berg planierte, bzw. ihn zum Großteil zum Bau der Festungswälle verwendete, um das Gelände in Kriegszeiten besser kontrollieren zu können. Bald schon wurden Gewerbebetriebe ausgelagert, die man aufgrund von Lärm, des Gestankes und der Abfälle nicht in der inneren Stadt haben wollte, so die Ziegelhütten und die Ölmühle (1633), die Trankocherei (1649) und die Dröge, ein Trockenhaus für geteerte Seile (1671). Die Reepschläger drehten dort auf langen Bahnen die Taue für die Tagelagen der Schiffe. 1883 als die Taue durch Stahltrossen ersetzt wurden, löste man die Reeperbahnen auf. Die Straße Reeperbahn liegt südlicher als die eigentlichen Bahnen und erhielt ihren Namen erst um 1900.

Trotz der Verbote errichteten viele Zuwanderer, Seeleute und Hafenarbeiter bereits ab 1600 ihre Hütten und Buden auf dem Hamburger Berg. Die Kanoniere der Hamburger Festungsanlage legten Wert auf ein freies Schussfeld, „Glacis“ genannt. Die dort errichteten Häuser durften nur eingeschossig errichtet werden und bei Kriegsgefahr mussten auf Befehl des Hamburger Senats gegebenenfalls die Bauten sofort abgerissen werden. Feste Häuser durften erst zum Ende des 17.Jh. gebaut werden, als Hamburg bereits völlig übervölkert war. Während der Zeit der französischen Besatzung (1806 – 1815) wurden die Festungswälle zu Parkanlagen umgewandelt und der Schiffbau und die Schifffahrt auf der Elbe verboten und vielen so die Haupternährungsquelle genommen. Auf Befehl der französischen Militärregierung wurde 1814 die gesamte Vorstadt des Hamburger Bergs niedergebrannt. 7000 Bewohner verloren damals ihr Zuhause, doch bereits 1820 war die Vorstadt vollständig wieder aufgebaut. 1833 erhält die Vorstadt, in alten Landkarten als „Hamburger Berg“ bezeichnet, ihren Namen St. Pauli. Die St. Pauli-Kirche, die dem Viertel seinen Namen gab, wurde 1833 bei der Antonistraße dem heutigen St. Pauli Süd errichtet. Sie entstand im Rahmen eines Baubooms, in dessen Zusammenhang die ganzen Straßen nach dem ABC (Männernamen) benannt wurden (Antonistr., Balduinstr., Friedrichstr., Gerhardstr., Davidstr. usw.) 1833 wurde St. Pauli offiziell zur Vorstadt Hamburgs ernannt und die endgültige Eingemeindung erfolgte dann 1894. Durch den Senator Hudtwalcker, dem Leiter der Reformkommission in Hamburg, die als Reaktion auf die revolutionären Ereignisse von 1848 eingesetzt wurde, entstanden die ersten Sperrbezirke für Prostituierte auf dem Hamburger Berg. Erst 1860 fällt die Torsperre der Hamburger Festungsanlage die sonst zur Abendstunde ihre Pforten schloss. Die Gebühr für den Eintritt durch das Millerntor steigerte sich damals mit der nach der Dunkelheit vorgenommenen Torsperre von 4 Schillingen auf bis zu 16 Schillingen nach Mitternacht.

Arndt Ute, Thomas Duffe, Bernd Gerstäcker, 1995, „St Pauli – Gesichter und Ansichten vom Kiez“, Historika Photoverlag, Hamburg

Ellermeyer Jürgen (Hg.) : 1986, „Stadt und Hafen“, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg, Nr.8, Hans Christians Verlag, Hamburg

11
Feb
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Das Unterhaltungsgewerbe in St. Pauli und der Alt- und Neustadt

Die Aufhebung der Torsperre – Singspielhallen und Tanzlokale

Nach der Aufhebung der Torsperre entstehen in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Tingeltangel, Varietetheater und Bierhallen. Nach dem Ende der Neuordnung des Terrains der aufgelösten Reeperbahnen Ende der 1880er und der festen Bebauung des Spielbudenplatzes war eine klare Tendenz hin zu großen Prachtbauten, Theatern, Konzerthallen, Zirkushallen, Panoramen und Bierhallen zu erkennen, die einerseits der Massenunterhaltung dienten, aber auch den Ansprüchen des Bürgertums gerecht wurden. Die kleineren Theater und Singspielhallen entlang der Reeperbahn wurden so mehr und mehr in die Seitengassen gedrängt. Der Boom der vielen Bierhallen wurde teils von einer großen Bierhallen-Aktiengesellschaft finanziert, die an mehreren Orten in der Stadt ähnliche Etablissements unterhielt. Die Beteiligung von Brauereien an derartigen Unternehmungen die somit eine Absatzgarantie und eine Schlüsselfunktion in der Freizeitindustrie auf St. Pauli erhielten, war ein wichtiges Kriterium bei dem stattfindenden Konzentrationsprozess in der Unterhaltungsbranche. Um die Jahrhundertwende gab es eine Vielzahl von großen Hamburger Brauereien: die “Barmbeker” (seit 1879), die “Löwen- und Holstenbrauerei” (seit 1880), die “Winterhuder- und Elbschlossbrauerei” (seit 1881), die “Hansa” (seit 1882) und die “Gertig´sche und Billbrauerei (1890).Parallel zu dieser Entwicklung verlief der Aufschwung der 1860 gegründeten „St. Pauli- Creditbank“, die seit den 1890ern zunehmend Grundstücke und Lokale aufkaufte. Die Katastrophe des Wiener Theaterbrandes (1881) und die zwei Brände der „Centralhalle“ auf St. Pauli (1873 und 1878), sowie die Zerstörung des Zirkusgebäudes von „Renz“ (1888) führten zu einer zunehmenden Kontrolle der Etablissements durch Sicherheits- Brandschutz- und Baurechtsvorschriften. Dies machte oft kapitalintensivere Investitionen nötig und schuf die Grundlagen, dass die Behörden auf Lizenzvergaben und Neugründungen von Lokalen, Tanzhallen, etc. größeren Einfluss nehmen konnten.

In Alt-St. Pauli gab es die „Neue Dröge“ und das „Joachimsthal“. Das Restaurant die „Neue Dröge“ befand sich auf der rechten Seite der „Langen Reihe“, der späteren Straße Reeperbahn(von Hamburg aus kommend), neben den von den Reepern benutzten Dröge. Es war auf ein gutsituiertes bürgerliches Publikum ausgerichtet, besaß ein Lesezimmer mit den damals beliebten Zeitschriften, einen eigenen Garten, ein Billiard- und Spielzimmer sowie einen für 100 Personen bestimmten Speisesaal. Später nach 1814,  wurde aus dem Etablissement das „St. Pauli Tivoli“ und dann der Salon „Alkazar“. 1865 wurde die Straße „Hinter der Neuen Dröge“ umbenannt in Heinestraße zu Ehren von Salomon Heine, dem Onkel des Dichters Heinrich Heine und Erbauer des Israelitischen Krankenhauses, auf das die Straße zuführt. Nachdem es zu einem Tanzsaal umgebaut wurde, bewertete ein Stadtführer 1861 das Lokal als ein Etablissement, „wo das Damenpublikum nicht viel anders ist als ,In den vier Löwen‘ (…) aber das Herrenpublikum ist durchweg feiner. Man ist vor Exzessen sicher“.

In der gleichen Straße, mehr nach Altona zu, befand sich das Lokal „Joachimstal“. Ein Tanzlokal mit großem Garten in welchem auch Konzerte stattfanden. 1851 fand dort eine „Vauxhall“ mit einem Ball „Champeterie“ statt, sogenannte Gartenfeste für ein gutsituiertes bürgerliches Publikum. Beide Lokale wurden während der Zeit der französischen Besetzung niedergebrannt aber umgehend wieder aufgebaut. Wo das „Joachimstal“ stand, wurde später das Carl-Schulze-Theater errichtet. Weitere Tanzlokale befanden sich im Gängeviertel der Neustadt,  in der Neustädter Straße. „Lahrs Tanzsalon“ und gegenüber, das bekannte Etablisement vom Wirt Peter Ahrens, seit 1805 eröffnet. Es war beliebt in bürgerlichen Kreisen und bei vielen ausländischen Reisenden und sogar bei Mitgliedern verschiedener Fürstenhäuser. 1823 führte der Wirt in seinem Lokal die erste Gasbeleuchtung in Deutschland ein und wurde dadurch zum regelrechten Publikumsmagneten. Nach dem Tod des Besitzers (1825) wurde das Lokal u.a. von der Witwe und später vom Schwiegersohn weitergeführt und soll noch bis 1860 eine gutgehende Wirtschaft gewesen sein. (Borcherdt Albert, 1999: 26) Aus einer Beschreibung von „Lahrs Tanzsalon“ in der Neuen Straße und dem gegenüberliegenden Salon von Peter Ahrens aus dem Jahr 1850 geht hervor, dass beide Tanzlokale zu dieser Zeit von Prostituierten frequentiert wurden und darüber hinaus dort eine einträgliche Kuppelei von Frauen und Mädchen stattgefunden hat.

Ab 1850 boomten die Singspielhallen und Cafe Cantants in St. Pauli, in welchen die Soubretten von St. Pauli „aufgehübscht“ mit tiefen Dekollete ihr Gesangsrepertoire zum besten gaben. Die Frauen mussten sich auch als Animierdamen betätigen und erhielten von der Spirituosenvertilgung einen kleinen Prozentsatz zur Aufbesserung ihrer geringen Gage. 1874 musste eine aus dem Jahr 1822 bestehende Verordnung über die Polizeistunde per Dekret in Erinnerung gebracht werden, wegen „ der maßlosen Ausdehnung des Schankbetriebes bis tief in die Nacht hinein“. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich in offener Weise ein Nachtbetrieb in sogenannten Cafe`s in denen, zumindestens nominell, kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Zusätzlich existierten eine Vielzahl von sogenannten Speisewirtschaften, die bis weit in die Nacht geöffnet hatten. Die Polizeibehörde hatte keine Kontrolle über die Errichtung dieser Lokale, da sich das Reglement der Reichsgewerbeordnung nur auf Schankbetriebe bezog in denen Alkoholika ausgeschenkt wurden. Als dann 1895 die Konzessionspflicht auf alle Lokale ausgedehnt wurde und die polizeilichen Kontrollen hinsichtlich der weiblichen Bedienungen und der Einhaltung der Polizeistunde verschärft wurden, mussten innerhalb kürzester Zeit 86 dieser Lokale schließen.

Borcherdt Albert, 1999, „Von Wirtshäusern und vom guten Essen im alten Hamburg“, Kurt Sauck-Verlag, Hamburg

Buhr Emmy, 1920, „1000 Jahre Hamburger Dirnentum“, Elbe-Verlag Hamburg

Dofour Pierre, 1995,  „Die Weltgeschichte der Prostitution“, Reprint, Band 2, , Eichborn Verlag, Frankfurt am Main

Ellermeyer Jürgen (Hg.) : 1986, „Stadt und Hafen“, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg, Nr.8, Hans Christians Verlag, Hamburg

Thinius Carl, 1975, „Damals in St. Pauli”, Hans Christians Verlag, Hamburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg


Der Hamburger Dom, Tingeltangel und Variete

Als besonders innovativ für die Entwicklung des Unterhaltungsgewerbes, insbesondere der Varietebranche, erwies sich der Hamburger Dom. Zur Zeit dieses Volksfestes reisten Schausteller aus der ganzen Region nach Hamburg. Neben dem üblichen Jahrmarkt, der in manchen Straßenzügen auch die Form eines normalen Straßenhandels aufwies, zeigte sich die Tendenz zu immer aufwendigeren Ausstattungen der Buden von überdimensionalen, prächtig ausgestatteten Orchestrions bis hin zu kompletten mechanischen Theatern. Aber nicht nur das reisende Gewerbe, auch die festen Häuser boten ein spezielles Domprogramm. Sämtliche kleinen und großen Ballhäuser, Varietes und Singspielhallen, vor allem in direkter Nähe zu dem Budenzauber, buhlten mit Kleinkunstprogrammen bis hin zu aufwendigen Shows um die Gunst des Publikums. So entwickelte sich Hamburg zeitweise zu einem Treffpunkt des Varietegewerbes wo zur Domzeit Artistenlogen und Varietebetreiber zusammentrafen, wo Programme und Nummern entwickelt- und Arbeitsverträge abgeschlossen wurden. In diesem Zusammenhang entwickelte sich die Seilerstrasse in St. Pauli zu einer regelrechten Hotelstrasse, wo sich vor allem Bühnenkünstler einquartierten.

„Von den so neu entstandenen Straßen hat sich die Seilerstraße zu einem großen Hotel Garni herausgebildet. Fast ohne Ausnahme  ist jeder Etageneingang mit zahlreichen Zetteln „Hier ist ein möbliertes Zimmer zu vermieten“ versehen. Der reisende Künstler, der nach St. Pauli kommt, um für längere oder kürzere Dauer in einem der Vergnügungsetablissements seine nie gesehenen unübertrefflichen Nummern oder ganz neue Tricks zum Besten zu geben, bedarf heutzutage nicht mehr eines Wohnungsnachweises. Sein Kollege, der vor ihm das Hamburger Publikum zu amüsieren die Gewogenheit hatte, nannte ihm als  Ziel der Reise die Seilerstraße. Und das genügt auch vollständig“

Hamburger Sonntagspost, 1891, Johannes Meier. Zitat aus:  Eppendorfer Hans, 1982 „Szenen  aus St. Pauli“, Seite 42

Den Hamburger Dom auf dem Heiligengeistfeld gibt es erst seit 1900. Das Volksfest hat seinen Ursprung in dem Weihnachtsmarkt um den ehemaligen Mariendom im Kern der Altstadt. Bereits im 14. Jh. standen in und um der Marienkirche, dem damaligen Dom, hunderte von Buden, deren Besitzer Nahrungsmittel, Zuckerwerk und Spielsachen anboten. Daraus entwickelte sich im Mittelalter ein beliebter Weihnachtsmarkt. Seit 1668 sprach man von der Domzeit, wenn von diesem Markt die Rede ist. Die Marienkirche wurde dann dem Hamburger Senat übereignet, der sie kurzerhand abriss und den Jahrmarkt auf den Gänsemarkt verlegte. Ab 1820 weitete sich das Treiben auf den Zeughausmarkt, den Pferdemarkt und auf den Spielbudenplatz aus. Ab dem Jahr 1900 wird durch eine Marktverordnung das Heiligengeistfeld zum Domplatz ernannt auf dem dann jedes Jahr zur Weihnachtszeit der Hamburger Dom stattfand. Der Platz  des Heiligengeistfeldes wurde bereits ab 1880 für große Vergnügungsveranstaltungen genutzt. Neben dem Tierpark veranstaltete Hagenbeck ab 1887 seine ersten Völkerschauen auf dem Heiligengeistfeld, so die „Internationale Circus- und Singhalesen-Ausstellung“ 1887. 1890 residierte eine Leipziger „Beduinen und Völkerschau“ auf dem Platz. 1890 gaben dort „Buffalo Bill`s Wild West Truppe“ und „Carvor`s Wild America“, mit vielen nordamerikanischen Indianern, ihre Vorstellungen. Alljährlich wurden fast auf der ganzen Fläche künstliche Eisbahnen angelegt und die passende Restauration betrieben.1894 wurde sogar eine ganze italienische Landschaft mit berühmten Bauwerken und Kanälen auf denen Gondeln fuhren aufgebaut. Ein ganzes Jahr lang bevölkerten 450 Italiener diese Kunststadt und vergnügten die Hamburger.

Seinen Namen hat das Heiligengeistfeld von dem vor der Stadt liegenden Heiligen-Geist-Hospital. Nach dem Ausbau der Verteidigungswälle wurde die freie Fläche vor dem Festungsgürtel Heiligengeistfeld genannt. Dieser Platz blieb unbebaut da das Schussfeld der Kanoniere nicht eingeschränkt werden durfte. Ab 1711 wird den „Knochenhauern“ das Gelände ständig zur Pacht übergeben damit sie ihr Schlachtvieh darauf weiden lassen konnten. In den Jahren 1863/4 wurden an der Nordwestecke des Heiligengeistfeldes der Hamburger-Altonaer Viehmarkt gebaut. So wurden in diesem Zusammenhang auch nach der Jahrhundertwende Teile des Heiligen-geistfeldes weiterhin als Viehweide genutzt. Die Rinderhalle (1887/8) fasste 6000 Rinder und 6000 Schafe, südlich dieser Halle befanden sich Stände für ca. 1500 Pferde. Auch Tiere vom Carl Hagenbecks Tierpark, damals am Neuen Pferdemarkt ansässig, weideten im 19.Jh. auf dem Heiligengeistfeld. In der Zeit zwischen 1860-67 nutzten Einheiten des Hamburger Bürgermilitärs, wie auch dänisch-schleswiges Militär aus Altona das Freigelände als Aufmarsch und Exerzierplatz. Nach 1871 wurden Feiern und Paraden zum Kaisergeburtstag und zum Sedanstag auf dem Heiligengeistfeld abgehalten.

http://www.karo4tel.de/first.htm

„Vorerst auf den Gänsemarkt beschränkt, streckte der Dom allmählich seine Riesenarme immer weiter aus. Es entstand der Straßendom. In seinen Bereich gingen nach und nach über: ein Teil des Jungfernstiegs, die Ellerntorsbrücke, der Alte Steinweg, der Valentinskamp. 1823 wurde auch der Großneumarkt vom Dom mit Beschlag belegt.(…)Später brachte der Dom, der sich mit den Jahren den Zeughausmarkt, Pferdemarkt, Holstenplatz, Spielbudenplatz nebst Zugangsstraßen erobert hatte (…) wirkliche Sehenswürdigkeiten. Es erschienen Zauberkünstler, Panoramen, in denen die größten Begebenheiten des abgelaufenen Jahres anzustaunen waren, Seiltänzer, Menagerien, Affen-, Floh-, und Hundecircus, Wachsfigurenkabinette mit hohen Fürstlichkeiten, Räuberhauptmännern, Mördern und anderem gruseligen Inhalt. (…).Auf St. Pauli hatte der Dom erst das richtigen Feld seiner Betätigung gefunden; außer auf dem Spielbudenplatz, bei Hornhardt (jetzt Trichter) und Ludwig (jetzt Millerntortheater) gab es dort Dom im Apollo (später American Bar, wo August Pieso, der auch später den Dom bei Saegebiel einrichtete und leitete, einen mehr künstlerischen Dom zustande brachte). Auf der Ringstraße, Ecke Holstenwall hatte das mechanische Theater von Morieux gewaltigen Zulauf. Nicht minder wurde die Konkurrenz, das Theater Merveilleux, auf dem Spielbudenplatz besucht. Vor mindestens 40 Jahren übte der Dom in den Apollo-Sälen auf der Drehbahn eine große Anziehungskraft auf das domfreudige Publikum aus. Die hervorragensten Artisten aller Nationen, – andere Varietes mussten wohl oder übel Piesos Beispiel folgen, – trafen sich im Dezember in Hamburg. Es kam sogar soweit, dass die Artisten-verbindungen „Sicher wie Gold“ und die „Internationale Artistenloge“ hier ihre alljährlichen Kongresse abhielten, wo viele Engagements, vielfach für das ganze Jahr abgeschlossen wurden, da viele auswärtige Varietebesitzer, Agenten und Impresarios eigens zu diesem Zweck nach Hamburg reisten“.

Quelle: „Der Hamburger Dom – wie er entstand und aussah“ Hamburger Correspondent Nr.543Mo, 2.Beilage,Seite 1, 4.12.1921

Massenunterhaltung in festen Häusern – Der Spielbudenplatz und die Große Freiheit

Der Spielbudenplatz auf dem bis 1900 auch der Dom stattfand, stand schon früher, wie die Namensgebung zeigt, in der Tradition von hölzernen Spielbuden und Zelten. Dort zeigten bereits 1795 Akrobaten, Gaukler, Seiltänzer und Puppenspieler ihr Können, außerdem gab es einen schwunghaften Karrenhandel mit Essbaren und Krams. Nach 1840 wurden feste Häuser errichtet und die Häuserzeile zwischen Circus Gymnasticus und dem Urania-Theater entstand. Der  „Circus-Gymnasticus“(1841), der neben dem Trichter stand, bot in seinem pompösen Bau 3000 Zuschauer Platz. Durch Umbau des Gebäudes hatte ab 1864 das „Theater der Centrallhalle“, die drittgrößte Bühne St. Paulis, dort seinen Sitz. Ab 1889 hatte Circus Renz dort sein traditionelles Winterquartier und bis 1897 übernahm Zirkus Busch das Gebäude. 1903 wird es in „Neues Operettentheater“ umbenannt und dem Publikum Singspiele, Possen und Sittenkomödien geboten. Später wechselte der Namen in „Operettenhaus“ und dann in „Eden-Theater“  In direkter Nähe zur Stadtwache am Millerntor wurde bereits 1805 der St. Pauli- Trichter eröffnet. Zur Zeit der bevorstehenden Torsperre versammeln sich dort die Bummler auf ein letztes Bier. Der „Trichter“ galt lange als ein Ort des bürgerlichen Freizeitlebens, der als Ausflugslokal und Kaffeehaus fungierte und durch ausliegende Tagespresse und Zeitungen den Gästen die Möglichkeit bildender Unterhaltung bot. Später wurde der Trichter durch den Restaurationsbetrieb von Mutzenbacher verdrängt und das Angebot verlagerte sich von der Garten- und Kaffeehausatmosphäre hin zu einer Bierhalle wo musikalisches und artistisches Beiprogramm gehalten wurde.  1889 wird es zum „Hornhardts“ Etablissement, einem Ballhaus, umgestaltet, mit einer prächtigen Kuppel und Aussichtsturm, danach übernimmt Clausen das Lokal. Es besteht über 20 Jahre lang. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bleibt der Bau ungenutzt. Erst 1920 wird das Gebäude als „Ballhaus Trichter“ wiedereröffnet und 1942 zerstört. Die heutige Straße „Beim Trichter“, die vom Spielbudenplatz abgeht verweist, wie der angrenzende „Zirkusweg“ auf die damaligen Lokalität.

Auf dem Spielbudenplatz standen noch eine Vielzahl weiterer Etablissements, so das Panoptikum, ein Wachsfigurenkabinett, das als Reminiszenz zu den Jahrmarktattraktionen 1879 von dem Holzbildhauer Friedrich H. Faerber gegründet wurde. Der bekannte Volkssänger Hein Köllisch eröffnete 1895 am Spielbudenplatz sein eigenes Theater, das „Heinrich Köllisch’s Universum“, wo um 1900 herum Charly Wittong, ein bekannter Hamburger Volkssänger auftrat. Beim Spielbudenplatz 19 befanden sich seit der Jahrhundertwende die „Knopf„s Lichtspiele“, eines der ersten Kinematographie-Theater Hamburgs*. Das Kino wurde dann um die „Spiegelsäle“ und die „Hagenbecks Raubtierschau“ erweitert. Die Apollo-Säle (Spielbudenplatz 28), waren ein bei Bürgerlichen beliebtes Veranstaltungslokal, welches auch von Prostituierten des nahegelegenen Dammtorwalls frequentiert wurde. Seit 1900 befand sich dort die „American Bar“. Später eröffnete in direkter Nachbarschaft(Nr.27) 1925 das Zillertal, eine große Bierhalle mit Veranstaltungsbühne.

*Bereits für den deutschen Stummfilm war Hamburg, bzw. St. Pauli ein wichtiger Drehort. Der Hamburger Hafen und Hagenbecks Tierpark wurden gerne als Kulisse genutzt und St. Pauli bot sich an als Drehort für viele Plots von sogenannten Sittendramen, wo es um „gefallene Mädchen“ und „zwielichtes Gesindel“ ging. Der Stiefbruder von Carl Hagenbeck, John Hagenbeck gründete sogar eine eigene Filmproduktion. Das Hagenbecksche Etablissement am Spielbudenplatz 8 stattete beispielsweise die Filmproduktionen „Der Fremde“ und „Peer Gynt“ aus. Ein weiterer Verwandter, Heinrich Umlauff, schuf die Kulissen für die Völkerschauen von Hagenbeck und wurde dann von der Ufa als Filmarchitekt verpflichtet. Beim ehemaligen „Trichter“ eröffneten in den zwanziger Jahre zwei große Kinos. Das Millerntorkino wie auch das Schauburg erfreuten sich beim Publikum großer Beliebtheit. Es gab sogar ein russisches Produktionsbüro in der Hansestadt (Goskino).

Fast jede größere Bierhalle, Hotels wie Cafes hatten zu dieser Zeit eine kleine Veranstaltungsbühne oder einen Tanzsalon mit Kapelle um den Gästen ein künstlerisches Beiprogramm zu bieten oder der Tanzbegeisterung einen Raum zu geben. So die Hotels Lausen und Mehrer, die beide an der Reeperbahn lagen und die ab den 20er Jahren über je ein Cafe mit Tanzsaal verfügten. Dort war auch die gehobene Prostitution zu finden. Die Kontakte wurden über Tischtelefone oder auf der Tanzfläche hergestellt. Weitere bekannte  Tanzlokale in den 20er und 30er Jahren  waren das am Millerntor gelegene „Cafe Heinze“, im futuristisch anmutenden Art Deco mit einer großen, nüchternen Lichtreklame und das „Cap Norte“ auf der Großen Freiheit. Beide waren beliebte Swing-Lokale.

„Die Lustbarkeitspolizei unternimmt gegenwärtig energische Schritte um die in zahlreichen Hamburger Lokalen veranstalteten „wilden Tänze“ auszurotten. Außer den Saaltänzen, wie bei Saegebiel usw. sind in Hamburg nur  fünf Lokale berechtigt, dem Publikum ein Tänzchen zu erlauben, und dieser Spaß kostet den Inhabern von vier Ballhäusern 200 M und der fünften „Diele“ 300 M Konzessionsgebühr pro Tag. Obwohl eine Strafe von 150 M für Lokalinhaber ausgesetzt ist, welche ohne Konzession ihren Gästen Gelegenheit zum Tanzen geben – oft ist es nur ein mühsames Durchschieben zwischen den Tischreihen – so wird diese Verordnung doch recht oft übertreten, namentlich von den kleineren Bars und Weinstuben. Auch soll eine strengere Kontrolle der 78 Hamburger Kabaretts beabsichtigt sein. In den konzessionierten Ballhäusern sind alle Tänze erlaubt, da die Lustbarkeitspolizei sich nicht berechtigt glaubt, als Sittenrichter zu wirken. Von offiziell konzessionierten Nackttänzen, wie sie in Berlin gang und gäbe sind, ist Hamburg indessen noch verschont geblieben.“

Hamburger Correspondent, 420Ab, S.3, vom 8.5.1921

Weitere wichtige Institutionen des Unterhaltungsgewerbes auf St. Pauli dieser Zeit waren das Variete Alcazar und das Hippodrom. Das  Varietetheater  und Ballhaus “ Alkazar“ das in der Vorkriegszeit eines der großen Varietes auf der Meile war, befand sich bei der Reeperbahn Nr. 110.  Schon vor der Jahrhundertwende gab es auf St. Pauli einen „Salon Alcazar“. Früher stand dort das Tanzlokal „Die neue Dröge“. Das neue „Groß-Ballhaus-Varieté Alkazar“ geleitet von Artur Wittkowski, bot im Viertelstunden-Takt neue Bühnenbilder und Zugnummern des internationalen Varieté-Betriebs mit viel Erotik und nackter Haut, sogar Striptease gehörte mit zum Programm.1936 erhielt das Haus einen neuen Betreiber und einen neuen Namen. Der Name „Alkazar“ war für das NS-Regime durch den Spanischen Bürgerkrieg negativ besetzt. Mit einem Preisausschreiben, das sich an alle Hamburger richtete, erfolgt die Umbenennung  in „Allotria“. In der  „Großen Freiheit“ Nr. 10-12 befand sich eines der größten Hippodrome. Bei dieser Art der Amüsierlokale handelte es sich um Manegen in einem Gebäude mit Restauration am Rand, wo leichtbekleidete Damen zu Pferde, später auch auf Kamelen auftraten. Für kleine Beträge konnte man ein Pferd für die Frau oder Freundin mieten und sie durfte unter aller Augen ein paar Runden drehen. Oft wurde diese Art der Zurschaustellung von Prostituierten zum Kundenfang genutzt. Es diente als Kulisse für den Hans-Albers Film „Große Freiheit Nr. 7“. Das Hippodrom war vor dem 1. Weltkrieg von Paul Becker eröffnet worden und ging erst nach dem 2. Weltkrieg in den Besitz von Wilhelm Bartels(1914-  ) über, dessen Vater nicht nur Besitzer einer Großschlachterei (wie auch Hans Albers Vater)war, sondern auch ab 1928 das Ballhaus Jungmühle in der Großen Freiheit 21 betrieb. Mit 23 Jahren übernahm Willi Bartels als Geschäftsführer das Kabarett „Jungmühle“ das sich durch den „Kraft durch Freude“- Stadttourismus der Nazis zu einem florierendes Etablissement entwickelte.

Das boomende Vergnügungsgewerbe war allerdings nicht nur auf St. Pauli konzentriert. In St. Georg, wo auch das bekannte Variete „Hansa Theater“ (1892),das Kabarett „Fledermaus“ und das Tanzcafe Siegler am Steindamm beheimatet waren, hatte sich mit der Eröffnung des Hauptbahnhofes, ein mit St. Pauli vergleichbares Milieu entwickelt und die Innenstadt war zu diesem Zeitpunkt noch dicht besiedelt und bot vielen Lokalitäten einen ausreichenden Umsatz. Um den Jungfernstieg und den Gänsemarkt befanden sich die Kabaretts „ Trocadero“ (Große Bleichen 32)  und das „Barberina“(Hohe Bleichen 30), desweiteren die Tanzsalons „Caricata Tanzbar“(Große Bleichen 34), „Faun Tanz Casino“(Gänsemarkt 45), das Variete „Kaffeehaus Vaterland“, das aus dem „Cafe Belvedere“ hervorgegangen war(Alsterdamm 39-40, später  Ballindamm) und der Alsterpavillon. Alle diese Etablissement waren in ihrem Angebot und Interieur auf ein wohlhabendes Klientel ausgerichtet. In den 20er und 30er Jahren entwickelten sich viele dieser Tanzlokale zu Treffpunkten der Swing-Jugend mit dementsprechenden Life-Auftritten von Tanzkapellen.

Weitere Treffpunkte der „Swing-Heinis“ waren  das „Curiohaus“ (Rothenbaumchaussee  ), welches 1940 Schauplatz der ersten Razzia und Verhaftungsaktion der Gestapo gegen Hamburger Swingjugendliche war und die im Dezember 1935 eröffnete Eislaufbahn bei „ Planten und Blomen“, dem großen innerstädtischen Park beim Dammtorbahnhof. Sie war ab dem Winter 1937/8 ein beliebter Treffpunkt von Swingjugendlichen. Die Eisbahn, zu der Zeit die größte ihrer Art in Europa, hatte eine Übertragungsanlage für Musik und man konnte dort mitgebrachte Schellackplatten auflegen lassen.

„Getanzte Freiheit: Swingkultur zwischen NS-Diktatur und Gegenwart“, Alenke Barber-Kersovan  Dölling und Galitz , Hamburg 2002 , Gordon Uhlmann

http://www.mdr.de/mdr-figaro/musik/926908.html

Eine neue Theaterlandschaft

Schon Ende des 18.Jh bot der Hamburger Berg Schaustellern und Schauspielern die Möglichkeiten ihre Kunst vorzuführen. Oft eröffneten Kneipiers kleinere Etablissements, um ein Rahmenprogramm zum Kneipenbesuch zu schaffen. So entwickelte sich eine Bühnenkultur, die ökonomisch geprägt war, mit dem wichtigsten Kriterium des Publikumsgeschmacks. Es wurde nicht Kunst der Kunst willen mit Subventionen betrieben. Wenn ein Stück oder eine Inszenierung nicht angenommen wurde, wurde es bald wieder abgesetzt. Ab den 1840gern entstanden Theaterhäuser deren Räumlichkeiten größer und moderner waren und bald mehr Besucher als die Stadttheater anzogen. Zeitweise gab es in St. Pauli fünf große Bühnenhäuser: das „Urania-Theater“, „Theater der Centrallhalle“, „Carl-Schulze Theater“, „Wilhelm-Theater“* und das „Deutschen Operettentheater“

1871 entstand aus den Ruinen des niedergebrannten Odeon, als fünfte große Bühne, das „Wilhelm-Theater“. Der Besitzer war Hermann Schmars dem auch das „Tivoli am Schulterblatt“, dem Vorläufer des „Flora-Theaters“, gehörte. 1887 wurde es geschlossen und ein Jahr später als Bierhalle Wilhelmshalle wiedereröffnet. 1943 wurde das Gebäude vollständig zerstört. Das Flora – Variete in Hamburg Altona wurde zwischen 1886-8  mit einem Programm von Revuen, Box- und Ringwettkämpfen und regelmäßigen Kinematographievorführungen eröffnet.1949 wurde es wiedereröffnet und 1953 in ein Kino mit 800 Plätzen umgewandelt. 1964 zog dort der Handwerksdiscounter „1000 Töpfe“ ein, bis es sich nach Leerstand und erfolgreicher Besetzung in den 90ern zu einem alternativen Kulturzentrum entwickelte.

Auf diesen Bühnen wurde Theatergeschichte geschrieben. Dramatiker wie Maxim Gorki(„Nachtasyl“/ 1903) ,Gerhard Hauptmann(„Die Weber“/ 1894), Leo Toilstoi („Auferstehung“/ 1903), Frank Wedekind(„Erdgeist“ /1898) und Henrik Ibsen(„Hedda Gabbler“/ 1889) wählten St. Pauli als Erstaufführungsort für ihre Stücke. Dies zog auch den Schauspieler-nachwuchs an. Neben Volksdarstellern wie Hein-Köllisch oder den Gebrüdern Wolf betraten Hans Albers oder Gustav Gründgens erstmals in St.Pauli die Bühne. Fritzi Massary begann ihre Karriere 1900 beim Carl-Schultz-Theater mit einer Rolle im Stück „Geisha“ und Mia May, der Stummfilmstar der 20er Jahre, legte u.a. durch ihre Arbeit in verschiedenen Rollen der Revue „Rund um die Alster“ den Grundstein für ihre spätere Karriere. Zu dieser Zeit wurde Hamburg , vor allem mit den Spielstätten St. Paulis, zum „norddeutschen Wien“, zur Stadt der Operette. Von den ca. 570 in Hamburg erstaufgeführten Operetten(ca. 1859- 1933) wurden über 450 zuerst auf St. Pauli-Bühnen gespielt. Allein von Jean Gilbert waren über 20 Produktionen erstmals auf St. Pauli zu sehen, z.b. „Die keusche Susanne“/(1910).

Eines der bekanntesten Häuser war die Hamburger Volksoper, am Anfang der Reeperbahn zum Millerntor. Das Gebäude, welches dem Burgtheater in Wien nachempfunden war, beherbergte zuerst „Ludwigs Ballhaus“ , welches in den 1880ern  zum „Konzerthaus Hamburg“ erweitert wurde. Nachdem die klassischen Konzerte in die neugebaute Musikhalle am Holstendamm verlegt wurden, zog 1910 dort das „Deutsche Operettentheater“ mit 1300 Sitzplätzen ein. Zur Eröffnung wurde Franz Lehars“ Der Graf von Luxemburg“ uraufgeführt Ab 1911 hieß das Theater „Das Operettentheater“, und ab 1913 mit einer erneuten Namensgebung zur „Neuen Oper“, wurde dort „Figaros Hochzeit“ aufgeführt, außerdem fand dort der einzige Auftritt der Tanzlegende Anna Pawlowa in Hamburg statt. Ab 1914 wurde das Haus zur „Hamburger Volksoper“ zu deren Ensemble ein Jungschauspieler namens Hans Albers gehörte und schließlich hieß das Theater ab 1926 bis zu seiner Zerstörung 1943 „Das Haus am Millerntor“.

In der Nähe zum Nobistor, bei der Reeperbahn, war der Standort des „Carl-Schultz-Theaters“. Der Volksschauspieler Carl Schultz gründete dort 1860 sein eigenes Theater. Ab 1883 wurden im Schwerpunkt Operetten aufgeführt und das Theater galt bis 1904 als eine der besten Operettenbühnen im Reich und erlebte bis 1920 viele erfolgreiche Vorstellungen.1931 wurde das Haus in ein Kino umgewandelt und kurz danach geschlossen.

Neben dem bereits erwähnten Operettenhaus und dem Heinrich Köllisch Universum entstand 1841 das Urania- Theater in der Nähe der Davidwache, beim Spielbudenplatz 29/30. Das Eröffnungsstück des damals zweitgrößten Theaters Hamburgs war „Die Schule des Lebens“ von Ernst Raupach. Der Theaterbetreiber war  u.a. der Gastwirt Menk. Der Volksschauspieler Carl Schultz begann dort ca.1850 seine Karriere. Aufgrund einer Kapitalisierung an der Börse wurde das Haus in „Actien- Theater“ umbenannt, zeitweilig firmierte es unter dem Namen „Variete-Theater“, bis es 1895 vom Theatermann Ernst -Drucker übernommen wurde. Er brachte es dann als „Ernst Drucker Theater“ zu seiner künstlerischen Blüte. Es wurde zum Stammhaus des Vereins „Freie Bühne Altona“. Hier wurde auch die inoffizielle Hymne St. Paulis „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ vom Dramaturgen Alfred Müller Förster und dem Schauspieler Ralf Arthur Robert geschrieben. Erstmals wurde das Lied bei der Uraufführung als Teil der Revue „Rund um die Alster“ 1911 von den Gebrüdern Wolf* gesungen. 1941 wurde das Theater auf Druck  der Nazis hin – Ernst Drucker war semitischer Herkunft- in „St.Pauli- Theater“ umbenannt.

Die drei Söhne des Schächters Isaac Joseph Isaac aus der Hamburger Neustadt, Ludwig (1867-1955), Leopold (1869-1926) und James (1870-1943) wurden als »Wolf-Trio«  bekannt. Ihre Spezialität waren Couplets nach dem Vorbild der im angelsächsischen Sprachraum  beliebten Comic Songs, die sie der Norddeutschen Mundart anpassen. Obwohl sie schon vor der Jahrhundertwende bekannt waren, gelang der eigentliche Durchbruch um 1911 mit der Revue ‚Rund um die Alster‘, im Hamburger ‚Neuen Operetten Theater‘. Hier spielten die ‚Gebrüder Wolf‘, seit 1906 nur noch aus Ludwig und Leopold bestehend, die waschechten Hamburger Hafenarbeiter Fietje und Thetje, die man bei Sagebiel, im Eden, im Trocadero und im Hansa-Theater bejubelte. Nach ihrem Erfolg auf den Varieté-Bühnen pressen viele renommierte Plattenfirmen ihre Couplets und Songs auf  Schellack. Ihre Schlager von den »Snuten un Poten«, vom »Mariechen, dem süßen Viehchen« und dem beliebten Lied „An der Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband“ hörte man überall in der Stadt.« Ab 1936 waren dann nur noch Auftritte im Rahmen des jüdischen Kulturbunds möglich. Ab 1939 erhielten sie generelles Auftrittsverbot. James Wolf wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er 1943 starb. Ludwig Wolf verbrachte ein Jahr im KZ Sachsenhausen, konnte aber nach Schanghai fliehen und überlebte. Er starb 1955 in Hamburg.

http://www.hagalil.com/archiv/2004/03/kuenstler.htm

Auch im Kabarettistischen  war Hamburg, Dank der lebendigen Kulturszene St. Paulis, neben Berlin und Wien kein unbeschriebenes Blatt. Das erste Berliner Kabarett des Freiherrs von Wolzogen, das „Bunte Theater“ mit dem Programm „Überbrettl“ eröffnete im Januar 1901 und bereits im April des gleichen Jahres kam das „Überbrettl“ für 10 Tage nach St. Pauli in das Theater der Centralhalle. Hamburgs erstes Kabarettgründung, in diesem künstlerischen Sinne, folgte im Oktober 1901, das „Theater-Variete Apollo“ am Spielbudenplatz von August Piefos –. Es bestand allerdings nur 4 Wochen, hinterließ wegen seines hohen künstlerischen Niveaus aber einen bleibenden Eindruck. Vor dem 1. Weltkrieg, genauer ab 1909,  kam es zu einer Vielzahl weiterer Kabarettgründungen. Im ersten Stock des „Köllisch Universums“ am Spielbudenplatz, eröffnete das „Cabaret Bonbonniere“, das bis 1912 bestand. In direkter Nachbarschaft gab es bis 1910 das „Cabaret Montematre“ im Variete „Deutsche Reichshalle“ und im Cafe Gröber auf St. Pauli eröffnete das „Cabaret Boheme“. In der Innenstadt gab es u.a. die Kabaretts „Hölle“ am  Alten Steinweg und  „Cabaret Intim“ am Jungfernstieg.

Die Entwicklung St. Paulis als Freizeit- und Vergnügungsquartier der Gesamtstadt mit späteren weltweiten Bekanntheitsgrad hing nicht nur allein von der Beziehung des Stadtteils zum Hafen ab. Vorraussetzung war auch die Lage der Region „Hamburger Berg“ außerhalb des Zunftzwanges und außerhalb der Akzisesteuern, die auf der Stadt innerhalb ihrer Festungsmauern lag. Diese Grenzsituation und die Lage an wichtigen Ausfallsstraßen hatten seit der Entstehung Altonas, in der Nähe der Grenztore, die Gründung vieler Bühnen, Gasthäuser, Kaschemmen und Tanzlokale gefördert. Ausschlaggebend für die spätere Zentralisierung des Rotlichtmilieus in St. Pauli waren allerdings die städtebaulichen Prämissen, welche den Abriss großer Flächen der ursprünglichen Altstadt beinhalteten und mit denen eine Verdrängung des Prostitutionsgewerbes aus der Neu- und Altsstadt Hamburgs einherging.

Möhring Paul, „Das andere St. Pauli“, Matari Verlag Hamburg ,(keine Jahresangabe, ca 1959/60 erschienen)