Grenze Altona – St.Pauli, 1915
Warenschmuggel und Zensur
Nicht nur die Altona, auch die gesamte Vorstadt St. Pauli unterlag nicht dem strengem Reglement des Hamburger Zunftgewerbes. Diese vermeintliche Freiheit wurde aber durch eine Konzessionspflicht und oft durch Ausfuhrverbote (nach Hamburg) erheblich eingeschränkt. Auf alle Konsumgüter in Hamburg wurde eine indirekte Verbrauchssteuer erhoben. Alle Waren die von außerhalb kamen, wurden am Millerntor kontrolliert und besteuert, so dass es zwischen Hamburg und seiner Vorstadt eine Zollgrenze gab, die für die St. Paulianer eine deutliche Umsatzbremse darstellte. Dieses eröffnete natürlich den Raum für den Versuch des Warenschmuggels, der an den Stadttoren, wie dem Millerntor durch die Zunftwächter und Stadtwachen aber mit Risiken verbunden war, nichtsdestsotrotz aber weit verbreitet gewesen sein soll.
„Während der französischen Besetzung Hamburgs versuchten die Douanen das Hereinbringen von englisch-indischen Waren zu verhindern. Es fanden sich aber trotz aller Verbote und Strafandrohungen Schmuggler, die die beliebte Ware durch die Douanenkette nach Hamburg brachte. Sie hießen Kaffeeträger, Schuckelmaier oder Schuckler, das von dem Wort Schochermain, das in der Gaunersprache schwarzes Wasser bedeutet, abgeleitet worden war. Die Hamburger Kaffeeträger arbeiteten nicht auf eigene Rechnung, sondern für gewisse Hamburger Geschäfte, von deren Besitzern sie ein hohes Gehalt erhielten und außerdem Prozente von der glücklich durchgeschuckelten Ware. (…) Die Schuckler verbargen die Waren die sie durch das Millerntor schmuggeln wollten, an ihrem Körper und machten ihre Toilette teils in Altona, teils in St. Pauli. Mit dem Kaffee, Zucker und Tabak stopfte man sich künstliche Brüste, Waden, Lenden oder Höcker. Auch in den Equipagen verbarg man die Waren.“
Zitat aus: Neumann Paul, 1849, „Hamburgische Bilderbögen“, Verlag Hamburgische Bücherei, Seite 70/71
St. Pauli befand sich an einer Schnittstelle divergierender Rechts- und Handelssysteme. Vor dem Wegfall der Torsperre 1860 stand auf der einen Seite Hamburg mit seinen restriktiven Zoll- und Zunftverordnungen, auf der anderen Seite Altona, wo Dänemark eine liberalere, freiheitlichere Grundhaltung vertrat, vor allem, um auf diesem Wege die Märkte zu beleben. Die Gesetzgebungen und die Steuersysteme beider Städte waren unterschiedlich, dieser Umstand und die direkte Nähe zum Altonaer Freihafen mit seinen günstigeren Waren, ließen die Möglichkeit eines umfangreichen illegalen Warenaustausch zu einem gewinnbringendem Geschäft werden. Da dieser Transfer auch. ausländische Waren betraf, dürfte dieser Umstand auch für hanseatische Kaufleute von Interesse gewesen sein. Durch die Schmuckstraße (auf Altonaer Gebiet hieß diese Straße Ferdinandstraße) verlief von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und der Stadt Altona. Die Keller der Häuser dieser Straße waren alle miteinander verbunden, so dass man unterirdisch von der Talstraße bis zur Großen Freiheit gehen konnte. In der angrenzenden Talstraße war lange Zeit ein reger Straßenhandel und Schwarzmarkt lebendig. Im Gebäude Annenstraße 26/Clemens-Schultz-Straße 95/6 ist ein Kellergewölbe des mittelalterlichen Pesthofes als Fundament des jetzigen Hauses erhalten geblieben. Darunter sollen sich weitere Räume befunden haben, mit Zutritten zu Gängen, die bis zur Michaeliskirche und zum alten Hafenbecken reichten. Dies liegt die Vermutung nahe, das zumindestens ein Teil der Schmuggelware über diese Gänge, an den Stadtwachen vorbei, nach Hamburg gelangte. Auf der anderen Seite der Reeperbahn, am Straßenzug der Hafenstraße und Bernhardt-Nocht-Straße sollen die Keller sämtlicher Häuser in ähnlicher Weise miteinander verbunden gewesen sein, außerdem sollen Quertunnel zu den Kasematten existiert haben, die bis an die Elbe gingen. So waren unbemerkte Warentransporte mit Kleinschiffen vom Hamburger Hafen zu bewerkstelligen.
Fast alle dieser Gänge sind durch den Bau und der späteren Modernisierung der Kanalisation, dem Bau der Untergrundbahn und durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges nicht mehr existent und bis jetzt hat es keinen Versuch einer historischen Tunnelforschung im Grenzgebiet St.Pauli/Altona/Hamburg gegeben.
Quellen: http://www.steg-hh.de/data/quartiers und persönliche Gespräche mit Informanten in verschiedenen Alt-St.Pauli-Kneipen 1982-84
Zudem galt in Altona das Hamburger Strafrecht nicht, d.h. viele Menschen konnten bei geringfügigen Delikten im dänischen Altona vor der Strafverfolgung der Hamburger Behörden sicher sein. Später, unter umgekehrten Vorzeichen ab 1863, als Altona dem strengerem preußischen Regiment unterstand, galt dies umgekehrt für das Hamburger Territorium.
„So scheint es auch zu einer „Volksbelustigung“ geworden zu sein, sich im preußischen Altona in Auseinandersetzungen mit der Polizei einzulassen, um dann rasch über die Grenze nach St. Pauli zu fliehen, wo die schon fast sprichwörtlich „gemütlichen Hamburger Konstabler“ zusahen, wie die preußischen Polizisten über die Grenze hinweg angepöbelt wurden.“
(Zitat aus: Hatje Frank, 1997 : 346)
Der sogenannte „Altonaer Zapfenstreiches“ von 1904, wo es anscheinend zu Unruhen kam und u.a. mittels Wasserspritzen undifferenziert gegen das anwesende Publikum vorgegangen wurde, scheint dieses Verhältnis zwischen Hamburg und Altona nochmals zu illustrieren. Dieses Ereignis findet sich zwar nicht in der offiziellen Geschichtsschreibung, dafür aber in einer Vielzahl von Karikaturen die als Postkarten im ganzen Land verschickt wurden.
Die politische Zensur wurde in Hamburg um einiges laxer gehandhabt als in Preußen, so wurde Hamburg zu einem regelrechten Verlagszentrum für in Preußen und anderswo verbotene Literatur. Herausragendes Beispiel ist der Hoffmann und Campe-Verlag von Heinrich Heine, der in Hamburg weiterhin publizieren konnte, während in Preußen sämtliche Publikationen ab 1841 verboten wurden. Das gewachsene Selbstverständnis einer freien und liberalen Handelsstadt führte bei vielen Hanseaten zu einer negativen Grundhaltung gegen die preußische Einflussnahme, die oft als eine Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden wurde, was sich auch in der unterschiedlichen Auslegung und Handhabe der Sozialistengesetze zeigte. So kritisierte der Polizeichef des unter preußischer Oberhoheit stehenden Altona das „zu lasche Vorgehen“ der Hamburger Polizei gegen die verbotene Partei. Im Zuge der Eingliederung Hamburgs in das Deutsche Reich und eines wachsenden politischen Drucks aus Berlin kam es ab 1880 aber auch in Hamburg zu einer rigideren Handhabung dieser Gesetze, infolge dessen es zu zahlreichen Ausweisungen und Festnahmen von Sozialdemokraten kam.
Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
Groenewold Elke, Gunhild Ohl, 1990, „Bönhasen – Pfuscher – Freimeister“, St. Pauli Archiv, Hamburg
Kneipen, Kaschemen und Pennen – Die Grenzregion zwischen Hamburg und Altona
Kneipe -(einfaches Wirtshaus, Schenke)- Im 18.Jh. wird, zuerst im Obersächsischen aufkommend „Kneipschänke“, in der Studentensprache zu „Kneipe“ verkürzt und bezeichnet eine kleine, schlichte Schenke, sowie die darin abgehaltene Zusammenkunft zum Zechen. Heutzutage manchmal im abschätzigen Sinne gebraucht, oft aber auch als vertrautes, gemütliches Lokal verstanden.Schenke- für Gasthaus, Wirtshaus, von Obersachsen, Thüringen aus sich verbreitend
Kaschemme – schlechte Kneipe, Ganovenkneipe. Im 19. Jh. Aus dem Rotwelsch („katschemme“, „gertschemiko“, „gritschimm“) übernommen.
Bar- (Nachtlokal, intimes kleines Restaurant, sowie der darin befindliche hohe Schanktisch)- Im 19. Jh. Aus dem Englischen, bzw. Amerikanischen entlehnt. Ausgangspunkt ist engl. „bar“, mengl. „barre“, entlehnt aus afrz. „barre“. Aus der schon dem Afrz. Entstammenden Bedeutung „Schranke“, leitet das Mengl. offenbar die spezielle Bedeutung „Schranke vor dem Schanktisch“ (um diesen vor dem Zugriff der Gäste zu schützen) her, woraus sich im 15. Jh. Die Bedeutung Schanktisch entwickelt. In den USA bildet sich unter der Bezeichnung „bar-room“, verkürzt „bar“, ein Typ des Wirtshauses heraus, in dem man am Schanktisch stehend, rasch eine Erfrischung einnehmen kann. „Bar“ erscheint Mitte des 19. Jh. Im Deutschen in Reisebeschreibungen, wird in den bereits aufgezählten Bedeutungen um 1900 geläufig und wird später auch auf andere Einrichtungen die eine barähnliche Theke haben, an der Gäste stehen oder Platz nehmen können, verwendet.
(„Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“, 1989 : S.769/Bd.2)
Die kleinen Gassen und Seitenstraßen jenseits der neu entstandenen Amüsier- und Flaniermeile der Reeperbahn in der ehemaligen Grenzregion zu Altona, galten vielen Bürgerlichen, ähnlich wie die verwinkelten und schwer einsehbaren Gänge der Alt- und Neustadt Hamburgs, als suspekt. Dort befanden sich viele „Pennen“ und „Kaschemmen“. Pennen waren Beherberhäuser der untersten Klasse, die Durchreisenden, Matrosen, Tagelöhnern und Vagabunden ein einfaches bis ärmliches Nachtquartier boten. Einige dieser Häuser entwickelten sich zu Sammelpunkten von Vagabunden und Bettlern, die tagsüber ihrem Gewerbe nachgingen, was der Obrigkeit und dem „öffentlichem Empfinden“ ein besonderes Ärgernis bedeutete. Im Zuge strengerer hygienischer Bestimmungen und einer – bereits seit dem Ende des 18. Jh.- verstärkten „Wohlfahrtspolitik“ wurden die meisten dieser Häuser dann geschlossen und die Menschen in sogenannte soziale Institutionen wie Armen- oder Arbeitshäuser untergebracht. Ein Prozess, der sich, begleitet von städtebaulichen Diktionen, über viele Jahrzehnte erstreckte und erst unter der Diktatur der Nazis abgeschlossen wurde.
Photographische Dokumente solcher Pennen und angeblicher Gaunerkneipen existieren von der Finkenbude (Finkenstr. 13), wo die Übernachtung 10 Pfennig gekostet haben soll und vom sogenannten „Verbrecherkeller“ in der Niedernstraße, einem Kellerlokal.
„Seit Jahren wird ein hartnäckiger Kampf geführt gegen die grauenhaften Zustände in den Massenherbergen der Altonaer Altstadt und des Grenzgebietes. Immer wieder haben die sozialdemokratischen Mitglieder städtischer Kommissionen und Behörden auf Maßnahmen gedrängt zur Beseitigung der Uebelstände, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit weiter Volkskreise bilden und das Ansehen der Stadt im höchsten Maße schädigen. Jetzt endlich haben sich die maßgebenden Organe zu einem energischen Eingreifen entschlossen. Im Zusammenwirken zwischen städtischer Baupolizei und staatlichem Polizeipräsidium sind eine Reihe der größten und schlimmsten Herbergen geschlossen worden, darunter die berüchtigte Finkenbude, der größte Teil des Massenlogierhaus Neueburg, die Logierhäuser Schultz in der Papagonenstraße, Lührs, Große Freiheit, und andere.“ (…) „Denn wie sieht es in den Herbergen aus? Ein Gang durch die Aufenthalts- und Schlafräume offenbart grauenhafte Zustände. Da ist zunächst die Finkenbude, die Stuhlmannsche Herberge in der Finkenstraße. Durch den stets bis in die tiefe Nacht hinein dicht besetzten Schankraum hindurch gelangt man über einen schmalen unbelichteten Korridor zu den sogenannten Aufenthaltsräumen. Zwei kahle Räume von zusammen etwa 40 Quadratmeter Größe, mit Bänken an den Wänden entlang. Das waren die bevorzugten Schlafplätze. Für die Masse der Beherbergten aber galt der nackte Fußboden als Lagerstätte. Wenn`s hoch kam, stand als Unterlage ein Stück Zeitungspapier zur Verfügung. In diesen verhältnismäßig kleinen Räumen pressten sich im Winter zuweilen 40 bis 50 Personen zusammen.“ (…) „ Für beide oberen Stockwerke gab`s einen zweiten Abort, ohne Spülung, in einem verfallenen und außerordentlich unsauberen Raum. Daneben eine Waschvorrichtung. Gleichfalls die einzige! Und in dieser fürchterlichen Umgebung haben zeitweise Hunderte genächtigt“ (…)„ Die Aufhebung dieser Herbergen war eine dringende Notwendigkeit. Ihre Existenz allein lockte viele heruntergekommene Elemente an und veranlasste sie hier zu dauerndem Aufenthalt. Neben der gesundheitlichen und sozialen Gefahrenquelle, die sich bildeten, haben sie dazu beigetragen, dass die üblen Elemente der Hafenstadt sich hier besonders konzentrierten.“
Quelle: Hamburger Echo Nr.101, 12.4.1927 „Im Kampf gegen das Herbergselend – Schließung Altonaer Logierhäuser“
Auch in der Talstraße, die für ihren unkontrollierten Straßenhandel bekannt war, gab es viele solcher Lokale und Pennen, u.a. soll sich dort seit den 20er Jahren die Homosexuellen-Szene mit mehreren Lokale ausgebreitet haben. In der anliegenden Schmuckstraße durch die von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und Altona verlief (auf Altonaer Gebiet hieß die Straße Ferdinandstr.) siedelte sich seit Ende des 19. Jh. eine kleine chinesische Gemeinde an. Neben den einigen hundert Chinesen, die überwiegend in den Schmuckstraße lebten, welche zum „Chinatown“ hochstilisiert wurde, gab es direkt zum Hafen, bei der heutigen Bahnstation Landungsbrücken mehrere Straßenzüge wo sich überwiegend Spanier und Portugiesen niederließen. Noch heute wird diese Ecke als Spanier- und Portugiesenviertel bezeichnet. Das chinesische Viertel war bekannt für sein Glücksspiel „Chiko“ und seine Opiumhöhlen. Dieses Milieu war für staatliche Behörden wie die Polizei aufgrund der sprach- und kulturellen Barrieren schwer einsehbar, was Vorurteilen und Ressitements den Weg ebnete.
Viele Chinesen arbeiteten auf den Dampfschiffen als Heizer oder Trimmer und auch als Wäscher oder Köche und wurden auch gerne eingestellt da sie als widerstandsfähiger galten als Europäer. Auch zu Land suchten sie ihr Auskommen als Wäscher und Restaurantbesitzer. Im St. Pauli der 20er Jahre sind ihre Garküchen und Wäschereien bekannt. In direkter Nachbarschaft, in der Großen Freiheit11 gab es in den 20er Jahren das Tanzcafe Neu-China.. Die Schmuckstraße war zu dieser Zeit noch beidseitig bebaut und in den Erdgeschossen befanden sich zahlreiche Geschäftsräume die von Chinesen genutzt wurden. So hatte ein gewisser Fat-Hing einen Zigarrenladen und Wong Lam besaß ein Tabakgeschäft und ein Heuerbüro für chinesische Seeleute. In der Schmuckstraße 18 befand sich das Restaurant „Chop Shuey“ und in der Nr.7 eine chinesische Kellerkneipe in der auch Opium konsumiert wurde (Bei einer Durchsuchung dieses Lokals im Oktober 1922 wurden 19 Dosen mit Opium, 20 leere Opiumdosen und einige Waffen gefunden). Auch im benachbarten Keller unter der Wäscherei Baruschek befanden sich Spielhöllen, wo hauptsächlich „Chiko“ gespielt wurde. Die Keller der Häuser dieser Straße waren alle miteinander verbunden, so dass man unterirdisch von der Talstraße bis zur Großen Freiheit gehen konnte. Durch die Schmuckstraße verlief von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und der bis 1937 selbstständigen Stadt Altona. In der angrenzenden Talstraße war lange Zeit ein reger Straßenhandel und Schwarzmarkt lebendig. Diese Kellerlabyrinthe hatten also eine lange Tradition und dienten zum Warentransport und Lager, wie auch als Fluchtwege. 1944 durchkämmt die Gestapo wegen dem Vorwurf der „Spionage für die Engländer“ die Schmuckstraße und deportierte die dort lebenden 165 Chinesen. Sie wurden zum Arbeitsdienst gezwungen, 17 von ihnen starben bis zum Kriegsende, die meisten Überlebenden verließen danach Deutschland.
Hamburg soll in der Zeit zwischen 1920 bis 1932 ein bedeutender Umschlagplatz für den internationalen Rauschgifthandel gewesen sein. Die Mengen die an Opium und Kokain in Hamburg verbraucht wurden, waren allerdings gering. Es gab Lokale, vor allem Nachtbars, in denen Kokain gehandelt wurde, die Verkaufsportionen, die in kleinen Briefchen gefüllt waren, wurden „Teekse“ genannt. Im Sommer 1926 konnten im Hamburger Hafen, in Kisten die von Budapest nach Shanghai gehen sollten, 2,25 Zentner Heroin beschlagnahmt werden, das damals im Straßenverkauf für 2 Mark das Gramm gehandelt wurde. In diesem Zusammenhang wurde ein US-Amerikaner verhaftet und zu 5000 Mark Geldstrafe wegen Verstoßes gegen das Opiumgesetz verurteilt und danach des Landes verwiesen. Ende 1931 konnten die Rauschgiftdezernate Berlins und Hamburgs wiederum im Hamburger Hafen 5 Zentner Morphium sicherstellen. Die Ware war in Istanbul aufgegeben worden, dann nach Marseille verschifft, von wo sie dann über Paris nach Hamburg gelangte.Ebeling Helmut, 1980, „Schwarze Chronik einer Weltstadt – Hamburgs Kriminalgeschichte 1919-1945“, Ernst Kabel Verlag, Hamburg
Nach dem 1. Weltkrieg, 1919 – Deutschland war inzwischen Republik und die politischen Verhältnisse nach der „versuchten“ und „vollzogenen“ Revolution begannen sich in Hamburg, auch wenn Hunger und Arbeitslosigkeit herrschten, wieder relativ zu stabilisieren – erschien in dem bürgerlichen „Hamburger Fremdenblatt“ ein ausführlicher Artikel über die Zustände in der Talstraße, über illegale Spielbanken und wilde Händler:
„Nun hat auch Hamburg seine Spielbanken unter freien Himmel, die ebenso wie die in letzter Zeit wie Pilze aus der Erde geschossenen Spielclubs glänzende Geschäfte machen. In der Thalstraße sind die ersten derartigen Unternehmungen aufgetaucht,(…). Ein um den Hals gehängter Kasten stellt den Spieltisch dar. Ein Mann verkauft die Karten und deckt das zweite Spiel auf, während der Bankhalter die Gelder einkassiert und die Gewinne auszahlt (…)Gespielt wird fast durchweg „großes Los“, ein Spiel bei dem im Gewinnfalle das Zwei- bis Neunfache ausgezahlt wird. Alles geht streng reell vor und ein etwaiges Mogeln von seiten der Bankhalter ist ausgeschlossen. Dazu passt einer zu sehr auf den anderen auf. Einsätze und Gewinne wandern durch zahllose Hände, weil nicht alle bei der „Bank“ Platz finden, sondern im großen Kreis um diese herumstehen. Gewissenhaft wird das Geld weitergegeben und erreicht totsicher seinen Empfänger. Die besten Kunden sind die wilden Händler, die in derselben Straße zu hunderten ihren Stand, wenn man von einem solchen überhaupt reden kann, aufgeschlagen haben. Abgesehen von schweren Gegenständen gibt es wohl wenige Sachen, die man in der Thalstraße nicht kaufen kann. Alle nur möglichen Esswaren in mehr oder weniger appetitlicher Aufmachung, wie Kuchen, Torten, Mehl, Zucker, Spirituosen, usw. werden feilgeboten. Daneben alle nur erdenklichen Bekleidungsstücke, von der Säuglingswäsche bis zum fertigen Kostüm oder Anzug. Ganze Stapel vollständig neuer Bettwäsche, die alle noch mit dem Stempel des Bekleidungsamtes oder der militärischen Stelle, der sie einst angehörte, versehen ist, zahllose neue Zeltbahnen, Wagenplanen, wollene Decken, Stoffe, Gardinen, Hüte, Stiefeln, Fahrräder, kurz alles, was man sich nur denken kann, wird angeboten. Andere, die ihr Tun etwas verstohlener betreiben und sich mehr auf die Kaschemmen beschränken, handeln mit Uhren und Schmucksachen, echten und unechten Ringen und Ketten, zum Teil ganz neuen, die noch in den Etuis mit Firmenaufdruck liegen. Auch kostbare Nippsachen, wie Bronzeuhren und Figuren, sind keine Seltenheit. Wer weiß in welcher Villa sie einst gestanden haben. Und alles findet seinen Käufer, und nicht etwa zu Schleuderpreisen. Nein, die Händler wissen ganz genau was ihre Ware wert ist, und nur „unbequeme“ Gegenstände, wie die oben erwähnten Bronzesachen, werden billig angeboten. In den Gastwirtschaften, in denen zum Teil Eintritt erhoben wird, wofür es dann Getränke gibt, herrscht ein lebensgefährliches Gedränge. Auch hier wird mit allen Möglichen und Unmöglichen gehandelt, und alle Augenblick hört man einen schallenden Handschlag, mit dem jeder abgeschlossene Handel besiegelt wird. Summen von 500 Mark und mehr sind gang und gäbe. Hat ein Händler seine Ware ausverkauft, so verschwindet er in einem der vielen Gänge und taucht nach kurzer Zeit mit einer neuen Auswahl der verschiedensten Dinge wieder auf.“
Hamburger Fremdenblatt, 23.04.1919, Nr.206Ab, Seite 5
Bereits einen Tag später – in St. Pauli war es nach dem Verbot einer Spartakistenveranstaltung zu schweren Unruhen mit nachfolgenden Enteignungen und Plünderungen gekommen – erschien im Hamburger Fremdenblatt folgender Artikel:
„Seit heute morgen hat St.Pauli, die Stätte des Vergnügens und lebhaften Verkehrs, der Mittel- und Ausgangspunkt der letzten schweren Unruhen, ein kriegerisches Gewand angezogen. Wer in den Frühstunden sich vom Millerntor oder von Altona her St. Pauli näherte, mag arg verwundert gewesen sein. In aller Herrgottsfrühe ist nämlich St. Pauli in ein Drahtverhau gekleidet worden und damit der Verkehr auf der Hauptstraße, der Reeperbahn, völlig unterbunden. An jeder Straßenecke steht ein scharfer militärischer Posten. Und sehr scharf ist die Kontrolle der Passanten. Nur wer auf St. Pauli wohnt, darf nach Vorzeigen seines Meldescheines durch die militärischen Sperren. Das Öffnen der Wohnungsfenster ist streng verboten, und alle Augenblicke hört man die Rufe „Fenster zu“ Der Grund hierzu liegt darin, dass in den letzten Tagen aus Wohnungen heraus auf Patrouillen geschossen worden ist. (…)Seit heute früh sind Militärpatrouillen, gewöhnlich in Stärke von 3-5 Mann, in Begleitung von Kriminalbeamten unterwegs auf der Suche nach Waffen und Diebesgut. Alle Häuser St. Paulis sollen vom Keller bis zum Boden daraufhin untersucht werden, und man hofft, in drei Tagen alles überholt zu haben. Bereits heute früh fuhren Lastautos mit beschlagnahmten Waren und Waffen, die man in Häusern versteckt gefunden hatte, in großer Anzahl vor die Davidswache vor, wo die den Plünderern abgenommenen Sachen aufgestapelt werden.(…) Während in den letzten Tagen besonders die berüchtigte Thalstraße, mit ihren wilden Händlern und Pennen so überfüllt von Menschen war, dass man weder herein noch heraus konnte, sieht man heute dort hunderte von Sicherheitsmannschaften, die, mit Gewehren und Handgranaten ausgerüstet, Haus für Haus absuchen und reiche Ernte halten. Denn hier war wohl das meiste von Diebesgut zusammengeschleppt und verborgen, um dann von den wilden Händlern auf der Straße und in den Herbergen an den Mann gebracht zu werden.(…) Auch eine große Anzahl Prostituierter ist verhaftet worden. Bedeutende Mengen Gewehre, Revolver, Munition, Hieb- und Stichwaffen sind aus den Häusern herausgeholt worden. Etwa zehn Kaschemmen und Verbrecherkeller, darunter die beiden Talpennen und das „Faß“ an der Altonaer Grenze sind geschlossen worden und werden nach ihrer Desinfektion den Volkswehrtruppen als Alarmlokale zugewiesen.(…)“
Hamburger Fremdenblatt, Nr.208, 24.4.1919
Politische Instabilität und politische Radikalisierung nach dem 1. Weltkrieg
„(…) durch die Wahlerfolge und die der Arbeitsbevölkerung jetzt günstige gesellschaftliche und politische Strömung ihr Selbstwertgefühl im bedeutendem Maße gewachsen und in ihr die Meinung erweckt, dass die jetzt bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung in kürze zusammenbrechen und durch den socialistischen Staat ersetzt werden wird.“
Zitat aus: Evans Richard J., 1990, „Tod in Hamburg“, Seite 125)
Bereits 1917, es mangelte an allen Grundnahrungsmitteln und fast ein Drittel aller Hamburger mussten öffentliche Speisehallen aufsuchen, kam es von Barmbek ausgehend zu Hungerunruhen die sich in ganz Hamburg und den Nachbarstädten Altona und Wandsbek ausbreiteten. Die Polizei registrierte Brotdiebstähle in 116 Geschäften und eingeworfene Fensterscheiben in 105 Läden. Die Unruhen konnten erst von Militärpatrouillen mit aufgepflanzten Bajonett eingedämmt werden. Im Januar 1918 kam es zu einen 6-tägigen Streik von ca. 30.000 Hafenarbeitern gegen den Krieg. Als Reaktion wurden die 4 größten Werften unter militärische Leitung gestellt und alle Versammlungen verboten. Die Kriegsgegner erhielten, umso mehr sich die Lebensbedingungen verschlechterten, immer mehr Zulauf. Im Oktober 1918 hatte die SPD den Anschluss an diese sich radikalisierende Massenbewegung verloren, während die linksradikale USPD so an Stärke gewonnen hatte, dass die Polizei es nicht mehr wagte deren Versammlungen aufzulösen. Nach dem Kieler Matrosenaufstand anfangs November begann in Hamburg in der Nacht des 5.11.`18 der bewaffnete Aufstand. Strategische Punkte wurden ohne nennenswerte Gegenwehr von bewaffneten Gruppen revolutionärer Arbeiter und Soldaten besetzt. Am 8. November wählten die Betriebe einen großen Arbeiterrat , bei dem die USPD und andere linksradikale Gruppen die Mehrheit hatten. Am 11. November kapitulierte das deutsche Reich endgültig. Der 1. Weltkrieg war vorbei. Am 12. 11. wurde öffentlich verkündigt das der Arbeiter- und Soldatenrat die Ausübung der politischen Gewalt im Hamburger Staatsgebiet übernommen habe. Senat und Bürgerschaft wurden abgesetzt, waren nach kurzer Zwangspause aber wieder im Amt um notwendige Verwaltungsaufgaben wahrnehmen zu können. Die SPD erlangte mit Unterstützung zurückgekehrter Frontsoldaten die Mehrheit im Arbeiter- und Soldatenrat und konnte sich in den folgenden heftigen politischen Auseinandersetzungen durchsetzen. Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Bürgerschaft im März 1919 erreichte sie über 50% der Stimmen, die USPD hingegen nur 8,1%. Im gleichen Monat übergab der Arbeiterrat die politische Gewalt an die Bürgerschaft.
Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) ging aus der Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag hervor, die sich seit 1914 immer offener gegen die Unterstützung des 1. Weltkriegs durch die SPD aussprachen und deswegen aus der Partei ausgeschlossen wurden. 1917 wurde die Gründung der USPD als eigene Partei beschlossen.
Die USPD bestand aus ehemaligen linken SPDlern um Haase und Kurt Eisner, marxistischen Theoretikern wie Karl Kautsky, gemäßigteren reformorientierten Kriegsgegnern und der „Gruppe Internationale“, dem späteren „Spartakusbund“ dem u.a. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Franz Mehring, und Clara Zetkin als Führungspersönlichkeiten angehörten.
Hauptziel der USPD war es die Fortsetzung des Krieges zu verhindern bzw. seine rasche Beendigung zu erzwingen. In der Novemberrevolution spielte diese Partei deutschlandweit eine wichtige Rolle. Ihre Führer verabredeten mit der SPD eine gemeinsame Regierungsbildung, die jedoch bereits Ende Dezember 1918 scheiterte. Im folgenden Berliner Januaraufstand wurde seitens der Berliner Arbeiterschaft der Generalstreik, dem ca. 500.000 Menschen folgten, ausgerufen und das Zeitungsviertel besetzt. Die SPD unter Ebert setzte reguläres kaiserliches Militär und schwer bewaffneten Freikorps gegen die Arbeiter ein und ließ den Aufstand niederschlagen, führende Mitglieder der Spartakisten und der USPD wurden ermordet: darunter Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und Kurt Eisner. Bei den folgenden Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 erreichte die USPD nur 7,6% der Stimmen. 1920 gelang es den linken Gruppen und Parteien jedoch, mit einem erneuten Generalstreik den Putschversuch der rechten Generäle Kapp und Lüttwitz abzuwehren, die eine Militärdiktatur errichten wollten. Bei den darauf folgenden Reichtagswahlen erreichte die USPD 17,9% der Stimmen, während die SPD auf 21,3% fiel. Eine Parteitagsmehrheit entschied sich gleichen Jahres für den Anschluss an die Komintern und die Vereinigung mit der KPD, während sich der andere Flügel zwei Jahre später wieder der SPD anschloss.
1919 nahmen aufgrund der Notlage Demonstrationen, Plünderungen und innenpolitische Spannungen zu. Nachdem im Juni in einer Lebensmittelfabrik Tierkadaver entdeckt wurden, die zu Lebensmitteln weiterverarbeitet werden sollten, kam es zu den sogenannten „Sülzeunruhen“. Bei den folgenden Hungerdemonstrationen kam es zu Schießereien mit militanten Gruppen und zur Belagerung des Rathauses, die 17 Tote forderten. Daraufhin rief der Senat die Reichswehr zu Hilfe, die mit 10.000 Mann in die Stadt einrückten. Diese, für ihre antirepublikanische Haltung bekannten Soldaten übernahmen die Reorganisation der Hamburger Polizei- und Sicherheits-kräfte. 1920 entwickelte sich die KPD, nach dem Zusammenschluss mit der USPD kurzfristig zu einer Massenpartei mit 30 000 Mitgliedern und weiteren 8000 in Altona, deren politische Zielsetzung die Errichtung einer Räterepublik nach sowjetischem Vorbild war. Ein landesweiter Aufruf der KPD zum Generalstreik und zum bewaffneten Kampf im März 1921 wurde weitgehend nur in Hamburg befolgt. Bei den Straßenkämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei kamen 18 Menschen ums Leben. Aufgrund dieser fehlgeschlagenen „März-Aktion“ verlor die KPD fast 2 Drittel ihrer Mitglieder. 1923, nach vorangegangenen Direktiven des Moskauer Komintern, kam es, obwohl die deutsche KPD-Zentrale den Aufstand landesweit abgesagt hatte, zum sogenannten Hamburger Aufstand. Revolutionäre Kampfgruppen überfielen 17 Polizeiwachen und wollten so das Signal zur allgemeinen Revolution setzen. Der Plan endete aufgrund mangelnden Rückhaltes bei den Arbeitern und einer gut ausgerüsteten Polizei in einem Fiasko und einem weiteren Mitgliederschwund: die meisten Wachen wurden schon am selben Tag von der Polizei zurückerobert, nur in Barmbek, Bramfeld und Hellbrock dauerten die Straßenkämpfe 2 Tagen an.17 Polizisten, 24 Aufständische und 61 Passanten kamen ums Leben, hunderte wurden verletzt.
Vor allem Hafenstädte wie Hamburg boten günstigen Ausgangsbedingungen für die Vielzahl der Unständigen, der Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter die zeitweise das Milieu ganzer Stadtteile prägten. Das aus der Tradition der Hafenstadt weitverbreitete Prinzip des Schlafgängertums und der Pennen boten verhältnismäßig billigen Wohnraum. Der Hamburger Hafen hatte noch einen hohen Bedarf an Tagelöhnern und Saisonarbeitern, wie auch die expandierenden Märkte, vor allem der schwunghafte Straßen- und Karrenhandel, wie beispielsweise in der Talstraße und in der ehemaligen Großen Elbstrasse, der sogenannten „Judenbörse“ weitere Verdienstmöglichkeiten boten. Ein unter diesen Vorraussetzungen bestimmtes Leben brauchte eine weitaus größere Dynamik als ein auf lange Zeit vorbestimmtes Arbeitsverhältnis und spielte sich größtenteils auf den Strassen und in den Kneipen, den „Wohnzimmern der kleinen Leute“ ab. Bürgerliche und Hamburger Patrioten die aus ihrem Selbstverständnis heraus Hamburg als „ihre Stadt“ begriffen, mussten nun feststellen, das bestimmte Straßenzüge, wenn nicht sogar Stadtteile sich als für sie fremdes Territorium erwiesen, wo die Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit nur bedingt griffen. Öffentliches Elend und öffentliche Sittenlosigkeit wurden seitens der Obrigkeit schon immer als eine Störung der Ordnung wahrgenommen und unterschiedslos behandelt – mit dem Ziel ihrer Beseitigung aus dem geordneten Stadtbild. So wurde die Konstruktion der „gefährlichen Klassen“, einer Unterwelt mit eigenen Sitten, Regeln und Sprache, einem genealogisch definierten Gaunertum zustimmend aufgenommen und es wurden städtebauliche Prämissen gutgeheißen, die auf eine grundlegende Beseitigung dieser Problematik abzielten. Alte Stadtviertel mit oft relativ schlechten Wohn- und Lichtverhältnissen und unübersichtlicher Baustruktur wurden zum Ziel einer städtischen Abrisspolitik – die dabei entstehenden Leerstellen im Stadtgedächtnis wurden in Kauf genommen.
„So wie die Stadtplanung darauf abzielt, geordnete und kontrollierbare Räume zu schaffen, so geht es bei der Hygiene um die Schaffung geordneter und kontrollierbarer Körper. Seit diese beiden Disziplinen im 19. Jahrhundert ihre moderne Form herausgebildet haben, scheinen sie untrennbar miteinander verknüpft: Körper und Räume werden jeweils aufeinander abgebildet – ein Vorgang, der “Fremdkörper” schafft“.
http://kunstaspekte.de/index.php?tid=11196&action=termin
Dieses Konstrukt der „gefährlichen Klassen“, die als Ausgangspunkt die Ausgrenzung aller Erscheinungsformen von Armut und “Unsittlichkeit“ und der damit verbundenen Milieus der Tagelöhner, Prostituierten, Vagabunden und Bettler aus dem Stadtbild hatten, gewann mit der zunehmenden Radikalisierung von Teilen der Arbeiterschaft nach dem 1. Weltkrieg, die die Basis der Spartakisten, USPD und der KPD bildeten, eine neue Brisanz und vermeintliche Bestätigung. Während als erste Reaktion bereits seit dem 18. Jh.das Stiftungswesen und die Armenfürsorge ausgebaut wurden und später, im Rahmen der Eingliederung Hamburgs ins Deutsche Reich, der Polizeiapparat neu strukturiert und erheblich vergrößert wurde, begann man bereits vor der Jahrhundertwende Stadtstrukturplanungen als ein wirksames und langfristig wirkendes Mittel zur Erreichung dieser Ziele zu begreifen.
Im Fall der Gängeviertel begann dies mit dem Bau der Wex- und später, der Kaiser-Wilhelmstrasse durch das Viertel im ausgehenden 19. Jh. und wurde knapp 50 Jahre später unter nationalsozialistischer Herrschaft mit dem vollständigen Abriss vollendet. Oft entstanden prestigeträchtige Großbauprojekte anstelle des gewachsenen innerstädtischen Milieus. So die durchgängige Neubebauung des Dammtorwalles mit dem Bau des Hauptpostamtes – welches von 1883 bis 1887 für zwei Millionen Reichsmark errichtet wurde und als das größte Postgebäude des Deutschen Reiches galt – und weiterer Behördenbauten bis hin zur Musikhalle (1912), die das dort befindliche traditionelle Prostitutionsquartier zurückdrängten, bis es sich Ende der 20er Jahre nur noch auf die Ulricusstrasse konzentrierte. Weitere Beispiele sind der Bau des Chilehauses(1924) des Architekten Fritz Högers und der des Verwaltungsgebäudes von Karstadt(1921-24/jetziges Finanzamt) in der Steinstrasse/ Bugenhagenstraße.
Mit dem groß angelegten Abriss innerstädtischer Wohnquartiere entstanden rund um das alte Hamburg funktionale Wohnsiedlungen, die zwar den Vorstellungen vom modernen Wohnkomfort und Hygiene gerecht wurden, aber keine vergleichbaren Bau- und Raumstrukturen mit ihren Möglichkeiten der sozialen Interaktion, wie die ursprünglichen Wohnviertel der Altstadt besaßen. Die Märzunruhen 1921 und der Hamburger Aufstand 1923, Ausdruck des propagierten Klassenkampfes der KPD der sich ausdrücklich gegen die Republik und die Sozialdemokratie richtete, hatten ihre Zentren bereits jenseits der Altstadt in den Stadtteilen Barmbek, Bramfeld und Hammerbrook. In der Weimarer Republik wurde die Abrisspolitik aufgrund fehlender Kapitalien nicht konsequent fortgesetzt, aber bereits 1928 erschienen in der Hamburger Presse ausführliche Artikel zu den verbliebenen Gängeviertel, die als Elendquartiere mit wuchernder Prostitution, bei dem der Abriss eine zwingende Notwendigkeit darstellte, beschrieben wurden. Dieser wurde unter nationalsozialistischer Herrschaft dann vollendet.
Pelc Ortwin, 2002, „Hamburg, die Stadt im 20.Jh.“, Convent-Verlag, Museum f. Hamburgerische Geschichte
Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächter – Die Entstehung eines modernen Polizeiwesens
Vor der Mitte des 19. Jh. kamen in Hamburg auf einen Polizeibeamten ca. 4200 Einwohner. Um 1840 stand dem weiten Aufgabenfeld der Polizei eine geringe Zahl von Beamten zur Verfügung, so dass der polizeilichen Tätigkeit wahrscheinlich enge Grenzen gezogen waren. Von 40 Offizianten hatten 14 Postendienst an den Grenztoren und Schlagbäumen, 4 waren auf Nachtpatrouille eingesetzt und fünf weitere patrouillierten tagsüber durch die Gassen. Für die Nachtzeiten stand außerdem das Nachtwächtercorps zur Verfügung und bei Bedarf konnte eine Verstärkung durch das Stadtmilitär angefordert werden. Die Nachtwache umfasste 1843 insgesamt 454 Mann die im zweistündigen Wechsel patrouillierten. In der Stadt gab es 10 Wachen mit insgesamt 100 Posten auf denen jeweils 147 Mann Dienst leisteten. In der Vorstadt St. Georg waren es vier Wachen mit 39 Mann und in der Vorstadt St. Pauli 2 Wachen bei 25 Posten die jeweils mit einem Nachtwächter besetzt waren. Für den Bereich des Bettelns und Vagabundierens und der daraus entstehenden Kleinkriminalität, standen weitere 25 „Armenpolizeidiener“ zur Verfügung. Jeder Fremde, ob Händler, Handwerksgeselle oder Reisender, der sich länger als einen Tag in Hamburg aufhielt, musste seinen Pass, bzw. Wander- oder Arbeitsbuch abgeben und eine Aufenthaltskarte lösen und erhielt seine Papiere bei der Abreise auf dem Stadthaus zurück. Die Wirte waren verpflichtet Fremdenlisten zu führen, die sie abends zusammen mit dem Pass der Polizeibehörde zu übergeben hatten.
1856 soll es allerdings noch relativ einfach gewesen sein Legitimations-papiere wie Laufpässe und Wanderbücher (der Handwerksgehilfen) zu fälschen oder sich solche durch Bestechung oder durch falsche Angaben (bsp. Verlustmeldung in einem entfernten Ort) zu beschaffen. 1858 wurden dann in Preußen, Bayern und Baden neue Sicherheitspapiere eingeführt, die damals offiziellerseits als so gut wie fälschungssicher galten. Vor der Einigung Deutschlands 1871 war die Polizei weitaus stärker dezentralisiert und oft begnügte man sich in den einzelnen Ländern damit, Straftäter des Landes zu verweisen und so die Verantwortung auf die Polizeikräfte eines anderen Landes abzugeben. Zumindestens fühlte man sich verpflichtet, diese vor dem Eintreffen der Gauner zu informieren. Aus diesem Sachverhalt entstanden sogenannte Fahndungslisten; detaillierte Personen-beschreibungen von gesuchten Männern und Frauen, die sich ab 1819 immer mehr zu gedruckten Journaillen entwickelten. (z.b. „Mitteilungen zur Beförderung der Sicherheitspflege“ / Erfurt, 1819 und „Allgemeine Anzeigen der Sicherheitsfürsorge für den preußischen Staat“/(1820)) Daneben erschienen immer mehr Handbücher in denen diese sogenannte „Unterwelt“ beschrieben wurde, wobei viele dieser Autoren dazu neigten die undurchsichtigen, oft vom Zufall geprägten, situativen Zusammenhänge der Kultur der Fahrenden und Tagelöhner, als eine hochgradig organisierte und strukturierte kriminelle Gegenwelt darzustellen. Ein Umstand der das Bild der Bürgerlichen von diesen, zum Teil kriminellen Subkulturen entscheidend mitprägte. Diese Vorstellungen von einer deutschen Unterwelt entsprangen u.a. dem Konzept der Ständegesellschaft die zu dieser Zeit noch lebendig war, in der der gesellschaftliche Status durch Erblichkeit und durch Zusammengehörigkeit mit einer bestimmten sozialen Gruppe vordefiniert war. Das führte dann zu Werken wie von „F.C.B. Ave`- Lallement“ über das deutsche Gaunertum (1858-1862) in dem er die Ansicht vertrat, dass es sich bei den Kriminellen eigentlich „um eine Art eigene Rasse handelte, mit eigenen Sitten, Gebräuchen und einer Sprache“ Ave`- Lallement wies den Juden und Zigeuner eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung der deutschen Unterwelt zu. Eine Geisteshaltung die sich dann unter der nationalistischer Herrschaft voll entfalten konnte..
Zu dieser Zeit stellte das „Sportelwesen“ einen nicht unbeträchtlichen Teil des Einkommens der Polizeibeamten dar. Als „Sporteln“ wurde eine Geldstrafe von 5 Mark Corrent und 14 Schillingen bezeichnet die die Verhafteten am Tag nach ihrer Festnahme zu zahlen hatten, auch Gebühren, welche bei bestimmten Leistungen, wie Ausstellen polizeilicher Führungszeugnisse und Erlaubnisscheine, Abschriften und Beglaubigungen, fielen z.T. unter diesem Begriff.
„Es ist vielfach über Arretierungen von Fremden geklagt worden, deren Unschuld sich nachher herausstellte; ein Umstand, der aus den eigenthümlichen Verhältnissen einer großen Seestadt, die jährlich von Tausenden zum heimlichen Entweichen ausersehen wird, leicht zu erklären ist. Unangemessener erscheint es, dass solche Arretierungen mit 5 Mark 14 Schilling bezahlt werden müssen; diese „fief Mark veertein“! sind sprichwörtlich geworden und Gegenstand mancher spottreichen Anfeindung.“
Geissler Robert, 1861 : 60 „Hamburg – Ein Führer durch die Stadt und ihre Umgebungen“, Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber, Leipzig, Nachdruck 1977, Glogau Verlag, Hamburg
Von diesem Strafgeld erhielt der Beamte der die Verhaftung vorgenommen hatte, aufgrund des niedrigen Grundgehalts einen gewissen Anteil. Dies schuf die Vorraussetzung für eine weitverbreitete Korruption, denn jeder der es sich leisten konnte, hatte die Möglichkeit den ihn festnehmenden Beamten mit einem Betrag zu bestechen, der geringer war als die Gesamtstrafe, aber höher lag als der Anteil, den der Beamte davon erhielt. Die Beamten hatten also verständlicherweise ein Interesse an einem hohen Gebühren-aufkommen, was oft zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächtercorps führte, zwischen denen die Polizeivollmachten aufgeteilt waren.
Vor allem die Sittenpolizei geriet oft ins Zwielicht, da sie in den umsatzfreudigen Bereichen der Prostitution in den Verdacht der Bestechlichkeit geriet. Allerdings brachte erst die Gesetzesänderung von 1832 einen Zustand in welcher das Bordellsystem zur Kasernierung der Prostitution unter weitreichender Einbeziehung der Sittenpolizei ausgebaut wurde. Damit wurde die Polizei offiziell zur Hüterin der „öffentlichen Sittlichkeit“, andererseits aber schnell in das System verstrickt, so das sogar Bestimmungen die den Frauen helfen sollten aus der Prostitution auszusteigen in ihr Gegenteil verkehrt wurden und stattdessen die Bordellwirte begünstigten. Im Jahr 1845 sind 43 Beamte der städtischen Polizei neben ihren allgemeinen Funktionen, dazu angewiesen während des Tages auf die sich auf den Straßen befindlichen Personen zu achten. In St. Pauli deren acht. Bis zum Jahr 1888 wurden im gesamten Stadtgebiet für die sittenpolizeiliche Vigilanz 8 Beamte eingesetzt. Ab 1889 standen der Sittenpolizei 1 Sergeant und 13 Offizianten zur Verfügung. In den Jahren 1893 –94 wurde die Zahl der Beamten der Hamburger Sittenpolizei von 14 auf 30 erhöht und im Jahr 1913 waren 46 Beamte bei der Sittenpolizei eingestellt. Dies in einer Stadt, die Anfangs 1890 600 000 Einwohner hatte, zur Jahrhundertwende über eine Million und bei Ausbruch des 1. Weltkrieges eineinhalb Millionen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Sittenpolizei mit der Ausbreitung der unkontrollierten Prostitution während des explosionsartigen Wachstums der Stadt nicht umgehen konnte und das das reglementierten Bordellwesens als ein „verlängerter Arm“, als eine Delegierung von Kontroll- und Ordnungsfunktionen verstanden wurde.
Bereits 1807 wurde in Hamburg die „Aufsichts- und Kurkasse der Prätur“ gegründet, die man später „Meretritzenkasse“ nannte und die noch 1925 als „Hilfskasse der Sittenpolizei“ bekannt war. In diese Kasse hatten die Bordellwirte für jedes Mädchen monatlich einzuzahlen. Der so zustande gekommene Betrag sollte die Kosten der polizeilichen Beaufsichtigung und die Ausgaben für die Heilung erkrankter Frauen decken. Nach dem Abzug der Franzosen wurden anscheinend mehrere Jahre hinweg keine Beträge erhoben. Ab dem Jahr 1823 ist mit der Erhebung der Abgabe wieder begonnen worden. Der Ratschirurg zog seine Untersuchungsgebühr direkt von den zu untersuchenden Frauen ein. Den folgenden Amtsärzten stand man ein festes Gehalt zu, welches aus der Meretritzenkasse gezahlt wurde. Im Jahr 1860, als die Meretritzenkasse öffentlich im Staatbudget aufgeführt wurde, erregte der Betrag von 27 970 Mark aus angesammelten Überschüssen der vorangegangenen Jahre, die Aufmerksamkeit der Bürgerschaft, die diese Summe dann an ein Krankenhaus überweisen ließ. In der Stadt, wie auch in St.Pauli, bezogen die mit der Einziehung und Verwaltung beauftragten Beamten der Sittenpolizei aus der Meretritzenkasse besondere Einnahmen. In St. Pauli war diese Einnahme, die dem Vogt zukam, nach der Anzahl der Prostituierten berechnet. Er erhielt für jedes Mädchen einen Taler monatlich. Auch als im Jahr 1869 die Gehälter der Polizeibeamten unter der Voraussetzung des Wegfalls aller Nebeneinnahmen fixiert wurden, erhielten die städtischen Polizeibeamten weiterhin die Nebeneinnahme aus der Meretritzenkasse.1879 versuchte die Hamburger Bürgerschaft in einer Vorlage, eine gesetzliche Regulierung und eine Neuorganisation der Verwaltung dieser Kasse zu erreichen, zu der es aber nicht mehr kam aufgrund der Auseinandersetzungen der zuständigen Hamburger Instanzen mit der Reichsbehörde über das Hamburger Bordellwesen.
Wie auch an anderen Orten in Deutschland führte die auf die Revolution folgende Reaktion 1851/2 zu einer Reform der Polizei. Der Nachtwächtercorps wurde in eine Polizeistreitkraft von mehr als 300 Mann umgewandelt und die Bezahlung wurde auf 450 Mark im Jahr erhöht. 1876 wurde dann das alte Nachtwächtercorps und die Polizei aufgelöst und durch ein Konstablercorps bei einer zahlenmäßigen Aufstockung auf ca. 650 Konstabler und 165 Sergeanten ersetzt. Die Eingliederung Hamburgs in den Norddeutschen Bund 1867 und ein paar Jahre später in das Kaiserreich, wie auch die Furcht vor der zunehmenden politischen Organisierung der Arbeiterschaft und der „Unterschicht“, führte bald zu einer weiteren Neuorganisation der Polizei. 1888 wurde die Zahl der Konstabler von 650 auf 1022 erhöht und weitere 92 Sergeants und höhere Offiziere in den Dienst genommen. Der Lohn stieg merklich auf 1350 Mark für einen Constabler und auf 1500 bis 2250 Mark für die höheren Dienstgrade. Die berittene Polizei, die vorher in den Vororten ihren Dienst getan hatte, wurde in den innerstädtischen Dienst genommen um dort maßgeblich gegen Demonstrationen und bei Krawallen eingesetzt zu werden. Ab 1888 wurden keine Handwerker und Arbeiter, die früher das Gros der Polizeikräfte bildeten, mehr in den Polizeidienst aufgenommen, stattdessen musste ein in Frage kommender Bewerber mindestens 9 Jahre im Heer gedient haben und den Dienstrang eines Unteroffiziers erreicht haben. Die Polizei wurde sozusagen komplett nach preußischem Vorbild umorganisiert, was einer Militärisierung der Organisation mit umfangreichen Kompetenzausweitungen gleichkam. Vor allem die politische Polizei, die im Rahmen der Sozialistengesetze gegen Arbeiterorganisationen vorging, erhielt weitgehende Sonderrechte. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Kontrolle der vielen Kneipen und Bars gelegt. Mit der Ausbreitung der Schankwirtschaften und des Vergnügungsgewerbes ab der ersten Hälfte des 19. Jh. entwickelte sich die Polizeistunde (- die Verordnung, die bestimmt wann Bars und Kneipen, Varietes und Clubs zu schließen haben und ab wann sie wieder öffnen dürfen) zunehmend zu einem vielseitig einsetzbaren Instrument der städtischen Verwaltungen gegen nächtliche Ruhestörungen und Zusammenrottungen, im Kampf gegen die Prostitution, zur Hebung der Arbeitsmoral oder als Möglichkeit gegen ein unliebsames politisches Milieu vorzugehen.
„Besonders frappierend ist die über das gesamte Jahrzehnt hinweg intensivierte Kontrolle der Schankwirtschaften. Machten die Anzeigen („Meldungen“) wegen Verletzung der Polizeistunde noch zu Beginn der 1890er nur etwas mehr als 2% der gesamten Aktivitäten aus, so waren es am Ende des Jahrzehnts mehr als 10%. Die absoluten Zahlen verfünffachten sich auf annähernd 15.000 Fälle im Jahr. Bedenkt man die Funktion der Wirtschaft als „Wohnzimmer des Arbeiters“, die ja außer von den Schutzmännern noch von der politischen Polizei observiert und von der Gewerbepolizei konzessioniert wurde, dann wird ersichtlich im welchen hohen Maße sich die Polizei um die Kontrolle um die Arbeiterschaft bemühte.“
(Zitat aus Hatje Frank, 1997 : 365)
Hatje Frank, 1997, „Repräsentationen der Staatsgewalt“, Helbing&Lichterhahn Verlag, Basel, Frankfurt a.Main
Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
Evans Richard J, 1997, „Szenen aus der deutschen Unterwelt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg
Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg