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11
Feb
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Verschiedene Obrigkeiten – verschiedene Rechts- und Handelssysteme

Grenze Altona – St.Pauli, 1915

Warenschmuggel und Zensur

Nicht nur die Altona, auch die gesamte Vorstadt St. Pauli unterlag nicht dem strengem Reglement des Hamburger Zunftgewerbes. Diese vermeintliche Freiheit wurde aber durch eine Konzessionspflicht und oft durch Ausfuhrverbote (nach Hamburg) erheblich eingeschränkt. Auf alle Konsumgüter in Hamburg wurde eine indirekte Verbrauchssteuer erhoben. Alle Waren die von außerhalb kamen, wurden am Millerntor kontrolliert und besteuert, so dass es zwischen Hamburg und seiner Vorstadt eine Zollgrenze gab, die für die St. Paulianer eine deutliche Umsatzbremse darstellte. Dieses eröffnete natürlich den Raum für den Versuch des Warenschmuggels, der an den Stadttoren, wie dem Millerntor durch die Zunftwächter und Stadtwachen aber mit Risiken verbunden war, nichtsdestsotrotz aber weit verbreitet gewesen sein soll.

„Während der französischen Besetzung Hamburgs versuchten die Douanen das Hereinbringen von englisch-indischen Waren zu verhindern. Es fanden sich aber trotz aller Verbote und Strafandrohungen Schmuggler, die die beliebte Ware durch die Douanenkette nach Hamburg brachte. Sie hießen Kaffeeträger, Schuckelmaier oder Schuckler, das von dem Wort Schochermain, das in der Gaunersprache schwarzes Wasser bedeutet, abgeleitet worden war. Die Hamburger Kaffeeträger arbeiteten nicht auf eigene Rechnung, sondern für gewisse Hamburger Geschäfte, von deren Besitzern sie ein hohes Gehalt erhielten und außerdem Prozente von der glücklich durchgeschuckelten Ware. (…) Die Schuckler verbargen die Waren die sie durch das Millerntor schmuggeln wollten, an ihrem Körper und machten ihre Toilette teils in Altona, teils in St. Pauli. Mit dem Kaffee, Zucker und Tabak stopfte man sich künstliche Brüste, Waden, Lenden oder Höcker. Auch in den Equipagen verbarg man die Waren.“

Zitat aus: Neumann Paul, 1849, „Hamburgische Bilderbögen“, Verlag Hamburgische Bücherei, Seite 70/71

St. Pauli befand sich an einer Schnittstelle divergierender Rechts- und Handelssysteme. Vor dem Wegfall der Torsperre 1860 stand auf der einen Seite Hamburg mit seinen restriktiven Zoll- und Zunftverordnungen, auf der anderen Seite Altona, wo Dänemark eine liberalere, freiheitlichere Grundhaltung vertrat, vor allem, um auf diesem Wege die Märkte zu beleben. Die Gesetzgebungen und die Steuersysteme beider Städte waren unterschiedlich, dieser Umstand und die direkte Nähe zum Altonaer Freihafen mit seinen günstigeren Waren, ließen die Möglichkeit eines umfangreichen illegalen Warenaustausch zu einem gewinnbringendem Geschäft werden. Da dieser Transfer auch. ausländische Waren betraf, dürfte dieser Umstand auch für hanseatische Kaufleute von Interesse gewesen sein. Durch die Schmuckstraße (auf Altonaer Gebiet hieß diese Straße Ferdinandstraße) verlief von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und der Stadt Altona. Die Keller der Häuser dieser Straße waren alle miteinander verbunden, so dass man unterirdisch von der Talstraße bis zur Großen Freiheit gehen konnte.  In der angrenzenden Talstraße war lange Zeit ein reger Straßenhandel und Schwarzmarkt lebendig. Im Gebäude Annenstraße 26/Clemens-Schultz-Straße 95/6 ist ein Kellergewölbe des mittelalterlichen Pesthofes als Fundament des jetzigen Hauses erhalten geblieben. Darunter sollen sich weitere Räume befunden haben, mit Zutritten zu Gängen, die bis zur Michaeliskirche und zum alten Hafenbecken reichten. Dies liegt die Vermutung nahe, das zumindestens ein Teil der Schmuggelware über diese Gänge, an den Stadtwachen vorbei, nach Hamburg gelangte. Auf der anderen Seite der Reeperbahn, am Straßenzug der Hafenstraße und Bernhardt-Nocht-Straße sollen die Keller sämtlicher Häuser in ähnlicher Weise miteinander verbunden gewesen sein, außerdem sollen Quertunnel zu den Kasematten existiert haben, die bis an die Elbe gingen. So waren unbemerkte Warentransporte mit Kleinschiffen vom Hamburger Hafen zu bewerkstelligen.

Fast alle dieser Gänge sind durch den Bau und der späteren Modernisierung der Kanalisation, dem Bau der Untergrundbahn und durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges nicht mehr existent und bis jetzt hat es keinen Versuch einer historischen Tunnelforschung im Grenzgebiet St.Pauli/Altona/Hamburg gegeben.

Quellen: http://www.steg-hh.de/data/quartiers  und  persönliche Gespräche mit Informanten in verschiedenen Alt-St.Pauli-Kneipen  1982-84

Zudem galt in Altona das Hamburger Strafrecht nicht, d.h. viele Menschen konnten bei geringfügigen Delikten im dänischen Altona vor der Strafverfolgung der Hamburger Behörden sicher sein. Später, unter umgekehrten Vorzeichen ab 1863, als Altona dem strengerem preußischen Regiment unterstand, galt dies umgekehrt für das Hamburger Territorium.

„So scheint es auch zu einer „Volksbelustigung“ geworden zu sein, sich im preußischen Altona in Auseinandersetzungen mit der Polizei einzulassen, um dann rasch über die Grenze nach St. Pauli zu fliehen, wo die schon fast sprichwörtlich „gemütlichen Hamburger Konstabler“ zusahen, wie die preußischen Polizisten über die Grenze hinweg angepöbelt wurden.“

(Zitat aus: Hatje Frank, 1997  : 346)

Der sogenannte „Altonaer Zapfenstreiches“ von 1904, wo es anscheinend zu Unruhen kam und u.a. mittels Wasserspritzen undifferenziert gegen das anwesende Publikum vorgegangen wurde, scheint dieses Verhältnis zwischen Hamburg und Altona nochmals zu illustrieren. Dieses Ereignis findet sich zwar nicht in der offiziellen Geschichtsschreibung, dafür aber in einer Vielzahl von Karikaturen die als Postkarten im ganzen Land verschickt wurden.

Die politische Zensur wurde in Hamburg um einiges laxer gehandhabt als in Preußen, so wurde Hamburg zu einem regelrechten Verlagszentrum für in Preußen und anderswo verbotene Literatur. Herausragendes Beispiel ist der Hoffmann und Campe-Verlag von Heinrich Heine, der in Hamburg weiterhin publizieren konnte, während in Preußen sämtliche Publikationen ab 1841 verboten wurden. Das gewachsene Selbstverständnis einer freien und liberalen Handelsstadt führte bei vielen Hanseaten zu einer negativen Grundhaltung gegen die preußische Einflussnahme, die oft als eine Einmischung in innere Angelegenheiten verstanden wurde, was sich auch in der unterschiedlichen Auslegung und Handhabe der Sozialistengesetze zeigte. So kritisierte der Polizeichef des unter preußischer Oberhoheit stehenden Altona das „zu lasche Vorgehen“ der Hamburger Polizei gegen die verbotene Partei. Im Zuge der Eingliederung Hamburgs in das Deutsche Reich und eines wachsenden politischen Drucks aus Berlin kam es ab 1880 aber auch in Hamburg zu einer rigideren Handhabung dieser Gesetze, infolge dessen es zu zahlreichen Ausweisungen und Festnahmen von Sozialdemokraten kam.

Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Groenewold Elke, Gunhild Ohl, 1990, „Bönhasen – Pfuscher – Freimeister“, St. Pauli Archiv, Hamburg

Kneipen, Kaschemen und Pennen – Die Grenzregion zwischen Hamburg und Altona

Kneipe -(einfaches Wirtshaus, Schenke)- Im 18.Jh. wird, zuerst im Obersächsischen aufkommend „Kneipschänke“, in der  Studentensprache zu „Kneipe“ verkürzt und bezeichnet eine kleine, schlichte Schenke, sowie die darin   abgehaltene Zusammenkunft zum Zechen. Heutzutage manchmal im abschätzigen Sinne gebraucht, oft  aber auch als vertrautes, gemütliches Lokal verstanden.

Schenke- für Gasthaus, Wirtshaus, von Obersachsen, Thüringen aus sich verbreitend

Kaschemme – schlechte Kneipe, Ganovenkneipe. Im 19. Jh. Aus dem Rotwelsch („katschemme“, „gertschemiko“, „gritschimm“) übernommen.

Bar- (Nachtlokal, intimes kleines Restaurant, sowie der darin befindliche hohe Schanktisch)- Im 19. Jh. Aus dem Englischen, bzw. Amerikanischen entlehnt. Ausgangspunkt ist engl. „bar“, mengl. „barre“, entlehnt aus afrz. „barre“. Aus der schon dem Afrz. Entstammenden Bedeutung „Schranke“, leitet das Mengl. offenbar die spezielle Bedeutung „Schranke vor dem Schanktisch“ (um diesen vor dem Zugriff der Gäste zu schützen) her, woraus sich im 15. Jh. Die Bedeutung Schanktisch entwickelt. In den USA bildet sich unter der Bezeichnung „bar-room“, verkürzt „bar“, ein Typ des Wirtshauses heraus, in dem man am Schanktisch stehend, rasch eine Erfrischung einnehmen kann. „Bar“ erscheint Mitte des 19. Jh. Im Deutschen in Reisebeschreibungen, wird in den bereits aufgezählten Bedeutungen um 1900 geläufig und wird später auch auf andere Einrichtungen die eine barähnliche Theke haben, an der Gäste stehen oder Platz nehmen können, verwendet.

(„Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“, 1989 : S.769/Bd.2)

Die kleinen Gassen und Seitenstraßen jenseits der neu entstandenen Amüsier- und Flaniermeile der Reeperbahn in der ehemaligen Grenzregion zu Altona, galten vielen Bürgerlichen, ähnlich wie die verwinkelten und schwer einsehbaren Gänge der Alt- und Neustadt Hamburgs, als suspekt. Dort befanden sich viele „Pennen“ und „Kaschemmen“. Pennen waren Beherberhäuser der untersten Klasse, die Durchreisenden, Matrosen, Tagelöhnern und Vagabunden ein einfaches bis ärmliches Nachtquartier boten. Einige dieser Häuser entwickelten sich zu Sammelpunkten von Vagabunden und Bettlern, die tagsüber ihrem Gewerbe nachgingen, was der Obrigkeit und dem „öffentlichem Empfinden“ ein besonderes Ärgernis bedeutete. Im Zuge strengerer hygienischer Bestimmungen und einer – bereits seit dem Ende des 18. Jh.- verstärkten „Wohlfahrtspolitik“ wurden die meisten dieser Häuser dann geschlossen und die Menschen in sogenannte soziale Institutionen wie Armen- oder Arbeitshäuser untergebracht. Ein Prozess, der sich, begleitet von städtebaulichen Diktionen, über viele Jahrzehnte erstreckte und erst unter der Diktatur der Nazis abgeschlossen wurde.


Photographische Dokumente solcher Pennen und angeblicher Gaunerkneipen existieren von der Finkenbude (Finkenstr. 13), wo die Übernachtung 10 Pfennig gekostet haben soll und vom sogenannten „Verbrecherkeller“ in der Niedernstraße, einem Kellerlokal.

„Seit Jahren wird ein hartnäckiger Kampf geführt gegen die grauenhaften Zustände in den Massenherbergen der Altonaer Altstadt und des Grenzgebietes. Immer wieder haben die sozialdemokratischen Mitglieder städtischer Kommissionen und Behörden auf Maßnahmen gedrängt zur Beseitigung der Uebelstände, die eine Gefahr für Leben und Gesundheit weiter Volkskreise bilden und das Ansehen der Stadt im höchsten Maße schädigen. Jetzt endlich haben sich die maßgebenden Organe zu einem energischen Eingreifen entschlossen. Im Zusammenwirken zwischen städtischer Baupolizei und staatlichem Polizeipräsidium sind eine Reihe der größten und schlimmsten Herbergen geschlossen worden, darunter die berüchtigte Finkenbude, der größte Teil des Massenlogierhaus Neueburg, die Logierhäuser Schultz in der Papagonenstraße, Lührs, Große Freiheit, und andere.“ (…) „Denn wie sieht es in den Herbergen aus? Ein Gang durch die Aufenthalts- und Schlafräume offenbart grauenhafte Zustände. Da ist zunächst die Finkenbude, die Stuhlmannsche Herberge in der Finkenstraße. Durch den stets bis in die tiefe Nacht hinein dicht besetzten Schankraum hindurch gelangt man über einen schmalen unbelichteten Korridor zu den sogenannten Aufenthaltsräumen. Zwei kahle Räume von zusammen etwa 40 Quadratmeter Größe, mit Bänken an den Wänden entlang. Das waren die bevorzugten Schlafplätze. Für die Masse der Beherbergten aber galt der nackte Fußboden als Lagerstätte. Wenn`s hoch kam, stand als Unterlage ein Stück Zeitungspapier zur Verfügung. In diesen verhältnismäßig kleinen Räumen pressten sich im Winter zuweilen 40 bis 50 Personen zusammen.“ (…) „ Für beide oberen Stockwerke gab`s einen zweiten Abort, ohne Spülung, in einem verfallenen und außerordentlich unsauberen Raum. Daneben eine Waschvorrichtung. Gleichfalls die einzige! Und in dieser fürchterlichen Umgebung haben zeitweise Hunderte genächtigt“ (…)„ Die Aufhebung dieser Herbergen war eine dringende Notwendigkeit. Ihre Existenz allein lockte viele heruntergekommene Elemente an und veranlasste sie hier zu dauerndem Aufenthalt. Neben der gesundheitlichen und sozialen Gefahrenquelle, die sich bildeten, haben sie dazu beigetragen, dass die üblen Elemente der Hafenstadt sich hier besonders konzentrierten.“

Quelle: Hamburger Echo Nr.101,  12.4.1927 „Im Kampf gegen das Herbergselend – Schließung Altonaer Logierhäuser“

Auch in der Talstraße, die für ihren unkontrollierten Straßenhandel bekannt war, gab es viele solcher Lokale und Pennen, u.a. soll sich dort seit den 20er Jahren die Homosexuellen-Szene mit mehreren Lokale ausgebreitet haben. In der anliegenden Schmuckstraße durch die von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und Altona verlief (auf Altonaer Gebiet hieß die Straße Ferdinandstr.) siedelte sich seit Ende des 19. Jh. eine kleine chinesische Gemeinde an. Neben den einigen hundert Chinesen, die überwiegend in den Schmuckstraße lebten, welche zum „Chinatown“ hochstilisiert wurde, gab es direkt zum Hafen, bei der heutigen Bahnstation Landungsbrücken  mehrere Straßenzüge wo sich überwiegend Spanier und Portugiesen niederließen. Noch heute wird diese Ecke als Spanier- und Portugiesenviertel bezeichnet. Das chinesische Viertel war bekannt für sein Glücksspiel „Chiko“ und seine Opiumhöhlen. Dieses Milieu war für staatliche Behörden wie die Polizei aufgrund der sprach- und kulturellen Barrieren schwer einsehbar, was Vorurteilen und Ressitements den Weg ebnete.

Viele Chinesen arbeiteten auf den Dampfschiffen als Heizer oder Trimmer und auch als Wäscher oder Köche und wurden auch gerne eingestellt da sie als widerstandsfähiger galten als Europäer. Auch zu Land suchten sie ihr Auskommen als Wäscher und Restaurantbesitzer. Im St. Pauli der 20er Jahre sind ihre Garküchen und Wäschereien bekannt. In direkter Nachbarschaft, in der Großen Freiheit11 gab es in den 20er Jahren das Tanzcafe Neu-China.. Die Schmuckstraße war zu dieser Zeit noch beidseitig bebaut und in den Erdgeschossen befanden sich zahlreiche Geschäftsräume die von Chinesen genutzt wurden. So hatte ein gewisser Fat-Hing einen Zigarrenladen und Wong Lam besaß ein Tabakgeschäft und ein Heuerbüro für chinesische Seeleute. In der Schmuckstraße 18 befand sich das Restaurant „Chop Shuey“ und in der Nr.7 eine chinesische Kellerkneipe in der auch Opium konsumiert wurde (Bei einer Durchsuchung dieses Lokals im Oktober 1922 wurden 19 Dosen mit Opium, 20 leere Opiumdosen und einige Waffen gefunden). Auch im benachbarten Keller unter der Wäscherei Baruschek befanden sich Spielhöllen, wo hauptsächlich „Chiko“ gespielt wurde. Die Keller der Häuser dieser Straße waren alle miteinander verbunden, so dass man unterirdisch von der Talstraße bis zur Großen Freiheit gehen konnte. Durch die Schmuckstraße verlief von Nord nach Süd die Grenze zwischen Hamburg und der bis 1937 selbstständigen Stadt Altona. In der angrenzenden Talstraße war lange Zeit ein reger Straßenhandel und Schwarzmarkt lebendig. Diese Kellerlabyrinthe hatten also eine lange Tradition und dienten zum Warentransport und Lager, wie auch als Fluchtwege. 1944 durchkämmt die Gestapo wegen dem Vorwurf der „Spionage für die Engländer“ die Schmuckstraße und deportierte die dort lebenden 165 Chinesen. Sie wurden zum Arbeitsdienst gezwungen, 17 von ihnen starben bis zum Kriegsende, die meisten Überlebenden verließen danach Deutschland.

Hamburg soll in der Zeit zwischen 1920 bis 1932 ein bedeutender Umschlagplatz für den internationalen Rauschgifthandel gewesen sein. Die Mengen die an Opium und Kokain in Hamburg verbraucht wurden, waren allerdings gering. Es gab Lokale, vor allem Nachtbars, in denen Kokain gehandelt wurde, die Verkaufsportionen, die in kleinen Briefchen gefüllt waren, wurden „Teekse“ genannt. Im Sommer 1926 konnten im Hamburger Hafen, in Kisten die von Budapest nach Shanghai gehen sollten, 2,25 Zentner Heroin beschlagnahmt werden, das damals im Straßenverkauf für 2 Mark das Gramm gehandelt wurde. In diesem Zusammenhang wurde ein US-Amerikaner verhaftet und zu 5000 Mark Geldstrafe wegen Verstoßes gegen das Opiumgesetz verurteilt und danach des Landes verwiesen. Ende 1931 konnten die Rauschgiftdezernate Berlins und Hamburgs wiederum im Hamburger Hafen 5 Zentner Morphium sicherstellen. Die Ware war in Istanbul aufgegeben worden, dann nach Marseille verschifft, von wo sie dann über Paris nach Hamburg gelangte.

Ebeling Helmut, 1980, „Schwarze Chronik einer Weltstadt – Hamburgs Kriminalgeschichte 1919-1945“, Ernst Kabel Verlag, Hamburg

Nach dem 1. Weltkrieg, 1919 – Deutschland war inzwischen Republik und die politischen Verhältnisse nach der „versuchten“ und „vollzogenen“ Revolution begannen sich in Hamburg, auch wenn Hunger und Arbeitslosigkeit herrschten, wieder relativ zu stabilisieren – erschien in dem bürgerlichen „Hamburger Fremdenblatt“ ein ausführlicher Artikel über die Zustände in der Talstraße, über illegale Spielbanken und wilde Händler:

„Nun hat auch Hamburg seine Spielbanken unter freien Himmel, die ebenso wie die in letzter Zeit wie Pilze aus der Erde geschossenen Spielclubs glänzende Geschäfte machen. In der Thalstraße sind die ersten derartigen Unternehmungen aufgetaucht,(…). Ein um den Hals gehängter Kasten stellt den Spieltisch dar. Ein Mann verkauft die Karten und deckt das zweite Spiel auf, während der Bankhalter die Gelder einkassiert und die Gewinne auszahlt (…)Gespielt wird fast durchweg „großes Los“, ein Spiel bei dem im Gewinnfalle das Zwei- bis Neunfache ausgezahlt wird. Alles geht streng reell vor und ein etwaiges Mogeln von seiten der Bankhalter ist ausgeschlossen. Dazu passt einer zu sehr auf den anderen auf. Einsätze und Gewinne wandern durch zahllose Hände, weil nicht alle bei der „Bank“ Platz finden, sondern im großen Kreis um diese herumstehen. Gewissenhaft wird das Geld weitergegeben und erreicht totsicher seinen Empfänger. Die besten Kunden sind die wilden Händler, die in derselben Straße zu hunderten ihren Stand, wenn man von einem solchen überhaupt reden kann, aufgeschlagen haben. Abgesehen von schweren Gegenständen gibt es wohl wenige Sachen, die man in der Thalstraße nicht kaufen kann. Alle nur möglichen Esswaren in mehr oder weniger appetitlicher Aufmachung, wie Kuchen, Torten, Mehl, Zucker, Spirituosen, usw. werden feilgeboten. Daneben alle nur erdenklichen Bekleidungsstücke, von der Säuglingswäsche bis zum fertigen Kostüm oder Anzug. Ganze Stapel vollständig neuer Bettwäsche, die alle noch mit dem Stempel des Bekleidungsamtes oder der militärischen Stelle, der sie einst angehörte, versehen ist, zahllose neue Zeltbahnen, Wagenplanen, wollene Decken, Stoffe, Gardinen, Hüte, Stiefeln, Fahrräder, kurz  alles, was man sich nur denken kann, wird angeboten. Andere, die ihr Tun etwas verstohlener betreiben und sich mehr auf die Kaschemmen beschränken, handeln mit Uhren und Schmucksachen, echten und unechten Ringen und Ketten, zum Teil ganz neuen, die noch in den Etuis mit Firmenaufdruck liegen. Auch kostbare Nippsachen, wie Bronzeuhren und Figuren, sind keine Seltenheit. Wer weiß in welcher Villa sie einst gestanden haben. Und alles findet seinen Käufer, und nicht etwa zu Schleuderpreisen. Nein, die Händler wissen ganz genau was ihre Ware wert ist, und nur „unbequeme“ Gegenstände, wie die oben erwähnten Bronzesachen, werden billig angeboten. In den Gastwirtschaften, in denen zum Teil Eintritt erhoben wird, wofür es dann Getränke gibt, herrscht ein lebensgefährliches Gedränge. Auch hier wird mit allen Möglichen und Unmöglichen gehandelt, und alle Augenblick hört man einen schallenden Handschlag, mit dem jeder abgeschlossene Handel besiegelt wird. Summen von 500 Mark und mehr sind gang und gäbe. Hat ein Händler seine Ware ausverkauft, so verschwindet er in einem der vielen Gänge und taucht nach kurzer Zeit mit einer neuen Auswahl der verschiedensten Dinge wieder auf.“

Hamburger Fremdenblatt, 23.04.1919, Nr.206Ab, Seite 5

Bereits einen Tag später – in St. Pauli war es nach dem Verbot einer Spartakistenveranstaltung zu schweren Unruhen mit nachfolgenden Enteignungen und Plünderungen gekommen – erschien im Hamburger Fremdenblatt folgender Artikel:

„Seit heute morgen hat St.Pauli, die Stätte des Vergnügens und lebhaften Verkehrs, der Mittel- und Ausgangspunkt der letzten schweren Unruhen, ein kriegerisches Gewand angezogen. Wer in den Frühstunden sich vom Millerntor oder von Altona her St. Pauli näherte, mag arg verwundert gewesen sein. In aller Herrgottsfrühe ist nämlich St. Pauli in ein Drahtverhau gekleidet worden und damit der Verkehr auf der Hauptstraße, der Reeperbahn, völlig unterbunden. An jeder Straßenecke steht ein scharfer militärischer Posten. Und sehr scharf ist die Kontrolle der Passanten. Nur wer auf St. Pauli wohnt, darf nach Vorzeigen seines Meldescheines durch die militärischen Sperren. Das Öffnen der Wohnungsfenster ist streng verboten, und alle Augenblicke hört man die Rufe „Fenster zu“ Der Grund hierzu liegt darin, dass in den letzten Tagen aus Wohnungen heraus auf Patrouillen geschossen worden ist. (…)Seit heute früh sind Militärpatrouillen, gewöhnlich in Stärke von 3-5 Mann, in Begleitung von Kriminalbeamten unterwegs auf der Suche nach Waffen und Diebesgut. Alle Häuser St. Paulis sollen vom Keller bis zum Boden daraufhin untersucht werden, und man hofft, in drei Tagen alles überholt zu haben. Bereits heute früh fuhren Lastautos mit beschlagnahmten Waren und Waffen, die man in Häusern versteckt gefunden hatte, in großer Anzahl vor die Davidswache vor, wo die den Plünderern abgenommenen Sachen aufgestapelt werden.(…) Während in den letzten Tagen besonders die berüchtigte Thalstraße, mit ihren wilden Händlern und Pennen so überfüllt von Menschen war, dass man weder herein noch heraus konnte, sieht man heute dort hunderte von Sicherheitsmannschaften, die, mit Gewehren und Handgranaten ausgerüstet, Haus für Haus absuchen und reiche Ernte halten. Denn hier war wohl das meiste von Diebesgut zusammengeschleppt und verborgen, um dann von den wilden Händlern auf der Straße und in den Herbergen an den Mann gebracht zu werden.(…) Auch eine große Anzahl Prostituierter ist verhaftet worden. Bedeutende Mengen Gewehre, Revolver, Munition, Hieb- und Stichwaffen sind aus den Häusern herausgeholt worden. Etwa zehn Kaschemmen und Verbrecherkeller, darunter die beiden Talpennen und das „Faß“ an der Altonaer Grenze sind geschlossen worden und werden nach ihrer Desinfektion den Volkswehrtruppen als Alarmlokale zugewiesen.(…)“

Hamburger Fremdenblatt, Nr.208, 24.4.1919


Politische Instabilität und politische Radikalisierung nach dem 1. Weltkrieg

„(…) durch die Wahlerfolge und die der Arbeitsbevölkerung jetzt günstige gesellschaftliche und politische Strömung ihr Selbstwertgefühl im bedeutendem Maße gewachsen und in ihr die Meinung erweckt, dass die jetzt bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung in kürze zusammenbrechen und durch den socialistischen Staat ersetzt werden wird.“

Zitat aus: Evans Richard J., 1990, „Tod in Hamburg“, Seite 125)

Bereits 1917, es mangelte an allen Grundnahrungsmitteln und fast ein Drittel aller Hamburger mussten öffentliche Speisehallen aufsuchen, kam es von Barmbek ausgehend zu Hungerunruhen die sich in ganz Hamburg und den Nachbarstädten Altona und Wandsbek ausbreiteten. Die Polizei registrierte Brotdiebstähle in 116 Geschäften und eingeworfene Fensterscheiben in 105 Läden. Die Unruhen konnten erst von Militärpatrouillen mit aufgepflanzten Bajonett eingedämmt werden. Im Januar 1918 kam es zu einen 6-tägigen Streik von ca. 30.000 Hafenarbeitern gegen den Krieg. Als Reaktion wurden die 4 größten Werften unter militärische Leitung gestellt und alle Versammlungen verboten. Die Kriegsgegner erhielten, umso mehr sich die Lebensbedingungen verschlechterten, immer mehr Zulauf. Im Oktober 1918 hatte die SPD den Anschluss an diese sich radikalisierende Massenbewegung verloren, während die linksradikale USPD so an Stärke gewonnen hatte, dass die Polizei es nicht mehr wagte deren Versammlungen aufzulösen. Nach dem Kieler Matrosenaufstand anfangs November begann in Hamburg  in der Nacht des 5.11.`18 der bewaffnete Aufstand. Strategische Punkte wurden ohne nennenswerte Gegenwehr von bewaffneten Gruppen revolutionärer Arbeiter und Soldaten besetzt. Am 8. November wählten die Betriebe einen großen Arbeiterrat , bei dem die USPD und andere linksradikale Gruppen die Mehrheit hatten. Am 11. November kapitulierte das deutsche Reich endgültig. Der 1. Weltkrieg war vorbei. Am 12. 11. wurde öffentlich verkündigt das der Arbeiter- und Soldatenrat die Ausübung der politischen Gewalt im Hamburger Staatsgebiet übernommen habe. Senat und Bürgerschaft wurden abgesetzt, waren nach kurzer Zwangspause aber wieder im Amt um notwendige Verwaltungsaufgaben wahrnehmen zu können. Die SPD erlangte mit Unterstützung zurückgekehrter Frontsoldaten die Mehrheit im Arbeiter- und  Soldatenrat und konnte sich in den folgenden heftigen politischen Auseinandersetzungen durchsetzen. Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Bürgerschaft im März 1919 erreichte sie über 50% der Stimmen, die USPD hingegen nur 8,1%. Im gleichen Monat übergab der Arbeiterrat die politische Gewalt an die Bürgerschaft.

Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) ging aus der Gruppe von SPD-Abgeordneten im Reichstag hervor, die sich seit 1914 immer offener gegen die Unterstützung des 1. Weltkriegs durch die SPD aussprachen und deswegen aus der Partei ausgeschlossen wurden. 1917 wurde die Gründung der USPD als eigene Partei beschlossen.
Die USPD bestand aus ehemaligen linken SPDlern um Haase und Kurt Eisner, marxistischen Theoretikern wie Karl Kautsky, gemäßigteren reformorientierten Kriegsgegnern und der „Gruppe Internationale“, dem späteren „Spartakusbund“ dem u.a. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Franz Mehring, und Clara Zetkin als Führungspersönlichkeiten angehörten.
Hauptziel der USPD war es die Fortsetzung des Krieges zu verhindern bzw. seine rasche Beendigung zu erzwingen. In der Novemberrevolution spielte diese Partei deutschlandweit eine wichtige Rolle. Ihre Führer verabredeten mit der SPD eine gemeinsame Regierungsbildung, die jedoch bereits Ende Dezember 1918 scheiterte. Im folgenden Berliner Januaraufstand wurde seitens der Berliner Arbeiterschaft der Generalstreik, dem ca. 500.000 Menschen folgten, ausgerufen und das Zeitungsviertel besetzt. Die SPD unter Ebert  setzte reguläres kaiserliches Militär und schwer bewaffneten Freikorps gegen die Arbeiter ein und ließ den Aufstand niederschlagen, führende Mitglieder der Spartakisten und der USPD wurden ermordet: darunter Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches und Kurt Eisner. Bei den folgenden Reichstagswahlen am 19. Januar 1919 erreichte die USPD nur 7,6% der Stimmen. 1920 gelang es den linken Gruppen und Parteien jedoch, mit einem erneuten Generalstreik den Putschversuch der rechten Generäle Kapp und Lüttwitz abzuwehren, die eine Militärdiktatur errichten wollten. Bei den darauf folgenden Reichtagswahlen erreichte die USPD 17,9% der Stimmen, während die SPD auf 21,3% fiel. Eine Parteitagsmehrheit entschied sich gleichen Jahres für den Anschluss an die Komintern und die Vereinigung mit der KPD, während sich der andere Flügel zwei Jahre später wieder der SPD anschloss.

1919 nahmen aufgrund der Notlage Demonstrationen, Plünderungen und innenpolitische Spannungen zu. Nachdem im Juni in einer Lebensmittelfabrik Tierkadaver entdeckt wurden, die zu Lebensmitteln weiterverarbeitet werden sollten, kam es zu den sogenannten „Sülzeunruhen“. Bei den folgenden Hungerdemonstrationen kam es zu Schießereien mit militanten Gruppen und zur Belagerung des Rathauses, die 17 Tote forderten. Daraufhin rief der Senat die Reichswehr  zu Hilfe, die mit 10.000 Mann in die Stadt einrückten. Diese, für ihre antirepublikanische Haltung bekannten Soldaten übernahmen die Reorganisation der Hamburger Polizei- und Sicherheits-kräfte. 1920 entwickelte sich die KPD, nach dem Zusammenschluss mit der USPD kurzfristig zu einer Massenpartei mit 30 000 Mitgliedern und weiteren 8000 in Altona, deren politische Zielsetzung die Errichtung einer Räterepublik nach sowjetischem Vorbild war. Ein landesweiter Aufruf der KPD zum Generalstreik und zum bewaffneten Kampf im März 1921 wurde weitgehend nur in Hamburg befolgt. Bei den Straßenkämpfen zwischen Demonstranten und der Polizei kamen 18 Menschen ums Leben. Aufgrund dieser fehlgeschlagenen „März-Aktion“ verlor die KPD fast 2 Drittel ihrer Mitglieder. 1923, nach vorangegangenen Direktiven des Moskauer Komintern, kam es, obwohl die deutsche KPD-Zentrale den Aufstand landesweit abgesagt hatte, zum sogenannten Hamburger Aufstand. Revolutionäre Kampfgruppen überfielen 17 Polizeiwachen und wollten so das Signal zur allgemeinen Revolution setzen. Der Plan endete aufgrund mangelnden Rückhaltes bei den Arbeitern und einer gut ausgerüsteten Polizei in einem Fiasko und einem weiteren Mitgliederschwund: die meisten Wachen wurden schon am selben Tag von der Polizei zurückerobert, nur in Barmbek, Bramfeld und Hellbrock dauerten die Straßenkämpfe 2 Tagen an.17 Polizisten, 24 Aufständische und 61 Passanten kamen ums Leben, hunderte wurden verletzt.

Vor allem Hafenstädte wie Hamburg boten günstigen Ausgangsbedingungen für die Vielzahl der Unständigen, der Tagelöhner und Gelegenheitsarbeiter die zeitweise das Milieu ganzer Stadtteile prägten. Das aus der Tradition der Hafenstadt weitverbreitete Prinzip des Schlafgängertums und der Pennen boten verhältnismäßig billigen Wohnraum. Der Hamburger Hafen hatte noch einen hohen Bedarf an Tagelöhnern und Saisonarbeitern, wie auch die expandierenden Märkte, vor allem der schwunghafte Straßen- und Karrenhandel, wie beispielsweise in der Talstraße und in der ehemaligen Großen Elbstrasse, der sogenannten „Judenbörse“ weitere Verdienstmöglichkeiten boten.  Ein unter diesen Vorraussetzungen bestimmtes Leben brauchte eine weitaus größere Dynamik als ein auf lange Zeit vorbestimmtes Arbeitsverhältnis und spielte sich größtenteils auf den Strassen und in den Kneipen, den „Wohnzimmern der kleinen Leute“ ab. Bürgerliche und Hamburger Patrioten die aus ihrem Selbstverständnis heraus Hamburg als „ihre Stadt“ begriffen, mussten nun feststellen, das bestimmte Straßenzüge, wenn nicht sogar Stadtteile sich als für sie fremdes Territorium erwiesen, wo die Ordnungsvorstellungen der Obrigkeit nur bedingt griffen. Öffentliches Elend und öffentliche Sittenlosigkeit wurden seitens der Obrigkeit schon immer als eine Störung der Ordnung wahrgenommen und unterschiedslos behandelt – mit dem Ziel ihrer Beseitigung aus dem geordneten Stadtbild. So wurde die Konstruktion der „gefährlichen Klassen“, einer Unterwelt mit eigenen Sitten, Regeln und Sprache, einem genealogisch definierten Gaunertum zustimmend aufgenommen  und es wurden städtebauliche Prämissen gutgeheißen, die auf eine grundlegende Beseitigung dieser Problematik abzielten. Alte Stadtviertel mit oft relativ schlechten Wohn- und Lichtverhältnissen und unübersichtlicher Baustruktur wurden zum Ziel einer städtischen Abrisspolitik – die dabei entstehenden Leerstellen im Stadtgedächtnis wurden in Kauf genommen.

„So wie die Stadtplanung darauf abzielt, geordnete und kontrollierbare Räume zu schaffen, so geht es bei der Hygiene um die Schaffung geordneter und kontrollierbarer Körper. Seit diese beiden Disziplinen im 19. Jahrhundert ihre moderne Form herausgebildet haben, scheinen sie untrennbar miteinander verknüpft: Körper und Räume werden jeweils aufeinander abgebildet – ein Vorgang, der “Fremdkörper” schafft“.

http://kunstaspekte.de/index.php?tid=11196&action=termin

Dieses Konstrukt der „gefährlichen Klassen“, die als Ausgangspunkt die Ausgrenzung aller Erscheinungsformen von Armut und “Unsittlichkeit“ und der damit verbundenen Milieus der Tagelöhner, Prostituierten, Vagabunden und Bettler aus dem Stadtbild hatten, gewann mit der zunehmenden Radikalisierung von Teilen der Arbeiterschaft nach dem 1. Weltkrieg, die die Basis der Spartakisten, USPD und der KPD bildeten, eine neue Brisanz und  vermeintliche Bestätigung. Während als erste Reaktion bereits seit dem 18. Jh.das Stiftungswesen und die Armenfürsorge ausgebaut wurden und später, im Rahmen der Eingliederung Hamburgs ins Deutsche Reich, der Polizeiapparat neu strukturiert und erheblich vergrößert wurde, begann man bereits vor der Jahrhundertwende Stadtstrukturplanungen als ein wirksames und langfristig wirkendes Mittel zur Erreichung dieser Ziele zu begreifen.

Im Fall der Gängeviertel begann dies mit dem Bau der Wex- und  später, der Kaiser-Wilhelmstrasse durch das Viertel im ausgehenden 19. Jh. und wurde knapp 50 Jahre später unter nationalsozialistischer Herrschaft mit dem vollständigen Abriss vollendet. Oft entstanden prestigeträchtige Großbauprojekte anstelle des gewachsenen innerstädtischen Milieus. So die durchgängige Neubebauung des Dammtorwalles mit dem Bau des Hauptpostamtes – welches von 1883 bis 1887 für zwei Millionen Reichsmark errichtet wurde und als das größte Postgebäude des Deutschen Reiches galt – und weiterer Behördenbauten bis hin zur Musikhalle (1912), die das dort befindliche traditionelle Prostitutionsquartier zurückdrängten, bis es sich Ende der 20er Jahre nur noch auf die Ulricusstrasse konzentrierte. Weitere Beispiele sind der Bau des Chilehauses(1924) des Architekten Fritz Högers und der des Verwaltungsgebäudes von Karstadt(1921-24/jetziges Finanzamt) in der Steinstrasse/ Bugenhagenstraße.

Mit dem groß angelegten Abriss innerstädtischer Wohnquartiere entstanden rund um das alte Hamburg funktionale Wohnsiedlungen, die zwar den Vorstellungen vom modernen Wohnkomfort und Hygiene gerecht wurden,  aber keine vergleichbaren Bau- und Raumstrukturen mit ihren Möglichkeiten der sozialen Interaktion, wie die ursprünglichen Wohnviertel der Altstadt besaßen. Die Märzunruhen 1921 und der Hamburger Aufstand 1923, Ausdruck des propagierten Klassenkampfes der KPD der sich ausdrücklich gegen die Republik und die Sozialdemokratie richtete, hatten ihre Zentren bereits jenseits der Altstadt in den Stadtteilen Barmbek, Bramfeld und Hammerbrook. In der Weimarer Republik wurde die Abrisspolitik aufgrund fehlender Kapitalien nicht konsequent fortgesetzt, aber bereits 1928 erschienen in der Hamburger Presse ausführliche Artikel zu den verbliebenen Gängeviertel, die als Elendquartiere mit wuchernder Prostitution, bei dem der Abriss eine zwingende Notwendigkeit darstellte, beschrieben wurden. Dieser wurde unter nationalsozialistischer Herrschaft dann vollendet.

Pelc Ortwin, 2002, „Hamburg, die Stadt im 20.Jh.“, Convent-Verlag, Museum f. Hamburgerische Geschichte

Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächter – Die Entstehung eines modernen Polizeiwesens

Vor der Mitte des 19. Jh. kamen in Hamburg auf einen Polizeibeamten ca. 4200 Einwohner. Um 1840 stand dem weiten Aufgabenfeld der Polizei eine geringe Zahl von Beamten zur Verfügung, so dass der polizeilichen Tätigkeit wahrscheinlich enge Grenzen gezogen waren. Von 40 Offizianten hatten 14 Postendienst an den Grenztoren und Schlagbäumen, 4 waren auf Nachtpatrouille eingesetzt und fünf weitere patrouillierten tagsüber durch die Gassen. Für die Nachtzeiten stand außerdem das Nachtwächtercorps zur Verfügung und bei Bedarf konnte eine Verstärkung durch das Stadtmilitär angefordert werden. Die Nachtwache umfasste 1843 insgesamt 454 Mann die im zweistündigen Wechsel patrouillierten. In der Stadt gab es 10 Wachen mit insgesamt 100 Posten auf denen jeweils 147 Mann Dienst leisteten. In der Vorstadt St. Georg waren es vier Wachen mit 39 Mann und in der Vorstadt St. Pauli 2 Wachen bei 25 Posten die jeweils mit einem Nachtwächter besetzt waren. Für den Bereich des Bettelns und Vagabundierens und der daraus entstehenden Kleinkriminalität, standen weitere 25 „Armenpolizeidiener“ zur Verfügung.  Jeder Fremde, ob Händler, Handwerksgeselle oder Reisender, der sich länger als einen Tag in Hamburg aufhielt, musste seinen Pass, bzw. Wander- oder Arbeitsbuch abgeben und eine Aufenthaltskarte lösen und erhielt seine Papiere bei der Abreise auf dem Stadthaus zurück. Die Wirte waren verpflichtet Fremdenlisten zu führen, die sie abends zusammen mit dem Pass der Polizeibehörde zu übergeben hatten.

1856 soll es allerdings noch relativ einfach gewesen sein Legitimations-papiere wie Laufpässe und Wanderbücher (der Handwerksgehilfen) zu fälschen oder sich solche durch Bestechung oder durch falsche Angaben (bsp. Verlustmeldung in einem entfernten Ort) zu beschaffen. 1858 wurden dann in Preußen, Bayern und Baden neue Sicherheitspapiere eingeführt, die damals offiziellerseits als so gut wie fälschungssicher galten.  Vor der Einigung Deutschlands 1871 war die Polizei weitaus stärker dezentralisiert und oft begnügte man sich in den einzelnen Ländern damit, Straftäter des Landes zu verweisen und so die Verantwortung auf die Polizeikräfte eines anderen Landes abzugeben. Zumindestens fühlte man sich verpflichtet, diese vor dem Eintreffen der Gauner zu informieren. Aus diesem Sachverhalt entstanden sogenannte Fahndungslisten; detaillierte Personen-beschreibungen von gesuchten Männern und Frauen, die sich ab 1819 immer mehr zu gedruckten  Journaillen entwickelten. (z.b. „Mitteilungen zur Beförderung der Sicherheitspflege“ / Erfurt, 1819 und „Allgemeine Anzeigen der Sicherheitsfürsorge für den preußischen Staat“/(1820)) Daneben erschienen immer mehr Handbücher in denen diese sogenannte „Unterwelt“ beschrieben wurde, wobei viele dieser Autoren dazu neigten die undurchsichtigen, oft vom Zufall geprägten, situativen Zusammenhänge der Kultur der Fahrenden und Tagelöhner, als eine hochgradig organisierte und strukturierte kriminelle Gegenwelt darzustellen. Ein Umstand der das Bild der Bürgerlichen von diesen, zum Teil kriminellen Subkulturen entscheidend mitprägte. Diese Vorstellungen von einer deutschen Unterwelt entsprangen u.a. dem Konzept der Ständegesellschaft die zu dieser Zeit noch lebendig war, in der der gesellschaftliche Status durch Erblichkeit und durch Zusammengehörigkeit mit einer bestimmten sozialen Gruppe vordefiniert war. Das führte dann zu Werken wie von „F.C.B. Ave`- Lallement“ über das deutsche Gaunertum (1858-1862) in dem er die Ansicht vertrat, dass es sich bei den Kriminellen eigentlich „um eine Art eigene Rasse handelte, mit eigenen Sitten, Gebräuchen und einer Sprache“ Ave`- Lallement  wies den Juden und Zigeuner eine entscheidende Rolle bei der Herausbildung der deutschen Unterwelt zu. Eine Geisteshaltung die sich dann unter der nationalistischer Herrschaft voll entfalten konnte..

Zu dieser Zeit stellte das „Sportelwesen“ einen nicht unbeträchtlichen Teil des Einkommens der Polizeibeamten dar. Als „Sporteln“ wurde eine Geldstrafe von 5 Mark Corrent und 14 Schillingen bezeichnet die die Verhafteten am Tag nach ihrer Festnahme zu zahlen hatten, auch Gebühren, welche bei bestimmten Leistungen, wie Ausstellen polizeilicher Führungszeugnisse und Erlaubnisscheine, Abschriften und Beglaubigungen, fielen z.T. unter diesem Begriff.

„Es ist vielfach über Arretierungen von Fremden geklagt worden, deren Unschuld sich nachher herausstellte; ein Umstand, der aus den eigenthümlichen Verhältnissen einer großen Seestadt, die jährlich von Tausenden zum heimlichen Entweichen ausersehen wird, leicht zu erklären ist. Unangemessener erscheint es, dass solche Arretierungen mit 5 Mark 14 Schilling bezahlt werden müssen; diese „fief Mark veertein“! sind sprichwörtlich geworden und Gegenstand mancher spottreichen Anfeindung.“

Geissler Robert, 1861 : 60 „Hamburg – Ein Führer durch die Stadt und ihre Umgebungen“, Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber, Leipzig, Nachdruck 1977, Glogau Verlag, Hamburg

Von diesem Strafgeld erhielt der Beamte der die Verhaftung vorgenommen hatte, aufgrund des niedrigen Grundgehalts einen gewissen Anteil. Dies schuf die Vorraussetzung für eine weitverbreitete Korruption, denn jeder der es sich leisten konnte, hatte die Möglichkeit den ihn festnehmenden Beamten mit einem Betrag zu bestechen, der geringer war als die Gesamtstrafe, aber höher lag als der Anteil, den der Beamte davon erhielt. Die Beamten hatten also verständlicherweise ein Interesse an einem hohen Gebühren-aufkommen, was oft zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bürgermilitär, Gassenoffizianten und Nachtwächtercorps führte, zwischen denen die Polizeivollmachten aufgeteilt waren.

Vor allem die Sittenpolizei geriet oft ins Zwielicht, da sie in den umsatzfreudigen Bereichen der Prostitution in den Verdacht der Bestechlichkeit geriet. Allerdings brachte erst die Gesetzesänderung von 1832 einen Zustand in welcher das Bordellsystem zur Kasernierung der Prostitution unter weitreichender Einbeziehung der Sittenpolizei ausgebaut wurde. Damit wurde die Polizei offiziell zur Hüterin der „öffentlichen Sittlichkeit“, andererseits aber schnell in das System verstrickt, so das sogar Bestimmungen die den Frauen helfen sollten aus der Prostitution auszusteigen in ihr Gegenteil verkehrt wurden und stattdessen die Bordellwirte begünstigten. Im Jahr 1845 sind 43 Beamte der städtischen Polizei neben ihren allgemeinen Funktionen, dazu angewiesen während des Tages auf die sich auf den Straßen befindlichen Personen zu achten. In St. Pauli deren acht.  Bis zum Jahr 1888 wurden im gesamten Stadtgebiet für die sittenpolizeiliche Vigilanz 8 Beamte eingesetzt. Ab 1889 standen der Sittenpolizei 1 Sergeant und 13 Offizianten zur Verfügung. In den Jahren 1893 –94 wurde die Zahl der Beamten der Hamburger Sittenpolizei von 14 auf 30 erhöht und im Jahr 1913 waren 46 Beamte bei der Sittenpolizei eingestellt. Dies in einer Stadt, die Anfangs 1890 600 000 Einwohner hatte, zur Jahrhundertwende über eine Million und bei Ausbruch des 1. Weltkrieges eineinhalb Millionen, so dass man davon ausgehen kann, dass die Sittenpolizei mit der Ausbreitung der unkontrollierten Prostitution während des explosionsartigen Wachstums der Stadt nicht umgehen konnte und das das  reglementierten Bordellwesens als ein „verlängerter Arm“, als eine Delegierung von Kontroll- und Ordnungsfunktionen verstanden wurde.

Bereits 1807 wurde in Hamburg die „Aufsichts- und Kurkasse der Prätur“ gegründet, die man später „Meretritzenkasse“ nannte und die noch 1925 als „Hilfskasse der Sittenpolizei“ bekannt war. In diese Kasse hatten die Bordellwirte für jedes Mädchen monatlich einzuzahlen. Der so zustande gekommene Betrag sollte die Kosten der polizeilichen Beaufsichtigung und die Ausgaben für die Heilung erkrankter Frauen decken. Nach dem Abzug der Franzosen wurden anscheinend mehrere Jahre hinweg keine Beträge erhoben. Ab dem Jahr 1823 ist mit der Erhebung der Abgabe wieder begonnen worden. Der Ratschirurg zog seine Untersuchungsgebühr direkt von den zu untersuchenden Frauen ein. Den folgenden Amtsärzten stand man ein festes Gehalt zu, welches aus der Meretritzenkasse gezahlt wurde. Im Jahr 1860, als die Meretritzenkasse öffentlich im Staatbudget aufgeführt wurde, erregte der Betrag von 27 970 Mark aus angesammelten Überschüssen der vorangegangenen Jahre, die Aufmerksamkeit der Bürgerschaft, die diese Summe dann an ein Krankenhaus überweisen ließ. In der Stadt, wie auch in St.Pauli, bezogen die mit der Einziehung und Verwaltung beauftragten Beamten der Sittenpolizei aus der Meretritzenkasse besondere Einnahmen. In St. Pauli war diese Einnahme, die dem Vogt zukam, nach der Anzahl der Prostituierten berechnet. Er erhielt für jedes Mädchen einen Taler monatlich. Auch als im Jahr 1869 die Gehälter der Polizeibeamten unter der Voraussetzung des Wegfalls aller Nebeneinnahmen fixiert wurden, erhielten die städtischen Polizeibeamten weiterhin die Nebeneinnahme aus der Meretritzenkasse.1879 versuchte die Hamburger Bürgerschaft in einer Vorlage, eine gesetzliche Regulierung und eine Neuorganisation der Verwaltung dieser Kasse zu erreichen, zu der es aber nicht mehr kam aufgrund der Auseinandersetzungen der zuständigen Hamburger Instanzen mit der Reichsbehörde über das Hamburger Bordellwesen.

Wie auch an anderen Orten in Deutschland führte die auf die Revolution folgende Reaktion 1851/2 zu einer Reform der Polizei. Der Nachtwächtercorps wurde in eine Polizeistreitkraft von mehr als 300 Mann umgewandelt und die Bezahlung wurde auf 450 Mark im Jahr erhöht. 1876 wurde dann das alte Nachtwächtercorps und die Polizei aufgelöst und durch ein Konstablercorps bei einer zahlenmäßigen Aufstockung auf ca. 650 Konstabler und 165 Sergeanten ersetzt. Die Eingliederung Hamburgs in den Norddeutschen Bund 1867 und ein paar Jahre später in das Kaiserreich, wie auch die Furcht vor der zunehmenden politischen Organisierung der Arbeiterschaft und der „Unterschicht“, führte bald zu einer weiteren Neuorganisation der Polizei. 1888 wurde die Zahl der Konstabler von 650 auf 1022 erhöht und weitere 92 Sergeants und höhere Offiziere in den Dienst genommen. Der Lohn stieg merklich auf 1350 Mark für einen Constabler und auf 1500 bis 2250 Mark für die höheren Dienstgrade. Die berittene Polizei, die vorher in den Vororten ihren Dienst getan hatte, wurde in den innerstädtischen Dienst genommen um dort maßgeblich gegen Demonstrationen und bei Krawallen eingesetzt zu werden. Ab 1888 wurden keine Handwerker und Arbeiter, die früher das Gros der Polizeikräfte bildeten, mehr in den Polizeidienst aufgenommen, stattdessen musste ein in  Frage kommender Bewerber mindestens 9 Jahre im Heer gedient haben und den Dienstrang eines Unteroffiziers erreicht haben. Die Polizei wurde sozusagen komplett nach preußischem Vorbild umorganisiert, was einer Militärisierung der Organisation mit umfangreichen Kompetenzausweitungen gleichkam. Vor allem die politische Polizei, die im Rahmen der Sozialistengesetze gegen Arbeiterorganisationen vorging, erhielt weitgehende Sonderrechte. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Kontrolle der vielen Kneipen und Bars gelegt. Mit der Ausbreitung der Schankwirtschaften und des Vergnügungsgewerbes ab der ersten Hälfte des 19. Jh. entwickelte sich die Polizeistunde (- die Verordnung, die bestimmt wann Bars und Kneipen, Varietes und Clubs zu schließen haben und ab wann sie wieder öffnen dürfen) zunehmend zu einem vielseitig einsetzbaren Instrument der städtischen Verwaltungen gegen nächtliche Ruhestörungen und Zusammenrottungen, im Kampf gegen die Prostitution, zur Hebung der Arbeitsmoral oder als Möglichkeit gegen ein unliebsames politisches Milieu vorzugehen.

„Besonders frappierend ist die über das gesamte Jahrzehnt hinweg intensivierte Kontrolle der Schankwirtschaften. Machten die Anzeigen („Meldungen“) wegen Verletzung der Polizeistunde noch zu Beginn der 1890er nur etwas mehr als 2% der gesamten Aktivitäten aus, so waren es am Ende des Jahrzehnts mehr als 10%. Die absoluten Zahlen verfünffachten sich auf annähernd 15.000 Fälle im Jahr. Bedenkt man die Funktion der Wirtschaft als „Wohnzimmer des Arbeiters“, die ja außer von den Schutzmännern noch von der politischen Polizei observiert und von der Gewerbepolizei konzessioniert wurde, dann wird ersichtlich im welchen hohen Maße sich die Polizei um die Kontrolle um die Arbeiterschaft bemühte.“

(Zitat aus Hatje Frank, 1997  : 365)

Hatje Frank, 1997, „Repräsentationen der Staatsgewalt“, Helbing&Lichterhahn Verlag, Basel, Frankfurt a.Main

Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Evans Richard J, 1997, „Szenen aus der deutschen Unterwelt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Urban Alfred, 1927, „Staat und Prostitution in Hamburg“, Verlag Conrad Behre, Hamburg

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Stadtentwicklung und „soziale Fremdkörper“



Hamburgs Eingliederung in den preußischen Nationalstaat-Wahlrechtsunruhen und Gewerkschaftsorganisation

Die 90er Jahre des 1900 in Hamburg sind nicht nur gekennzeichnet durch die Choleraepidemie und die darauffolgende Reform der hygienischen Verhältnisse, die Stadtsanierung unter dem Vorzeichen der „Citybildung“, die Umstrukturierung des Hafens und der Bildung von Arbeitgeberorganisationen – und auf der anderen Seite – die Bildung einer starken Gewerkschaftsorganisation und der Etablierung der Sozialdemokratie, sondern auch durch einen Sieg des Preußentums, der staatlichen Intervention über den Laisser-faire des bürgerlichen Liberalismus.

Hamburg war im 19.Jh. größtenteils eine „Freie Stadt“, ein autonomer Staat im Deutschen Bund und nach 1871, wenn auch eingeschränkt, innerhalb des Deutschen Reiches. Das ganze 19.Jh hindurch und darüber hinaus bestand der Senat aus Mitgliedern eng verflochtener Patrizierfamilien, die über ein weitreichendes Netz von Verwandtschaftsbeziehungen den wohlhabensten Teil der Handels- und Finanzwelt Hamburgs stellten. Viele dieser Hamburger Familien, die die Senatoren stellten, waren nicht deutschen Ursprungs; so die Amsincks, die Chapeauxrouges, Godeffroys, Slomans und die O`Swalds. Die Amsincks stellten den Bürgermeister Wilhelm Amsinck (1752 – 1831) und heirateten in eine Vielzahl anderer Senatorenfamilien ein, wie die Gosslers, Sievekings, Burchhards, Westphals und Mercks – alles sehr vermögende Familien mit dementsprechenden politischen Einfluss. Als reichster Mann der Stadt galt Anfang des 20 Jh. der Reeder Henry Slomann, dessen Vermögen auf 60 Millionen Mark geschätzt wurde, auch er war über diese Heiratspolitik mit den Amsincks verwandt.

Als letzter der norddeutschen Staaten trat Hamburg 1871 dem Deutschen Reich bei. Als Konsequenz dieses Beitrittes wurde die alte Hamburger Währung – 12 Pfennige auf den Schilling, 16 Schilling auf die Mark Banco – durch die Dezimalwährung des Reiches ersetzt. Das Bürgermilitär wurde abgeschafft und das Hanseatische  Infanterieregiment unter preußischen Oberbefehl gestellt. Bereits Ende der 50er Jahre gewann die pro-preußische Partei im Hamburger Senat allmählich die Oberhand. Einer ihrer politischen Führer war Johannes Versmann, der lange Zeit Mitglied im oppositionellen St. Pauli–Bürgerverein war – und dann, ab 1861 einer der bedeutensten Senatoren seiner Zeit in Hamburg, bis zu seinem Tod im Jahr 1899.

Der St. Pauli-Bürgerverein wurde 1843 gegründet um eine Interessenvertretung für das außerhalb der Stadtwälle gelegene Hafenviertel zu schaffen. Er entwickelte sich, neben dem 1832 gegründeten Grundeigentümerverein, schnell zu einem Hauptzentrum der Opposition gegen die oligarchische Herrschaft des Senats. 1892 gab es insgesamt 32 Bürgervereine, die größtenteils in einem Zentralausschuss organisiert waren. Diese Vereine übten Druck auf den Senat aus was sanitäre Einrichtungen, die Wasserversorgung, die Elektrifizierung, die Pflasterung der Straßen und die Müllbeseitigung betraf. Später übernahmen sie die Ausrichtung der Wahlen zur Bürgerschaft. Ihre Mitglieder kamen in der Regel aus dem Besitz- und Kleinbürgertum.

Versmann machte im Senat seinen Einfluss geltend und versuchte zu überzeugen, dass man dem preußischen Druck in Fragen der Angliederung ans Reich nachgeben müsse. Seinen größten politischen Erfolg erzielte er in Fragen des Zollanschlusses, wo es ihm gelang einen Kompromiss auszuhandeln, zwischen den Hamburger Kaufleuten – klare Befürworter des Freihandels – und den Preußen unter Bismarck, die eine Einführung von Importzöllen verlangten. Als dessen Resultat entstand die Speicherstadt, ein zollfreies Gebiet, welches weiterhin von Hamburg verwaltet werden durfte. Die Eröffnung des Freihafens und der Beitritt zum Deutschen Zollverein 1888 markierten den Sieg der pro-preußischen Partei über die Alt-Hamburger Partikularisten.

1865 werden in Hamburg die Privilegien der Zünfte abgeschafft und die Freiheit des industriellen Unternehmertums eingeführt. Bereits 1879 soll es in Hamburg 500 Fabriken mit ca. 16 000 Arbeitern gegeben haben. Zahlen die sich bis 1890, vor allem durch die Eröffnung des Freihafens fast verdoppelten. Durch diese wirtschaftliche Expansion kam es zu zunehmenden Kapitalkonzentrationen – bei den Reedern, die 1884 den Verein Hamburger Reeder gründeten und im Schiffbau, wo sich 1888 über siebzig Werften und Schiffsausrüster im Verband der Eisenindustrie unter dem Vorsitz von Herrmann Blohm zusammenschlossen. Dieser Organisationsprozess war geprägt durch die persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen die zwischen den Personen der Hamburger Wirtschaftselite bestanden. So saß Albert Ballin, der Generaldirektor der Hapag- Schiffartslinie auch im Vorstand der Woermann-Linie, der Kosmos-Linie und der Levante-Linie.

Mit dem Ende der Zunftprivilegien im Jahr 1865 kam es erstmals zu Streiks auf breiter Grundlage, so fanden allein in diesem Jahr dreißig Streiks statt. Ende der 80er Jahre kam es zu einer größeren Streikwelle mit mehr als 30 Ausständen und Aussperrungen zwischen den Jahren 1888 bis 1890. 1890 planten die Hamburger Gewerkschaften in Befolgung eines Aufrufes des Gründungskongresses der Zweiten Sozialistischen internationale, eine Mehrzahl von Streiks. Die Arbeitgeber reagierten ihrerseits durch die Organisierung in einem Arbeitgeberverband und gingen gegen die Arbeiter mit Aussperrungen und Entlassungen vor, von denen fast 20 000 Arbeiter betroffen waren. Diese große Streikwelle, das wachsende politische Bewusstsein und die Organisierung der Arbeiterschaft auf internationaler Ebene rief unter den Kaufleuten, Industriellen und dem Senat ernsthafte Besorgnis hervor. Der Handel hatte unter den Streiks erkennbare Einbußen hinnehmen müssen und in der bürgerlichen Öffentlichkeit entstand ein Bedrohungsszenerario in welchem die Unterschichten ernsthaft die Autorität und Vorherrschaft der Patrizierfamilien und der Besitzbürger gefährdeten.

Die ersten Ansätze einer organisierten Arbeiterbewegung sind bereits 1844 mit der Gründung des „Arbeiter-Bildungsvereins“ und durch die Gründung von Lassalles konkurrierenden „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ spürbar. 1869 wurde dann in Eisennach die sozialdemokratische Arbeiterpartei gegründet. Der ständige Sitz der Partei war, aufgrund der großen Anhängerschaft, von 1871 – 1878 die Hansestadt Hamburg. Allerdings spielten während des Aufstiegs der Arbeiterbewegung lokale Probleme kaum eine Rolle. Die Parteifunktionäre orientierten sich an Zielen, die auf Reichsebene zu verwirklichen waren. Erst ab den 90er Jahren begannen die Sozialdemokraten sich allmählich für Problematiken auf lokaler Ebene zu interessieren, blieben auf kommunalpolitischer Ebene allerdings weitgehend inaktiv.

Durch das eingeschränkte Wahlrecht blieb in allen deutschen Städten, wie auch in Hamburg, die Teilhabe am politischen Leben der Gemeinde einer kleinen Elite von Grundeigentümern und Besitzbürgern vorbehalten. Die Arbeiterklasse war so gut wie überall vom Wahlrecht ausgeschlossen. So wird vielleicht  verständlich warum den städtischen Sanierungsmaßnamen, die in ihren Umfang einen Großteil der arbeitenden Bevölkerung in der Innenstadt betraf, kaum Widerstand in den politischen Institutionen entgegengesetzt wurde. Das allgemeine Wahlrecht für die Reichstagswahlen galt zwar nach dem Prinzip – ein Mann, eine Stimme – hatte für die Hamburger Verhältnisse zu dieser Zeit aber keine Bedeutung.

Das allgemeine Wahlrecht wurde von Bissmark zuerst für den Norddeutschen Bund und dann für das gesamte Reichsgebiet eingeführt – unter der Annahme, das das Gros der Landbevölkerung konservativ wählen würde. Doch die Wahlbeteiligung der Arbeiterschaft stieg stetig, von 28% im Jahr 1871, auf über 40% (1874) bis auf 69% (1877). 1887 erreichte sie schließlich 80%. Die wachsende Wahlbeteiligung und das sich entwickelte politische Bewusstsein wurde zum Großteil von der Sozialdemokratie aufgefangen.

Die neu entstehende Arbeiterklasse war die Basis für die zunehmende Bedeutung der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Seit 1890 hatte die Partei eine so breite Unterstützung in der Arbeiterschaft, dass sie ohne Unterbrechung die drei Sitze Hamburgs im Reichstag des deutschen Kaiserreiches besetzte. Diese Reichstagswahlen beruhten auf dem allgemeinen Wahlrecht für alle erwachsenen Männer. Die Kommunalwahlen zur Hamburger Bürgerschaft waren allerdings durch ein eingeschränktes Wahlrecht gekennzeichnet. Wahlberechtigt waren nur männliche Personen die die Bürgerschaft erworben hatten und deren Steuern über einen bestimmten Mindestsatz lagen. Als Vorraussetzung musste ein Bürgerschaftsgeld gezahlt werden, in einer Höhe, die für die meisten Arbeiter unerschwinglich war, so dass es im Jahr 1892 bei über 600 000 Einwohnern nur 23 645 Stimmberechtigte gab.

1896 wurde dieses Bürgergeld abgeschafft und stattdessen als Vorraussetzung für das Stimmrecht, ein jährliches Mindesteinkommen von 1200 Mark, welches über einen Zeitraum von 5 Jahren gewährleistet sein musste, festgesetzt. Diese Summe lag bei weitem über dem Durchschnitts-einkommen der meisten Handarbeiter dieser Zeit. Trotz dieser Einschränkung wurde 1901 der erste sozialdemokratische Abgeordnete in die Bürgerschaft gewählt. Im Jahr 1904 kamen noch 12 weitere Abgeordnete hinzu. Auch wenn die Hälfte der insgesamt 160 Sitze von vornerein den Honoratioren und Grundeigentümern vorbehalten war, stellten bereits diese 13 Abgeordneten für den Senat eine bedrohliche Entwicklung dar. Die verschiedenen Fraktionen dieser Körperschaft repräsentierten bis dahin ausschließlich die besitzende Elite der Hansestadt mit ihren unterschiedlichen Interessen. Ein weiterer Punkt war, dass, wäre es der SPD gelungen 40 Sitze in der Bürgerschaft zu erlangen, hätten sie die Möglichkeit gehabt jeden Beschluss dieses Gremiums für den eine 2-Drittel- Mehrheit erforderlich war, zu blockieren. Aus diesem Grund wurde seitens des Senats 1905 eine Revision des Wahlrechtes vorgeschlagen um den Zuwachs sozialdemokratischer Abgeordneter zu verhindern.

Die Sozialdemokratie reagierte mit einer breiten politischen Kampagne gegen diesen „Wahlrechtsraub“ und als im Januar 1906 eine Bürgerschaftsdebatte über das Wahlrechtsgesetz stattfinden sollte, organisierten sie zum gleichen Tag einen großen befristeten Streik und eine Vielzahl von Massen-versammlungen und Demonstrationen. Die Anzahl der teilnehmenden Arbeiter bewegte sich nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 30 000 (Polizei) bis 80 000 („Vorwärts“, die Berliner Zeitung der Sozialdemokratie). Im Zuge der abschließenden Demonstration zum Rathausmarkt kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die im Laufe des Abends eskalierten. Die Polizei ging in unverhältnismäßiger Härte vor, so dass es 2 Tote und eine Vielzahl von Verletzten durch Säbelhiebe und Stiche gab. Während dieser Auseinandersetzungen räumte die Polizei mit gezogenem Säbel und zum Teil zu Pferde den Rathausmarkt, die Rathausstraße und später die Schmiedestraße und den Hamburger Fischmarkt. Daraufhin kam es in den Strassen Schopenstehl und Brandstwiete zu Brandstiftungen und Plünderungen, wobei sich unter den geplünderten Geschäften auch mehrere Juweliere befanden.

Die konservative Hamburger Tagespresse stellten die Ereignisse in einen direkten Zusammenhang mit der russischen Revolution von 1905 und entfesselten eine massive Hetzkampagne gegen die SPD. Diese wiederum tat ihr möglichstes um sich von den Ereignissen zu distanzieren. Im sozialdemokratischen „Hamburger Echo“ wurde vermutet, dass die Polizei indirekt für die Plünderungen verantwortlich sei, da sie ihre Patroullien aus dem „Verbrecherviertel“ um den Schopenstehl zurückgezogen hatte und so dem „Janhagel“ ermöglichte unkontrolliert zu randalieren. Am nächsten Tag wurde ein vollkommenes Versammlungsverbot verhängt und alle Restaurants und Kneipen in den Strassen Schopenstehl, Niedernstraße, Kattrepel, Mohlenhofstraße, Springeltwiete, Altstädter Straße, Fischertwiete und Depenau mussten bis auf weiteres jeden Tag um 15 Uhr schließen. Außerdem wurden alle Personen, die sich wegen Säbelwunden in den Ambulanzen behandeln ließen, verhaftet, so dass schließlich gegen ca. 50 Verhaftete ein Verfahren eröffnet wurde. Viele der Verurteilten waren  Stammgäste der Kneipen um die Niedernstraße, bzw. wohnten in diesem Viertel, welches zu den Gängevierteln der Innenstadt zählte, die bei den Bürgerlichen als Slums und Brutstätten der Kleinkriminalität verschrien waren.

Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg


Karte 1915, Sanierungsgebiet ohne Straßennamen


Das Konzept der Citybildung und die Zerstörung der Gängeviertel

„Da darf ich doch wohl fragen, ob andere Städte derartige Sanierungen in ihren Städten durchgemacht haben, wie wir das in Hamburg tun. Keineswegs! Es gibt keine Stadt in Deutschland, die derartige weite, städtische, eng bebaute Gebiete aufgekauft hat, die Häuser herunterreißt und dann neu aufbaut.“

Der Abgeordnete Riege auf einer Beratung über einen Bericht für die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Hamburg, 1904 (Quelle: Schubert Dirk, 1993 : 68)

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte durch die prosperierende Dampfschiffahrt seit 1816 und die Unabhängigkeit Nordamerikas ein Handelsaufschwung ein – so wurde mit den USA 1827 ein Handelsabkommen abgeschlossen. Durch die Unabhängigkeit der mittel- und südamerikanischen Kolonien Portugals und Spaniens zwischen 1810 und 1880 ergaben sich auch für Hamburg eine Reihe neuer Handelsbeziehungen und Märkte. Mit einer Vielzahl dieser Länder schloss Hamburg Verträge die den Baumwoll-, Tabak-, Kautschuk-, Kakao-, und Kaffeehandel  betrafen. Exportiert wurden Maschinen, Keramik und Glas, Werkzeuge und Textilien, später dann Auswanderer, wobei sich die Verschiffung der Aussiedler zu  einem der bedeutendsten Geschäftszweige dieser Zeit entwickelte.

Im Verlauf des 19.Jh. emigrierten ca. 5,5 Millionen  Deutsche nach Amerika. Die Höhenpunkte lagen in den 50er und 80er Jahren, als jährlich bis zu einer Viertelmillion Menschen auswanderten. Ab der Jahrhundertwende dominierten die Emigranten aus Russland, Polen und den Balkanländern die den dortigen Wirtschaftskrisen und Progromen zu entkommen suchten. Hamburg war neben Bremen der größte deutsche Auswandererhafen. Von 1871 bis 1876 schifften sich in Hamburg jährlich ca. 40 000 Emigranten ein, darunter 32 000 deutscher Nationalität. Im Zeitraum 1901-1906 war der Strom der Auswanderer auf jährlich ca. 120 000 gestiegen, aus Deutschland kamen noch 17.000 während über 100 000 aus Russland und Österreich-Ungarn kamen. Ein Großteil dieser Massentransporte wurde über die 1847 gegründete „Hamburg-Amerikanische-Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“, kurz „Hapag“ abgewickelt. Ein namentlicher Hamburger Konkurrent der Hapag in puncto Auswandererbeförderung war die Reederei Rob. M. Sloman, die sich allerdings Ende der 1870er aus diesem Geschäft zurückzog.  Bis 1892 kamen die Auswanderer hauptsächlich in privaten Logierhäusern unter. Viele Menschen aus Altona, Hamburg und St. Pauli verdienten an den Emigranten durch Vermietung, Verkauf von Lebensmitteln und Reiseutensilien, Geldwechsel und Warentausch. Es gab viele Agenten, sogenannte „Litzer“, die im Auftrag von Bahn- oder Schifffahrtslinien, Logishäusern, Banken etc. viele und oft überteuerte Waren und Dienstleistungen an den Mann brachten, so dass man beim Hamburger Senat vom sogenannten „Litzerunwesen“ sprach, das man auf dem Vorschriftenweg zu bekämpfen versuchte.

Nach dem Ausbruch der Cholera wurden (wahrscheinlich zu Unrecht) Osteuropäer und Russen für das Einschleppen der Seuche verantwortlich gemacht. Die preußischen Grenzen und das Hamburger Stadtgebiet wurden gegen osteuropäische Durchwanderer gesperrt. Nachdem sich das Auswanderergeschäft in den Folgejahren wieder erholt hatte, waren strikte Gesundheitskontrollen an den Grenzbahnhöfen zur deutschen Ostgrenze eingeführt worden. In Hamburg wurden die osteuropäischen Auswanderer in einem Barackenlager auf dem Amerikakai (welches für ca. 1400 Menschen Platz bot) bis zur Abreise zwangskaserniert, während Mitteleuropäer das Logieren in der Stadt freistand. Ab 1900 baute die Hapag auf einem 25 000 ha großem, abgelegenen Areal auf der Veddel eine regelrechte Kleinstadt für die Emigranten. Einerseits versuchte man so den Menschenmassen und der daraus erwachsenen Situation und den hygienischen Notwendigkeiten gerecht zu werden, andererseits monopolisierte die Hapag auf diese Weise ein Großteil des nicht unerheblichen Zusatzgeschäftes, welches den Verkauf von Waren, Lebensmitteln und Dienstleistungen und die Unterbringung betraf. Ab 1921 wurden die Veddeler Hallen für deutsche Auswanderer genutzt, während der nationalsozialistischen Herrschaft quartierte sich dort die SS ein. Durch die Bombardements im 2. Weltkrieg wurde ein Großteil des Areals zerstört und nicht wieder aufgebaut.

Keller Ulrich, 1981, „Mein Feld ist die Welt“, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln

Eine der Konsequenzen dieser Entwicklung war eine massiven Wohnungsnot im Bereich der inneren Stadt. Sie wurde nicht nur durch eine Bevölkerungszunahme von 85.000 Menschen im Jahre 1790 auf 130.000 Menschen im Jahre 1806 verursacht, aufgrund des allgemeinen Wohlstand wurden zahlreiche kleine Wohnungen zu wenigen großen vereinigt. Außerdem verwandelte man ganze Wohnhäuser in Zuckersiedereien und Speicher zur Aufnahme der ständig anwachsenden Menge der Handelsgüter. Die Mieten stiegen um das Mehrfache, so dass aus diesem Grunde zahlreiche Familien gezwungen waren mit anderen zusammenzuziehen. Die ständig zunehmende Zahl von Arbeitern und Gehilfen des Handels führte auch in Hamburg zur Herausbildung von Quartieren, sofern diese Gruppen nicht noch von den Kaufleuten und Arbeitgebern untergebracht werden, in denen diese Schichten unter ärmlichsten Verhältnissen wohnten. Die Bebauung der Straßen wurde deshalb immer dichter. Selbst die Twieten – schmale Verbindungswege zwischen zwei Straßen – und Höfe hinter Wohnhäusern wurden bebaut. Enge winklige Gassen und kleine, meist zweistöckige Häuser kennzeichneten die ärmlichen Wohnverhältnisse in diesen Stadtteilen.

Hamburger Brand

Der  Hamburger Brand  1848 bedeutete eine einschneidende Zäsur für die bis dahin mittelalterlich geprägten Struktur Hamburgs. Das Feuer brach in der Nacht vom 4. zum 5. Mai  in der Deichstraße am Nikolaifleet aus und breitete sich von dort nach dem Rödingsmarkt und Hopfenmarkt aus. Am Graskeller und Jungfernstieg gelang es, durch Sprengung ganzer Häuserblocks das Feuer aufzuhalten, so dass die Neustadt weitgehend verschont blieb. Während des Feuers kam es zu nicht unerheblichen Plünderungen und zu Übergriffen gegen sich in der Stadt aufhaltende Engländer, die den Bau der Eisenbahn betrieben und verdächtigt wurden, dass Feuer verursacht zu haben. Der Große Brand verwüstete mehr als ein Viertel des damaligen Stadtgebietes. 50 Menschen waren umgekommen, 120 schwer verletzt. Die Zahl der Obdachlosen wurde auf 20.000 geschätzt, die Zahl der zerstörten Häuser auf etwa 1700 in 41 Straßen, darunter drei Kirchen. Die Hamburger Feuerkasse, welche alle betroffenen Gebäudebesitzer entschädigte, gab an, dass 20% des Gebäudebestands zerstört waren. Der Hamburger Brand sorgt für eine Bevölkerungsexplosion auf dem Hamburger Berg und in Altona, dessen Gebiete das Feuer unbeschadet überstanden hatten.  Über Jahre hinweg war das Stadtbild von den zerstörten Flächen und den darauf errichteten Behelfswohnungen geprägt. Die großflächigen Zerstörungen in der Altstadt gaben Gelegenheit, das innere Stadtgebiet umfassend neu zu gestalten und die Infrastruktur zu modernisieren um den Ansprüchen des Industriezeitalters gerecht zu werden. Die Planungen dazu wurden noch im Mai 1842 unter der Federführung des englischen Ingenieurs William Lindley in Angriff genommen. Eine Voraussetzung des Wiederaufbauplans war die Enteignung der Bauflächen im Brandgebiet, weil die alte teils mittelalterliche Parzellierung der innerstädtischen Grundstücke einer modernen Neustrukturierung im Wege stand. Nach der Katastrophe wurde mit dem Aufbau einer zentrale Wasserversorgung und eines Sielsystems begonnen. 1846 wurde erstmals nachts eine Straße mit Gaslaternen beleuchtet. Maßgeblich beteiligt an der Erneuerung des Stadtbildes war der Architekt Alexis de Chateauneuf, außerdem flossen Vorschläge von Gottfried Semper mit ein. Bereits 1837, 5 Jahre vor dem Brand, waren im großen Stil Landkäufe in Hammerbrock, Uhlenhorst/Rothenbaum von Hamburger Großbürgerlichen, wie dem Senator August Abendroth getätigt worden und boten so beste Voraussetzungen diese Areale zu neuen Stadtentwicklungsgebieten auszuschreiben.

Die durch das Wachstum der Stadtbevölkerung bedingte gesteigerte Wohnungsnachfrage konzentrierte sich in der ersten Hälfte des 19. Jh. auf die Viertel der Innenstadt innerhalb der Stadtmauern. Zusätzlicher Wohnraum wurde geschaffen indem man Häuser aufstockte oder Keller in Wohnraum verwandelte. 1817 befanden sich in Hamburg nur 44% der Wohnungen in den oberen Geschossen von Häusern. 1865 war diese Zahl auf 65% gestiegen, außerdem gab es in der Stadt inzwischen ca. 9000 Etagenwohnungen, eine bis in die 40er Jahre unbekannte Art der Wohnung im Obergeschoss mit einem separaten Eingang im Parterre. Die Zahl der Kellerwohnungen nahm zwischen 1817 und 1866 um 60% zu.

Bereits ab Ende der 50er Jahre stiegen die Mieten erneut rasch an. Die Mieten für kleine Wohnungen in den billigen Gegenden der Altstadt und in den Gängevierteln erhöhten sich von 1855 bis 1870 um ca. 33%. Um die hohen Mieten aufbringen zu können, nahmen die Mieter sogenannte Schlafgänger zur Untermiete auf, in der Regel unverheiratete Männer, die im Hafen Arbeit suchten, so dass in den 90er Jahren fast ein Drittel der Haushalte in der Innenstadt und den umgebenden Vierteln ihren Wohnraum mit Schlafgängern teilten.

In Hamburg betrug die jährliche Wohnungsmiete in der Jahrhundertmitte für Keller, Buden und Sähle durchschnittlich 60-80 Mk., für Wohnungen im Haus 80-100 Mk.. Das Vermieten einer Schlafstelle brachte ca. 45 Mk., wodurch ungefähr die Hälfte der Wohnungsmiete abgedeckt werden konnte. Einen zusätzlichen Verdienst konnten sich die Vermieter verschaffen, indem sie gegen Aufpreis für den Schlafgänger kochten, Wäsche wuschen und Besorgungen erledigten.

Der ökonomische Aufschwung Hamburgs seit dem Zollanschluss (1888) bis zum 1. Weltkrieg, brachte neue Impulse für die städtische Entwicklung mit sich. Aufgrund der ökonomischen Triebkräfte wurde ein nicht unerheblicher Teil der Gesamtstadt neu und monofunktional definiert. So wurde das dichtbesiedelte Wohngebiet um den Brook und den Alten Wandrahm zum Bestandteil des Freihafengebietes der Stadt erklärt und in Folge wurde die alte Bebauung komplett abgerissen und bis 1888 die heute noch existierende Speicherstadt gebaut. Von den rund 24 000 Bewohnern der Brook-Insel, die ihren angestammten Wohnsitz verlassen mussten, siedelten sich 8000 in der Innenstadt an. Der größere Teil zog nach Billwerder-Ausschlag, St. Pauli und nach Hammerbrook.

Von 1842 an wurde nach Plänen des englischen Ingenieurs William Lindley ein Teil des Marschgebiets des Hammerbrooks entwässert und binnen kurzer Zeit entstand so eines der größten Arbeiterviertel Hamburgs: Ein rechtwinkliges System aus Straßen und Kanälen, gesäumt von großen Mietskasernen, deren Höfe nur wenige Meter breit waren. Hier fanden vor allem die Menschen, die nach 1881 der Hafenerweiterung und dem Bau der Speicherstadt weichen mussten, eine neue Unterkunft. Das Proletarierviertel, das zum Ruf des „roten Hamburgs“ beitrug, wurde durch die britischen Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg (Operation Gomorrha, 1943) fast vollständig zerstört. An das alte Hammerbrook erinnern heute – angesichts der Entstehung der neuen „City-Süd“ – nur noch wenige Gebäude und die Bezeichnungen der meisten Straßenzüge.

Choleraepedemie

Die unhygienischen Wohnverhältnisse und vor allem das ungefilterte Hamburger Trinkwasser führten 1882 zum Ausbruch der asiatische Cholera.

Vor der  großflächige Brand-Katastrophe von 1842, bei der ein Drittel der Stadt abbrannte, gab es in Hamburg drei verschiedene, private und genossenschaftlich organisierte Versorgungssysteme, die ihr Wasser entweder aus der Alster oder der Elbe bezogen. Parallel zu diesen nebeneinander existierenden und konkurrierenden „Wasserkünsten“ gab es in der Stadt Schöpfbrunnen, Wasserträgerinnen und Wasserwagen. Nach dem Brand wurde nach den Plänen von William Lindley eine öffentliche, zentrale Wasserversorgung errichtet. 1848 nahm die „Stadtwasserkunst“ in Hamburg-Rothenburgsort den Betrieb auf. Geklärtes Elbwasser wurde in Behälter auf den Dachböden der Stadthäuser gepumpt. Erst durch den Bau einer Elbwasser-Filteranlage auf Kaltehofe war es ab 1893 möglich, hygienisch einwandfreies Trinkwasser abzugeben. Vom gleichem Ingenieur wurde 1855 die erste Wasch- und Badeanstalt auf dem europäischen Festland am Schweinemarkt( Steinstraße, Ecke Glockengießerwall) errichtet. Sie bot 32 Waschstände für Kleidung und 32 Badewannen für Männer und 16 für Frauen in jeweils separaten Kabinen. Fließend Wasser war in dieser Zeit eher die Ausnahme. In den alten Stadtvierteln, wie den Gängevierteln, musste das Wasser von einem, für alle Anlieger zur Verfügung stehendem Anschluss im Hof in die Wohnung geholt werden. Toiletten gab es nur als Gemeinschaftseinrichtungen. Früher wurde deren Shit von den Dungsammlern an die umliegenden Bauern verkauft. Mit dem Ausbau der Kanalisation und der Wasserleitungen setzte sich immer mehr das Spülklosett durch, aber noch 1898 waren mindesten 900 Gebäude mit mehr als 2000 Toiletten nicht an die Kanalisation angeschlossen und ließen ihre Abwässer direkt in die Fleete und die Elbe.

Auf dem Altonaer Stadtgebiet kamen nur sehr wenige Cholerafälle vor. In einer solchen Grenzstraße („Am Schulterblatt“) wurden nur die Häuser der Hamburger Seite befallen, während jene des Altonaer Bezirks, die nur durch den Straßendamm getrennt waren, verschont blieben. Dies lag daran das Altona eine gesonderte Wasserversorgung besaß. Während Hamburg Trinkwasser noch unfiltriertes Elbwasser bezog, besaß Altona bereits seit 1859 ein brauchbares Filterwasserwerk, das vor allem deshalb errichtet worden war, weil das Hamburger Stammsiel mit allen Abwässern und Fäkalien oberhalb von Altona in die Elbe mündete.

„Was man außerhalb Hamburgs nicht weiß, ist, daß die Wasser-versorgungsfrage schon seit Jahrzehnten den Gegenstand Jahr um Jahr wiederkehrender Anrufungen an unsere Behörden und Beamten (…)ist und daß, trotz der dringlichsten Mahnungen (…)die Angelegenheit praktisch nicht vom Flecke kommt, auf dem sie vor 20 Jahren stand, als das inzwischen verstorbene Bürgerschaftsmitglied J. F. Martens eine abscheuerregende Probe des von der Stadt gelieferten Trinkwassers in der Bürgerschaft mit den Worten auf den Tisch des Hauses setzte: ,Sehen Sie, meine Herren, das zu trinken mutet der Senat der Bevölkerung zu.‘ Was ist in diesen zwanzig Jahren in Hamburg für die Lieferung eines besseren Trinkwassers an die Consumenten geschehen? (…) Die Bevölkerung hat jetzt tausendfach diese schwere Unterlassungssünde mit dem Liebsten bezahlen müssen, mit dem Leben ihrer Angehörigen!“

„Korrespondenzblatt“, 5. 9. 1892

Das Gängeviertel  um die Niedernstraße war  besonders stark von der Cholera-Epidemie betroffen und wurde später in der Öffentlichkeit als Herd von Unmoral, Schmutz und Krankheit dargestellt. Während der Choleraepedemie, wurden örtlich Gesundheitskommissionen eingesetzt um eine Desinfizierung der Wohneinheiten zu organisieren. In der Altstadt Nord konnten diese Kommissionen hundert Haushalte desinfizieren, mussten bei weiteren 66 Wohnungen allerdings die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen. Im Gängeviertel, in der Niedernstraße, einem Zentrum des Prostitutionsgewerbes, konnten insgesamt nur 5 Wohnungen ohne die Unterstützung der Polizei desinfiziert werden.

1905 wurde den Teilnehmern eines internationalen Kriminologen-Kongresses, der in Hamburg tagte, die Gänge um die Niedernstraße als eines der sogenannten „Verbrecherviertel“ vorgeführt.  Bereits 1890 war es dort, infolge eines Streikes der Gasarbeiter, der einen großen Teil der Stadt in Dunkelheit legte, zu Krawallen gekommen die fast eine Woche andauerten.

Zehn Wochen wütete die Seuche in Hamburg. Hamburg wurde unter Quarantäne gestellt. Schifffahrt und Handel kamen völlig zum erliegen. Die Bilanz: 16.956 Erkrankungen und 8.605 Todesfälle, der wirtschaftliche Gesamtverlust  wurde mit 430,0 Mio Mk  beziffert. Ein Jahr nach der Epidemie, 1893 wurde das Filterwerk Kaltehofe, das bereits seit 1890 in Planung war, in Betrieb genommen und Hamburg bekam eine Müllverbrennungsanlage. Unter dem Eindruck der Choleraseuche und begleitet von Pressekampagnen, die die Gängeviertel als Seuchenherde bezeichneten, konnte der Senat 1898  gegen den Widerstand der Grundeigentümer das „Wohnungspflegegesetz“ verabschieden, das der Stadt die gesetzliche Handhabe für den Abbruch der Gänge und die Neubebauung gab.

http://www.collasius.org/WINKLE/04-HTML/hhcholera.htm

Hafenarbeiterstreik von 1896/7

Nicht die Erfahrungen der Choleraepidemie, sonder der Hafenarbeiterstreik 1896/7 und der Umstand, dass sich während der Unruhen  zeitweise ein Teil der Gängeviertel von Altstadt bis Neustadt dem Zugriff der Obrigkeit entzogen, führte dazu, dass der Hamburger Senat das Stadtplanungskonzept in Angriff nahm, welches die Sanierung ganzer Wohnviertel beinhaltete. Dieses Konzept sah vor Wohnen und Arbeiten zu trennen. Die Arbeiter sollten nicht mehr in der Innenstadt wohnen und diese sollte repräsentativ, als Geschäfts- und Einkaufsviertel aufgewertet werden. In diesem Areal lebten zu dieser Zeit 50 000 Menschen. Bis 1896 waren große Teile der Innenstadt von den Gängevierteln geprägt, bewohnt von der Arbeiterklasse und vielen Tagelöhnern, die darauf angewiesen waren in der Nähe ihres Arbeitsortes, den Hafen, zu wohnen, da die Arbeit (soweit sie das Be- und Entladen von Schiffen betraf) größtenteils auf der Basis von Gelegenheitsarbeit organisiert war. Die neuen Rationalisierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in den 90er Jahren veränderten den Arbeitsmarkt und die soziale Geographie des Hamburger Hafens. So hatte der lange Hafenarbeiterstreik von 1896/7, an dem sich mehr als 16 000 Hafenarbeiter und Seeleute beteiligten – und der eigentlich im Februar 1897 mit einer Niederlage der Streikenden endete, aber später als ein Sieg der Arbeiterbewegung gefeiert wurde – zwar für eine Minderheit der Arbeiter mehr feste Arbeitsplätze zur Folge aber die Arbeitsmöglichkeiten für die vielen Gelegenheitsarbeiter wurden weitgehend reduziert.

Dieser Streik gilt als einer der berühmtesten Konflikte in der Geschichte der Arbeitskämpfe in Deutschland im späten 19.Jh. Kennzeichnend für diesen Streik war, dass weder Sozialdemokraten noch Gewerkschaftler diesen Streik von oben herab organisierten, sondern die Masse der unorganisierten Gelegenheitsarbeiter, die von den Umstrukturierungen im Hafen direkt betroffen waren und überwiegend in den Gängevierteln wohnten. Der Konflikt eskalierte kurz nach dem Ende des Streiks, als Arbeiter im Hafengebiet und in der Neustadt-Süd Streikbrecher angriffen, woraufhin die Polizei im Stil militärischer Konfrontation mit gezogenem Säbel eingriff. Daraufhin lieferten sich mehrere tausend Menschen in den Gängevierteln zwei Tage lang eine erbitterte Straßenschlacht mit den Hamburger Ordnungskräften. In den großen Kämpfen der Hamburger Arbeiterbewegung wurden die Gängeviertel immer wieder zum Schauplatz gewaltsamer, oft tagelanger Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Anwohnern (Steinstraßenunruhen 1890, Schaarmarktkrawalle 1897, Wahlrechtsunruhen und Schopenstehlkrawalle 1906)

Die Reaktion der maßgeblichen politischen Kreise Hamburgs auf den Hafenarbeiterstreik ließ nicht lange auf sich warten. Die Gängeviertel, wurden im Rahmen der einsetzenden Sanierung allerdings nicht schonend saniert, indem man einzelne Häuser wegen dem ungenügenden Lichteinfall abriss und die anderen modernisierte – sondern vollständig abgerissen wobei eine seuchenhygienische Prävention das Hauptargument lieferte, in Wirklichkeit aber innenpolitische Gründe maßgeblich gewesen waren.  Die drei festgelegten Sanierungsgebiete waren die südliche Neustadt, die nördliche Neustadt und die Altstadt. Diese Gebiete umfassten mit ca. 37,9 ha ca. 18% der gesamten Fläche der Innenstadt. Begonnen wurde mit dem Bezirk Neustadt, der häufig überflutet war und während des Hafenarbeiterstreiks 1896 Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen gewesen war. 1906 war das alte Gängeviertel um den alten Fischmarkt und die Niedernstraße aufgrund der Baumaßnahmen bereits sozial und geographisch isoliert.

Ellermeyer Jürgen (Hg.) : 1986, „Stadt und Hafen“, Hans Christians Verlag, Hamburg

Evans Richard J, 1990, “Tod in Hamburg”, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Gröwer, Karin, 1999, , „Wilde Ehen im 19. Jahrhundert“, Dietrich Reimer Verlag, Berlin, Hamburg

Höhns Ulrich (Hg.), 1991, „Das ungebaute Hamburg“, Junius Verlag, Hamburg

Plagemann Volker (Hg), 1984, „Industriekultur im alten Hamburg“, C. H. Beck, München

Schubert Dirk, Hans Harms (Hg.), 1993, „Wohnen am Hafen“, VSA-Verlag, Hamburg

Das Gängeviertel

„Schaute man damals vom Burstah aus in die Richtung  Heiligengeistfeld, so hatte man einen ähnlichen Anblick, wie man ihn heute vor Blankenese hat. Das Land stieg terrassenförmig an und war wegen seiner günstigen Lage, an einem sonnigen Abhang, der aufgehenden Sonne zugekehrt, für Gartenzwecke vorzüglich geeignet. Und diese große Böschung war dann auch ein Gartenviertel der Alt-Hamburger Kaufleute. Vornehme Ziergärten und vor allem Gemüsegärten reihten sich aneinander.(…) War schon vor 1618 manches Gartenhäuschen in eine Notwohnung umgewandelt worden, so stieg die Nachfrage nach bebauungsfähigen Land in den nächsten Jahrzehnten immer gewaltiger. (…) Kein Wunder, dass da auf dem ehemaligen Gartengelände eine lebhafte Bautätigkeit Platz gegriffen hatte, und das die neu erbaute St. Michaeliskirche (1619) gar bald auf ein Meer von Häusern und Häuschen blicken konnte. Denn jedes Fleckchen Erde innerhalb der Festungswälle war begehrter Besitz geworden. Und so schossen an den bisherigen Gartenstraßen die hohen Etagenhäuser mit den dichtgelagerten vielen Fenstern in den Fachwerkwänden nur so aus dem Boden, aber auch die kleineren Etagenhäuser der Gewerbetreibenden reihten sich dicht an dicht, und an alle diese Vorderhäuser, gleichhin ob groß oder klein, schlossen sich überall Hinterhäuser an und machten den alten Gärten bald völlig den Garaus. Was wusste man damals von weitschauenden Bebauungsplänen, was von staatlicher Baupflegekommission! Und so blieben nicht nur die Straßen, wie sie organisch mit den einzelnen Geländeterrassen verwachsen waren und wie wir sie in diesem Stadtgebiet bis auf den heutigen Tag noch finden: schief, krumm  und herabholpernd, jeder Unebenheit des Bodens sich anpassend, es entstanden vielmehr damals überhaupt die „Gängeviertel“ Hamburgs, jene Labyrinthe menschlicher Behausungen bei St. Jacobi und St. Michaelis“

„Vom Gartengelände zum Gängeviertel“, Waldemar Schultz, Hamburger Correspondent Nr. 1, 01.01.1928

„Die Gebäude dieses Stadtviertels sind zum größten Teil Fachwerkgebäude aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die teilweise mit massiven Frontwänden versehen worden sind, deren innerer Bau jedoch die typischen engen Verhältnisse des Hamburger Kleinbürgerhauses jener Perioden zeigt. Wohnhäuser mit reicherer Ausstattung als Zeugen vergangener besserer Zeiten sind kaum anzutreffen, da das Hamburger Patriziat seine alten Wohnsitze mehr in der Altstadt und am Hafen hatte. Die Höfe zeigen eine weitgehende Ueberbauung durch Hinterhäuser in Form der in Hamburg üblichen Buden und Sähle. Alle Gebäude des Gängeviertels leiden in besonderem Maß Mangel an Licht und Luft, da auch die Straßen, wie schon ihr Name Gang andeutet, besonders eng, zum Teil gar nicht befahrbar sind“

Quelle: Hamburger Correspondent Nr.1 1.1.1928,   „Das Hamburger Gängeviertel – Ein sozialer Fremdkörper in der Millionenstadt“  „Ein fragwürdiges Wohnquartier“ von Oberbaurat Peters

Schon 1865 stimmten Physikus Dr. Gernet und Dr. H. Asher die bürgerliche Öffentlichkeit mit ihren Schriften auf eine Sanierungspolitik auf den Grundlagen vermeintlicher sozialhygienischer Prämissen ein, die zuerst auf eine „Durchbrechung des Viertels“ mit großangelegten Straßen setzte.

„Fast ohne jede Ausnahme sind alle Zugänge zu den Quartier mit Bordellen in großer Anzahl besetzt, ja vom Ebräergang und Schulgang, durch Kugelsort, den Brettergang bis zum Ausgang des Rademachergangs, somit quer durch das ganze Gängeviertel zieht sich eine fast ununterbrochene Reihe von Bordellen.“

„Die Durchbrechung des Gängeviertels“ Ein Gutachten von Physikus Dr. Gernet, 1865, Hamburg, Verlag von Hermann Grüning, Seite 4

„ Zunächst hat das gedrängte Zusammenwohnen – es gibt Häuser in denen 25 Familien, Sähle, auf welchen 10 Familien, immer nur durch eine Bretterwand getrennt, beisammenwohnen, zur Folge, dass alles und jedes Schamgefühl schon von frühester Jugend an in den Menschen erstickt wird; Incest ist nichts unerhörtes und jedes Kind sieht es im Vorübergehen mit an, wie ehrlose Dirnen ihr Gewerbe am hellem Tage und auf offener Gasse betreiben. Wo der Mensch in dieser Weise von Jugend an jedes Schamerröthen verlernt, wo er an den täglichen Anblick viehischer Begierden und der widerlichsten Völlerei in den stets offenen Branntweinschenken gewöhnt wird, wo sind da noch die Tugenden zu erwarten, welche der Staat in seinen Bürgern zu erziehen suchen muß (…) Eine fernere Folge dieser unsittlichen Verhältnisse sind die zahllosen wilden Ehen, deren nachteiligen Folgen sich dann wieder nicht bloß im sittlichen, sondern auch im bürgerlichen Leben zeigen. Die Kinder aus solchen Ehen werden häufig nicht getauft, entziehen sich dann umso leichter aller späteren Aufsicht durch die Schule und endlich auch ihren Verpflichtungen gegen den Staat.“

„Das Gängeviertel und eine Möglichkeit dasselbe zu durchbrechen“ von Dr. H. Asher, 1865, Hamburg, Verlag von Hermann Grüning, Seite 6

Im gleichen Jahr in dem die Publikationen aus denen die Zitate stammen, veröffentlicht wurden – 1865 – wurden mit einer längst überfälligen Gesetzesreform die Eheschließung sowie das Betreiben eines selbstständigen Gewerbes von dem Erwerb des Bürgerrechts befreit. Vormals waren die Möglichkeiten der Eheschließungen für die einfache hamburgische Bevölkerung stark eingeschränkt. Seit 1813 mussten sie, anstatt einen Taler für die Schutzverwandtschaft zu zahlen, als Vorraussetzung das Kleinbürgerrecht erwerben, dem seit 1805 eine gründliche Untersuchung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse vorgeschaltet war. Der Antragsteller musste das 22 Lebensjahr vollendet haben, durfte der Polizei nicht negativ aufgefallen sein und musste Mitglied des hamburgerischen Bürgermilitärs sein oder vom denselbigen Dienst befreit, bzw. freigekauft sein. Dies bedeutete für den Betreffenden den Kauf einer Uniform und eines Gewehrs, sowie das Ableisten von Exerzierübungen, die sich mit Kosten in Höhe von mindestens 75 Mk. Crt. niederschlugen. Zusätzlich musste ein Bürgergeld in Höhe von 40 Mk. Crt gezahlt werden. Für den Erwerb des Kleinbürgerrechtes als Vorraussetzung für die Heirat waren also insgesamt über 100 Mk. Crt. zu entrichten. Diese Kosten waren für die ärmere Bevölkerung Hamburgs kaum aufzubringen. Die durchschnittlichen jährlichen Lebenserhaltungskosten für einen einfachen Arbeiter lagen zwischen 320-360 Mk. Crt.. Der Jahreslohn eines Maurer oder Zimmermannes lag zwischen 430-450 Mk. Crt., der eines Straßenbauarbeiters zwischen 230-280 Mk. Crt. Aufgrunddessen wichen viele Heiratswillige in die Vorstädte aus, wo sie weiterhin problemlos die Schutzbürgerschaft erwerben konnten um dann heiraten zu können. – oder sie lebten in sogenannten wilden Ehen zusammen. Die wilden Ehen waren in den städtischen Unterschichten der damaligen Zeiten weit verbreitet und akzeptiert. Die obrigkeitlichen Beschränkungen und die ökonomischen Zwänge wurden nicht einfach hingenommen, sondern führten in Hamburg über den Zeitraum mehrerer Generationen hinweg, trotz Strafandrohung und evtl. Strafverfolgung (Hebammen und Ärzte hatten beispielsweise eine Anzeigepflicht bei unehelichen Geburten), zu der Herausbildung dieser gemeinschaftlichen Lebenspraxis. So verlor für die einfache Bevölkerung der bürgerlich-kirchliche Akt der Eheschließung die absolute und konstituierende Bedeutung für das Familienleben, die Obrigkeit und Kirche auch in den unteren Schichten verankert wissen wollten.

Gröwer, Karin, 1999,  „Wilde Ehen im 19. Jahrhundert“, Dietrich Reimer Verlag, Berlin, Hamburg

Bereits vor 1900 wurde die Wexstraße(1866), benannt nach den Brüdern Wex, die durch einen großangelegten Immobilienaufkauf den Bau dieser Straße ermöglichten, durch das ursprüngliche Viertel getrieben. Der Aufteilung des Gängeviertels durch den Bau der Wexstraße folgte Ende der 80er Jahre der Durchbruch Admiralitätsstraße – Fuhlentwiete und bald darauf die Anlegung des Straßenzuges Stadthausbrücke – Kaiser-Wilhelm-Straße. (1888) Nach der Choleraepedemie von 1892 und dem fünf Jahre späteren großen Hafenarbeiterstreik beschloss der Hamburger Senat eine rigorose Abbruch-Sanierung. Zuerst wurden die Hafen-Gängeviertel der Neustadt Süd dem Erdboden gleichgemacht. Dies umfasste das Gebiet um die St. Michaelis-Kirche und den Niederhafen (Kraienkamp, Schaarmarkt, Eichholz, Hafentor) Die Altstadt-Ost mit der Lilienstraße, Messberg und dem Schweinemarkt, musste ab 1908 dem Bau der Mönckebergstraße und den Kontorhausbauten weichen. Für den Bau der Mönckebergstraße kaufte der Hamburger Senat 178 Grundstücke im Gesamtwert von 29 Millionen Mark auf. Insgesamt 7950 Bewohner der alten Gänge mussten umgesiedelt werden.

Quelle: Hamburger Fremdenblatt, Sonderbeilage, 318 AB, S.9,  15.11.1924

Da wo heute das Chilehaus den vorbeifahrenden Touristen als architektonische Meisterleistung präsentiert wird, war früher dichtbesiedeltes Wohngebiet. Viele der Bewohner wurden in die neu entstehenden Mietskasernenviertel umgesiedelt während sich ein Teil des spezifischen Milieus in die letzten Gängeviertel der nördlichen Neustadt zwischen Valentinskamp und Großneumarkt und nach St. Pauli verlagerte. Unter der Regie von Fritz Schuhmacher (seit 1909 Leiter des Hochbauwesens, seit 1923 Oberbaudirektor) entstanden in den Jahren 1924-1929 um das ältere Hamburg herum ein Gürtel funktionaler Großsiedlungen um Klinkerbaustil wie die Jarrestadt (1929) und die Dulsberg-Siedlung (1930). Die Wohneinheiten, größtenteils Zwei- und Dreizimmerwohnungen waren hell weil es keine engen Höfe mehr gab, hatten alle Küche und Bad, waren gut zu durchlüften und lagen allesamt in Grünanlagen.

Das Chilehaus wurde 1923/4 vom Architekten Fritz Höger erbaut.  Der Bauherr war der Hamburger Reeder Slohmann, der u.a. durch den Salpeterhandel mit Chile (zu militärischen Zwecken) zu Reichtum gekommen war.

Neben dem größtenteils passiven und manchmal gewalttätig aufflammenden Widerstand der betroffenen Bevölkerung gegen diese Sanierungspolitik, gab es auch im bürgerlichen Lager kritische Stimmen, dessen bekanntester Vertreter wohl Alfred Lichtwark(1852 – 1914) war,  der die Niederlegung der Gängeviertel als einen schweren Fehler anprangerte. Erbittert prägte er das Wort von der „Freien und Abrißstadt Hamburg“. Er schrieb 1912:

„Wohl keine Kulturstadt der Welt hat je eine solche Selbstzerstörungslust entwickelt wie Hamburg. Hamburg hätte die Stadt der Renaissance sein können, des Barocks und des Rokoko – doch all diese Schätze wurden stets begeistert dem Kommerz geopfert. An die Stelle barocker Wohnhäuser wurden neubarocke Kontorblocks getürmt und noch immer ist jeder Neubau ein Schlag ins Gesicht der Stadt.“

(Zitat aus: Eckart Klessmann, Geschichte der Stadt Hamburg. Hamburg 1981, S. 52.)

Alfred Lichtwark,  langjähriger Direktor der Hamburger Kunsthalle, war auch Namensgeber der 1920 eröffneten Lichtwarkschule, die 1924 in das von Fritz Schuhmacher erbaute Schulgebäude einzog. In der Weimarer Republik galt diese Schule als eine weit über die Stadtgrenze Hamburgs hinaus bekannte Reformschule und hat in jenen Jahren ganz wesentliche Impulse und Wirkungen für Schulreformen in Berlin und Umgebung erzeugt. Während die anderen Reform- und Versuchsschulen alle Volksschulen waren, war die Lichtwarkschule eine Schule des höheren Schulwesens. Das war eine Ausnahmeerscheinung. Insgesamt zählt die schulgeschichtliche Forschung für das gesamte Deutsche Reich in der Weimarer Zeit nur fünf solcher Institutionen. Die Einrichtung wurde 1937 von den Nationalsozialisten aufgelöst und nach Ende des Krieges nicht wiederbelebt. Das Gebäude wird seitdem von der Heinrich-Hertz -Schule genutzt.

1910 kam Paul Bröcker* zum Thema Gängeviertel in einer Artikelserie über die Städtebauaustellung in Berlin, in welcher er „ das in siedlungs-künstlerischer Hinsicht so interessante Gebiet zwischen Alster, Steinweg und Valentinskamp mit den modernen Mietskasernenvierteln in Barmbek, Uhlenhorst, Rothenburgsort, usw.“ vergleicht, zu einer ganz anderen Einschätzung als der Hamburger Senat und die Baudeputation. So stellt er, u.a. durch einen Rückgriff auf das vom Medizinalkollegium bei Leopold Voß in Hamburg erschienene Buch „Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 19. Jahrhundert“ fest, dass die Bevölkerung der Gängeviertel  in puncto Einkommensverhältnisse, Geburten- und Sterbezahlen und der Säuglingssterblichkeit, weitaus besser gestellt war als die der modernen Mietskasernen mit ihren breiten Straßen und übersichtlichen Hinterhöfen.

*Quelle: „Das Hamburger Gängeviertel in sozialhygienischer Beziehung“ Hamburger Fremdenblatt, Nr.193, Seite 7, 19.8.1910

Vom Cholerajahr 1892 (582.566; 1900=705.738) hatte sich die Einwohnerzahl Hamburgs innerhalb von 21 Jahren bis 1913 auf 1.030.933 fast verdoppelt. Die Abnahme der Wohnbevölkerung im Stadtzentrum und die  Zunahme „tertiärer Nutzungen“ wurde bereits damals in der zeitgenössischen Literatur vor dem 1. Weltkrieg als „Citybildung“ bezeichnet. Die Wohnbevölkerung innerhalb der City ging von 170.875 (1880) auf 139.221 (1900) und 91.084 (1913) zurück, das entspricht einem Rückgang um fast die Hälfte. Für die in den neuen Mietskasernen einquartierten Arbeiter betrugen die Entfernungen zum Arbeitsplatz im Hafen von Eimsbüttel 6 km, Barmbek 10 km und Hammerbrook 5 km. Entfernungen, die zwei Mal am Tag zurückgelegt werden mussten. In den drei Stadtteilen wohnten allein ca. 26.000 Hafenarbeiter. Für die Masse der unständigen Hafen- und Gelegenheitsarbeiter war es ein grundlegendes Bedürfnis in einem zum Hafen zentral gelegenen Wohnviertel Unterkunft zu finden. Hafenarbeit war im 19.Jh. noch weitgehend Gelegenheitsarbeit, längere Perioden der Arbeitslosigkeit gehörten wegen der kurzfristigen Arbeitsverhältnisse und der Überfüllung des Arbeitsmarktes zum Alltag der Beschäftigten. Sie waren deshalb darauf angewiesen die Arbeitsvermittlungsstellen so schnell und häufig wie möglich erreichen zu können, ohne dabei die teuren (seit 1866) öffentlichen Verkehrsmittel benutzen zu müssen.

Bis zum ersten Weltkrieg erfolgten im Sanierungsgebiet der nördlichen Altstadt keine Maßnahmen. Während des Zeitraumes der Weimarer Republik wurde das Sanierungsprojekt Gängeviertel/Neustadt nicht weiter verfolgt. Mit der Weltwirtschaftskrise wurde der Spielraum der öffentlichen Finanzen stark eingeschränkt und die Finanzdeputation sah sich außerstande, Grundstücksankäufe in größerem Umfange zu tätigen.

Nach 1933 erhielt die Diskussion um Stadtsanierung neben den bisherigen wohnungs-reformerischen Argumenten eine neue ideologische bevölkerungs- und sozialpolitische Bedeutung und Aktualität. Die rasche Inangriffnahme des Sanierungsprojekts Neustadt/Gängeviertel durch die Nationalsozialisten hatte vor allem auch politische Gründe. 1930 hatte der Chef der Hamburger Ordnungspolizei die damalige Situation im Viertel wie folgt dargestellt:

„Die wirkliche Beherrschung des Gängeviertels durch die Polizei verlangt einen so hohen Einsatz von Kräften, wie er auf die Dauer nicht gestellt werden kann. Es liegt auf der Hand, daß das Gängeviertel bei seiner heutigen Gestalt …zu einer außerordentlich ernsten Gefahr für die Sicherheit des Staates und der gesamten Bevölkerung wird, wenn es dort zu wirklichem, bewaffnetem Aufruhr kommt.“

(zitiert nach Grüttner M., „Soziale Hygiene und soziale Kontrolle. Die Sanierung des Hamburger Gängeviertels“ in Herzig A. „Arbeiter in Hamburg“ S. 359)

Bezeichnenderweise wurde als Kommissar für die Sanierung dieses Gebietes, welches einen hohen Anteile an kommunistischen Wählergruppen hatte, der Polizeisenator Hamburgs eingesetzt, der die Aufgabe mit großer Energie anfasste.  Bauträger der Sanierungsmaßnahme waren der Bauverein zu Hamburg, die Deutsche Schiffszimmerergenossenschaft, die Gemeinnützige Baugenossenschaft deutscher Arbeiter sowie die Baugenossenschaft Sorbenstraße.

„Schon seit Jahren hat man über die Sanierung des Gängeviertels beraten, ohne daß man praktisch diese für die Gesundheit und die öffentliche Sicherheit so wichtige Maßnahme in Angriff genommen hat.(…) Betroffen werden von dieser Sanierung etwa 12 000 Personen. (…) Wirtschaftliche Entwicklung im Zusammenhang mit politischen Einflüssen haben dann dieses Gängeviertel auch zur Hochburg des Kommunismus gemacht, der an sich ja bei uns erst eine Erscheinung der Nachkriegszeit ist. Wir wissen, daß in den mannigfachen Unruhe-Perioden des letzten Jahrzehnts gerade dieses Viertel zu beiden Seiten der Wexstraße das Operationsgebiet der aufruhrschürenden Moskauer Sendboten gewesen ist, die in großen Teilen der Bevölkerung auf ein williges Ohr trafen, da sich in dieses Wohnviertel im Laufe der Zeit mehr und mehr auch die sozial am schlechtesten gestellten Bevölkerungsschichten mit Rücksicht auf die Billigkeit der Wohnungen zurückgezogen hatten.“(…) Der Ausschnitt (des Stadtplans) zeigt deutlich das feinädrige Gewirr der ganz regellos angelegten Gänge und Höfe, in denen die Polizei ein ganz besonders schwieriges Gelände hatte. Bezeichnend für den eigenartigen Charakter ist, daß die Polizei bei ihrer Arbeit auf diesem Felde weniger von den Maschinengewehren Gebrauch machte, für die es an den Voraussetzungen des Schußfeldes fehlte, als von der unblutigsten Waffe des Polizeieinsatzes, dem Scheinwerfer, der mit seiner Blendwirkung jeden bewegungsunfähig macht, der in sein Lichtfeld tritt.“

Hamburger Fremdenblatt  „Das Hamburger Gängeviertel verschwindet“ 25.04.1933

Die räumliche Situation der dichten Bebauung und der engen Gassen ist heute nur noch bei den Krameramtsstuben, ein 1676/77 gebauter Witwenstift, zu erfahren. Ein vollkommen überlaufener Touristenanziehungspunkt in direkter Nähe zur Michaeliskirche und ansatzweise bei den letzten Häuserzeilen des Gängeviertels, die man nicht abgerissen hat, weil sich dort das Elternhaus und die Geburtsstätte des bekannten Komponisten Johannes Brahms befindet. Als Projekt der Stiftung Denkmalpflege wurden die dortigen Fachwerkhäuser im Bäckerbreitergang, von 1980 bis 1984 restauriert. Die Reste dieses Quartiers zwischen Valentinskamp, Caffamacherreihe und Bäckerbreitergang sollten, in Kombination mit mehreren Neubauten, für 35 Millionen Euro nach dem Vorbild der Hackeschen Höfe, der Touristenattraktionen Berlins, aufwendig saniert und restauriert werden. Durch die Wirtschaftskrise verzögerten sich diese Pläne und sind inzwischen auf Eis gelegt. Ende 2009 wurde das Areal von der Künstlerinitiative „Komm in die Gänge“ besetzt, die dort seitdem Ausstellungen, Konzerte, etc. organisieren und die dort ein Mischkonzept von Wohnen, Ateliers und Veranstaltungsorten realisieren wollen. Die Stadt Hamburg duldet die Besetzung und scheint an einer Vertragslösung mit der Initiative interessiert zu sein.

Interessante Historische Kriminalromane in Bezug auf Hamburgs Bau- und Zeitgeschichte sind die des Kunst- und Bauhistorikers Boris Meyn (Der Tote im Fleet, Der eiserne Wal, die rote Stadt und Der blaue Tod /rororo – Taschenbuch), die im Zeitraum 1840 – 1884 spielen und fundiertes historisches Wissen in die Romanhandlung mit einfließen lassen. Sowie die historischen Romane von Ronald Gutberlet alias Virginia Doyle, bzw. alias Robert Brack. Eine St. Pauli-Trilogie (Die rote Katze,  Der gestreifte Affe und Die schwarze Schlange / Heyne), die in dem Zeitraum 1890 – 1940 angelegt ist.

„Wie in anderen deutschen Ländern hat auch in Hamburg die nationalistische Staatsführung für einen Teil der in Schutzhaft genommenen politischen Gegnern, deren Vorleben, Stellung oder Haltung nach dem Umschwung sie irgendwie als bedrohlich erscheinen ließ, ein sogenanntes Konzentrationslager eingerichtet. Man hat sie aus dem unmittelbaren Bereich der Gefangenenanstalten herausgenommen und in einem – der Name ist wohl richtiger und läßt keine solchen, aus den berüchtigten Konzentrationslagern unserer Gegner im Weltkrieg hergeleiteten Vorstellungen aufkommen – Arbeitslager untergebracht. Es befindet sich in Wittmoor, nur etwa drei Viertelstunden entfernt von der Hochbahn-Endstation Langenhorn und dem bekannten Ausflugsziel Ochsenzoll. (…) Der Besucher des Konzentrationslagers Wittmoor ist überrascht, wenn er plötzlich am Lagereingang steht, den er sich ganz anders vorgestellt hat.Ein einfacher Drahtzaun, wie er auch sonst Grundstücke abgrenzt, dahinter in einem weiten Hof eine alte „Brikettfabrik“. Das ganze im schimmernden Grün des ländlichen Frühlings, links und rechts davon saubere Wohnhäuser der Bevölkerung, dahinter weite Torfflächen, übersponnen mit Heide, durchzogen von grünen Knicks. Ein in der Frühlingssonne doppelt freundlicher Fleck Erde. (…) Anfang April dieses Jahres wurde das Konzentrationslager eingerichtet. Die ersten 20 Schutzhäftlinge räumten den Schutt beiseite, der in dem verfallenen Gebäude meterhoch lag, zogen Wände und Decken, tischlerten, mauerten und richteten die alte Fabrik für eine Belegschaft von 100 Häftlingen (später 250) und das Bewachungs-kommando her. Unter Führung von Zugwachtmeister Ziefemer wird zielbewußt gearbeitet. Ihm zur Seite stehen 5 Polizeibeamte und 36 SA-Männer als Hilfspolizisten. (…) Es handelt sich fast durchweg um Kommunisten, nur ein geringer Teil sind Sozialdemokraten; sie haben sich alle hochverräterischer Umtriebe, oft in Verbindung mit Schießereien und unbefugten Waffenbesitz schuldig gemacht.(…) es muß stramm gearbeitet werden 6 Uhr morgens wird geweckt, dann heißt es sich waschen und Betten und Zimmer in Ordnung bringen. Von 7 bis 8 Uhr ist Frühstückspause. Dann geht es hinaus ins Moor zum Torfstechen, und in dem Gefühl produktive Arbeit zu leisten, liegt der größte erzieherische Wert des Lagers, der zugleich auch ein gesundheitlicher ist.“

Hamburger Fremdenblatt „Im Konzentrationslager Wittmoor“ 26.05.1933