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Der Mythos St. Pauli – Erinnerung und Gegenwart

„Wo sind die Singspielhallen? Wo die Vergnügungspaläste, die lustigen Schießstände, die unverfälschten Kneipen in den Seitenstraßen, die lebensgefährlichen, dürftig beleuchteten Straßenecken, wo aus finsteren Hausfluren plötzlich ein Mensch mit vorgehaltenem Revolver auftauchte? Im Film mag es dergleichen noch geben, wie es für die Lichtbildindustrie noch immer die malerischen Montmatre-Keller, für den Feuilletonismus noch immer die großmütigen, hitzigen und überaus farbig bekleideten Pariser Apachen gibt. – Die Tatsachen sehen ein wenig anders aus. (…)  Das alte St. Pauli, das St. Pauli von vorgestern, stirbt völlig aus, das neue St. Pauli, das amerikanisierte, pariserisch durchblutete St. Pauli, St. Pauli von übermorgen, gewinnt von Tag zu Tag an Boden. Eine der seltsamen Kneipen nach der anderen, wie das eigenartige „Museum“ mit hängenden Fischen, dem Embryo eines Urmenschen in Spiritus und tausendfachen echten und imitierten Dingen aus allen Herren Ländern, die fabelhaft mit Stimmung geladenen Negerkneipen, die Treffpunkte der ansässigen „Ganoven“, wie der berüchtigte Fuchsbau, alle diese werden entweder von einer modernisierten Betriebsamkeit mit  Stumpf und Stiel verschlungen, oder für die Bädeckerreise auffrisiert. Die Straßenbeleuchtung wird besser, jagende Autos schießen über den Hamburger “Boulevard de Montparnasse“ , schlicht bürgerliche Bierrestaurants, gemütliche Kaffeehäuser, hie und da eine nette Winkneipe mit undenkbar niedrigen Preisen, Oberbayernrummel, Kinopaläste, stimmungsgeladene Ballhäuser, noch ein Hippodrom, aber auch schon modernisiert –  so sieht heute die Reeperbahn aus.“

Quelle: Hamburgischer Correspondent Nr. 445Mo, 3.Beilage, Seite 1 / 26.9.1926  „Das sterbende St. Pauli“

Hamburg und St. Pauli nach 45 bis in die 50er

Bei Kriegsende offenbarte sich die Bilanz des totalitären Naziregimes: Die Zahl der in Hamburg lebenden Juden sank von ca. 22.000 Mitte der Zwanziger Jahre auf etwa 700 bei der Befreiung 1945.  Man geht davon aus, dass ca.10.000 Hamburger Juden durch Auswanderung entkamen.

Ehemalige jüdische Unternehmen die „arisiert“ wurden:    Modehaus Hirschfeld (Neuer Wall, bis 1938, danach „Fahning“), Modehaus Robinsohn (Neuer Wall), Kaufhaus Tietz (Jungfernstieg, später Alsterhaus), Optikgeschäft Champbell (Jungfernstieg), Bankhaus Warburg, Bucky-Kaufhaus (Eimsbüttler Chaussee), Kaufhaus Schäfer (Bergedorf). – Die Aufzählung ist ganz gewiss nicht vollständig.

Im KZ Neuengamme fanden zwischen 1938-1945 etwa 55.000 Menschen den Tod. Bei Kriegsende war Hamburg eine der am stärksten zerstörten Städte Deutschlands, die Hälfte des Wohnraums war vernichtet, nur 20 % blieben unbeschädigt. Der Hafen, der Motor der Hamburger Wirtschaft,  war zu 80 % zerstört, es fand weder Import- noch Exporthandel statt, und den Werften war der Schiffbau bis 1951 untersagt.

Durch  Zuwanderung stieg Hamburgs Bevölkerungszahl von 1945 bis Ende 1947 um 500.000 auf 1,5 Millionen. 1948 lebten rund 200.000 Menschen in Notunterkünften, viele davon in Nissenhütten aus Wellblech. (In den 1950er Jahren galt Hamburg als „Hauptstadt der Vertriebenen“, noch 1954 lebten 275.000 Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten in Hamburg.) Wer nur auf die Lebensmittelkarten angewiesen war, existierte von den amtlichen Rationen. Das waren 1945 knapp 1200 Kalorien pro Tag. Im Winter 1945/6 standen Brennmaterialien zum Heizen nicht zur Verfügung. Die Strom- und Gasversorgung wurde stark rationiert. Die Menschen begannen  sich Brennmaterial auf Vorrat zu besorgen – durch Plündern von Kohlenzügen und Abholzen in den Wäldern und an den Straßen. Zentren des Schwarzhandels waren der Großneumarkt, der Goldbekplatz und der Hansaplatz in St. Georg. Insbesonders auf St. Pauli, auf der Reeperbahn, vor allem der Talstraße bis hin zum Pferdemarkt, entwickelte sich bereits 1944 einer der größten Straßenschwarzmärkte Hamburgs. Dort konnten alle Lebensmittel und andere Waren, die sonst nirgendwo zu bekommen waren, erworben werden. Zwischen den Bordellen und den Absteigen bestanden Verbindungen zum Schwarzmarkt, insofern, dass sich dieser teilweise in die Bordelle verlagerte und die Prostituierten ihrerseits auf dem Straßenmarkt tätig waren. So war es üblich, dass bis zur Währungsreform in den Bordellen zu Schwarzmarktpreisen abgerechnet wurde. Ein wesentlicher Teil der Geschäfte wurde im Tausch oder gegen Tabakwährung abgewickelt. Eine Zigarette, der sogenannte „Ami“ hatte  einen Gegenwert von 6 bis 20 RM. Der Bruttoverdienst eines männlichen Arbeiters betrug 1946  42 RM wöchentlich. Ein Kilo Butter konnte auf dem Schwarzmarkt bis zu 500 RM kosten, ein Dreipfundbrot 20 RM, ein Pfund weißer Zucker 80 RM und ein Pfund Fleisch 60RM. Immer wieder riegelten britische Militärpolizei und deutsche Schutzpolizei bei Razzien ganze Straßenzüge ab,(allein im März 1946 wurden 150 Razzien durchgeführt) ohne den schwarze Markt nennenswert eindämmen zu können. Erst die Währungsreform von 1948, mit der die D-Mark eingeführt wurde, leitete den Niedergang des Schwarzhandels ein. Über Nacht stand ein umfangreiches Angebot von Waren, die bis dahin gehortet worden waren, in den Regalen.

Die Militärregierung genehmigte bereits 1945 die Gründung von Gewerkschaften und die Bildung von vier politischen Parteien. Es entstanden die SPD, die FDP, die CDU und die KPD. 1946 finden in Hamburg die ersten freien Parlamentswahlen seit 1932 statt: Aus ihnen geht die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) als Sieger hervor; neuer Erster Bürgermeister wird Max Brauer. 1952 wird die bis heute gültige Verfassung Hamburgs beschlossen, das seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland (1949) ein selbständiges deutsches Bundesland ist. 1952 wurde der 100.000. Wohnungs-Neubau eingeweiht und Hamburg entwickelte sich mit dem Wiederaufbau  neben der traditionellen Rolle als Hafen- und Handelsstadt, auch zu einem Medienstandort. Wichtige Verlagshäuser ließen sich in Hamburg nieder : der Alex-Springer-Verlag, und der Heinrich Bauer-Verlag. Das Magazin „Der Spiegel“ war seit 1952 in Hamburg ansässig, das Wochenmagazin „Die Zeit“ hatte seit 1946 eine Lizenz, ebenso die Illustrierte „Stern“. Außerdem wird Hamburg zum Hauptsitz des NDR und zu einer Dependance der Schallplattenindustrie und erhält mit dem Studio Hamburg eine wichtige Filmproduktionsstätte.

1965 entstand das Verlagshaus „Gruner&Jahr“ aus einem Zusammenschluss der Verleger John Jahr („Brigitte“, „Capital“) und Gerd Bucerius („Die Zeit“, „Stern“) mit dem Druck- und Verlagshaus von Richard Gruner. Seit 1976 hält die Bertelsmann AG über 70% der Anteile.

Für die damalige Stadtplanung stellten die Kriegszerstörungen der Operation „Gomorra“ von 1943 die entscheidende Zäsur dar.  Der Generalbebauungsplan von 1947, wie auch die Aufbaupläne von 1950 und 1960 sahen keine grundlegende Rekonstruierung der historischen Stadtstruktur vor, sondern richteten sich nach städtebaulichen Leitbildern, die im Funktionalismus und in der Moderne verhaftet waren und die großflächigen Abriss und  die Auflösung der vorhandenen Bau- und Raumstruktur bedeuteten. Die Stadtplanung nahm die Grundzüge der Bebauungspläne von 1941 und 1944 auf. Deren Zielvorgabe war eine aufgelockerte funktionale Stadt mit geringerer Wohndichte und vielen Grünanlagen. Zu Beginn der 50er Jahre hatten in der Innenstadt noch knapp 25.000 Einwohner gelebt. 1964 hatte sich diese Zahl annähernd halbiert. Wohnungen waren in Büroraum umgewandelt und Schulen geschlossen worden. Anfangs der 1950er Jahre wurde die seit 1940 geplante Ost-West-Straße durch die ehemalige Kernstruktur der Altstadt gelegt und beim Wohnungsbau in Hamburg  galt die Praxis, das alle Gebäude, die vor 1918 gebaut worden waren, prinzipiell zum Abriss freigegeben waren. Während Wohnanlagen aus der Weimarer Republik wiederaufgebaut wurden, riss man Gebäude aus dem 19. Jahrhundert massenhaft ab oder machte keine Anstalten sie zu erhalten.

Am Elbufer zwischen den Landungsbrücken und Altona sahen die nationalsozialistischen Pläne, entwickelt vom Architekten Konstanty Gutschow, den Abriss sämtlicher Altbauten vor um an dessen Stelle ein monumentales Gauzentrum mit einer 250m hohen Skyline und einer Versammlungshalle für 50.000 Menschen zu errichten. Diese Planungen wurden 1942 wegen der Kriegsereignisse abgebrochen. Im Zuge der Vorplanung zu Gutschows Elbufergestaltung wurde der Grund und Boden im entsprechenden Gebiet von der Stadt aufgekauft. Auch wenn das Projekt nicht realisiert wurde, waren die neuen Besitzverhältnisse prägend für die spätere Entwicklung. Der zugrundeliegenden Idee, soziale Brennpunkte durch Abriss und Neubebauung aufzulösen, bzw. zu entschärfen, wurde weiterhin nachgegangen, was sogar noch die Sanierungspolitik der 70er- und 80er Jahre deutlich dokumentiert. Um für die City-Bebauung freie Hand zu haben, erklärte die Stadt weite Flächen in der Stadt zu „Untersuchungsgebieten“, in denen zu prüfen sei wie sie in Zukunft genutzt werden sollen. Solange keine Ergebnisse zustande kamen, bestand „Planungsunsicherheit“. Ein Umstand der viele Hausbesitzer davon abhielt in die Häuser zu investieren um notwendige Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. So wurde der Abriss ganzer Quartiere vorbereitet, dessen Häuser dann für „unbewohnbar“ erklärt werden konnten. Fast ganz St. Pauli war eines dieser „Untersuchungsgebiete“.

St. Pauli und Teile von Altona Altstadt blieben von den Zerstörungen des 2. Weltkrieges weitgehend verschont, aber das dicht besiedelte Grenzgebiet zu Sankt Pauli zwischen Nobistor und Allee, Holsten- und Große Elbstraße und der angrenzenden Altonaer Altstadt war nach dem Krieg ein großflächiges Ruinenfeld. Das Quartier, das bereits der Obrigkeit in der Weimarer Zeit wegen seiner politisch wie sozial kaum kontrollierbaren Bevölkerungsmischung ein Dorn im Auge war, wurde nach Kriegsende nicht wieder aufgebaut. St. Pauli hat die Bombardements des 2. Weltkrieges relativ gut überstanden, hat aber weder an die Operetten- und Theaterkultur, die bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme bestand, noch an die Varietekultur der 20er Jahre, wieder anknüpfen können. Der Kultur von Tanz, Gesang und Striptease war unter den Sittenwächtern der 50er Jahre kein öffentlicher Raum gegeben und verschwand im Dunstkreis von überteuerten Preisen und  Nepp in den Hinterzimmern.

Die Staatsoper die trotz Kriegsschäden ihren Spielbetrieb bereits 1946 eröffnete, das Schauspielhaus, das Thaliatheater und die Konzerte in der Musikhalle dominierten die Hamburger Kulturlandschaft in den 50er Jahren. Daneben gab es die Kammerspiele (1945 von Ida Ehre eröffnet), das Junge Theater (1951) das seinen Sitz an der Neuen Rabenstraße hatte und 1957 nach Barmbek umzog (seit 1973 Ernst Deutsch Theater), das Theater im Zimmer (1948), das Altonaer Theater und das theater 53 das bis 1958 seinen Sitz in einem der Flakbunker auf dem Heiligengeistfeld hatte.

Viele Gebäude am Spielbudenplatz waren ein Opfer der Bomben, die Tanzbetriebe und Theater entlang der Reeperbahn vom Zirkusweg bis zur Großen Freiheit waren größtenteils zerstört. Einzig das St.Pauli Theater blieb praktisch unbeschadet, dort wurde im August `45 das Stück „Zitronenjette“ aufgeführt, über eine schlagfertige Zitronenverkäuferin in den Kneipen des Hafens, die bereits 1940, während des Nationalsozialismus, eine populäre Theaterprotagonistin war. Im Juli 1945 erhielten 10 Hamburger Kinos eine Betriebsgenehmigung und ab Dezember 1945 waren bereits 5 Tanzlokale und Kabaretts auf St. Pauli wieder geöffnet, darunter die „Jungmühle“ und das „Hippodrom“ in der Großen Freiheit. Der erste Dom fand 1946 auf dem Spielbudenplatz statt. Das Operettenhaus und der Trichter wurden in funktionaler Architektur wiederaufgebaut. Das Operettenhaus eröffnete 1953. Der Trichter wurde bis 1958 betrieben, dann entstand an dessen Stelle ein Bowlingcenter.

Ab Oktober `45 war der Film „Die Große Freiheit Nr. 7“ mit Hans Albers in der Hauptrolle in Hamburg zu sehen. Der Film war das Ereignis. Die Menschen standen in langen Schlangen vor den wenigen, geöffneten Kinos. Karten, die regulär 3 RM kosteten, wurden von Schwarzmarkthändlern für bis zu 300RM gehandelt. „Die Große Freiheit Nr. 7“ vom Regisseur Helmut Käutner, 1943 gedreht, war zu dieser Zeit einer der ersten deutschen Farbfilme und galt den Nationalsozialisten als offizielles Prestigeprojekt. Ein Großteil des Films wurde in nachgebauten Kulissen in Babelsberg und später, wegen der Bombardements, in Prag gedreht. Bei den Außenaufnahmen in Hamburg durften keine zerbombten Häuser gezeigt werden – und auf noch etwas achtete der Regisseur – bei allen Hafenaufnahmen ist auf den Schiffen keine einzige Hakenkreuzfahne zu sehen. Die Uraufführung erfolgte Ende 1944 im Ausland, in Schweden, Dänemark und in der Schweiz,. In Deutschland wurde der Film trotz wiederholter Umarbeitungen nicht aufgeführt. Erst im September 1945 wurde der Film von den Alliierten in West-Berlin freigegeben.


Eine mit Hans Albers vergleichbare Popularität erlangte Freddy Quinn in den 50er Jahren. Er trat ab 1951 als Liedersänger mit Gitarre in St. Pauli in der Washingtonbar (Bernhard-Nocht-Straße 75) auf und wurde dort 1954 von Talentsuchern der Firma “Polydor” entdeckt und unter Vertrag genommen. Er wurde, mit über 1000 Titelaufnahmen und über 60 Millionen verkauften Tonträger, einer der erfolgreichste Schlagersänger der Nachkriegszeit  und spielte auch in einigen Filmen mit. So in „Heimweh nach St.Pauli“(1951), wo Jayne Mansfield in einer Gastrolle zu sehen ist und in „Freddy, die Gitarre und das Meer“ von 1954, mit einem Dreh in der Kneipe Onkel Otto(Bernard-Nocht-Str./Balduintreppe)

Die filmische Tradition des russisches Produktionsbüro (Goskino) aus der Weimarer Zeit, wurde noch nach dem Krieg von „Realfilm“ (Vorgänger der Trebitsch-Filmproduktion, größtenteils sowjetisch finanziert)mit anspruchsvollen Literaturverfilmungen bis zur deutschen Teilung wiederbelebt. Die St. Pauli-Filme hatten sich ihrerseits zum eigenen Genre entwickelt. Etliche Hans-Albers-Filme, von „Der Draufgänger“ (1931, R. Richard Eichberg) und „Auf der Reeperbahn Nachts um halb eins“, bis zum „Herz von St. Pauli“ (1957, R. Wolfgang Liebereiner) spielten im Milieu. Ein sehenswerter Film ist der vom Regisseur Francesco Rossi in den 50ern gedrehte Film „Auf St. Pauli ist der Teufel los“, mit sehr vielen Drehs von Originalschauplätzen, die inzwischen dokumentarischen Wert besitzen. In den 60ern zog die erfolgreiche Fernsehserie „Polizeirevier Davidswache“ von Jürgen Roland eine ganze Reihe von Folgefilmen hinter sich her. Filme wie „Mädchenjagd in St. Pauli“, „Die Engel von St. Pauli“ oder „Zinksärge für die Goldjungs“ – allesamt triviale Gangsterfilme, die im St. Pauli Milieu spielten, sich aber oft einen pseudo- dokumentarischen Anstrich gaben und so den Mythos St. Pauli – als Zentrum von Lust und Laster weiterhin schürten. 1962 gab es noch 14 normale Filmtheater, die mit der Zeit geschlossen wurden,  u. a. das Aladin/ Reeperbahn 89; Oase/ Reeperbahn 147,  Radiant/ Reeperbahn 31; Knopf´s Lichtspiele/ Spielbudenplatz 19; Union/ Spielbudenplatz 24. Mit der Schließung des „Oasekino“(Reeperbahn,  Ecke Lincolnstraße) im Jahr 2001 verschwand das letzte Kino auf dem Kiez. Neuere, erwähnenswerte St.- Pauli-Filme sind  „St. Pauli Nacht“ und „Der König von St. Pauli“ Sönke Wortsmann produzierte 1999 „St. Pauli Nacht“. Der Regisseur  nähert sich mit seinen Milieubeschreibungen einem relativ zutreffenden Querschnitt durch den Kiez, wie er heute noch existiert und gewährt einen Einblick hinter die Kulissen. Der Film hat keine Hauptdarsteller im üblichen Sinne, da seine einzelnen Akteure in etwa gleicher Bedeutung nebeneinander agieren Er verzichtet weitgehend auf musikalische oder szenische Effekte, was dem Film einen dokumentarischen Touch gibt. „Der König von St. Pauli“, als sechsteilige Serie im Fernsehen ausgestrahlt, wurde 1997 vom Regisseur Dieter Wedel fertiggestellt. Der Film spielt in einem fiktiven St. Pauli-Milieu der 50/60er Jahre, um eine St.-Pauli-Größe mit seinem Striplokal und schildert Konkurrenzien, Mafiöses und dem Alltag auf dem Kiez.

Arndt Ute, Thomas Duffe, Bernd Gerstäcker, 1995, „St Pauli – Gesichter und Ansichten vom Kiez“, Historika Photoverlag, Hamburg

Bremer Dagmar, 1987, „Die räumlich-soziale Bedeutung von städtischen Umstrukturierungsprozessen am Beispiel von Altona-Altstadt/St. Pauli-Süd“, Verlag Sautter + Lackmann, Hamburg

Freund-Widder Michaela, 2003, „Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in der Freien und Hansestadt Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik“, Lit-Verlag, Münster

Gobecker Kurt(Hg.), 1998, „ Die Stadt im Umbruch“, Kabel Verlag, Hamburg

Sigmund Monika, Renate Kühne, Gunshild Ohl-Hinz, Ulrike Meyer, 1996, „ Man versuchte längs zu kommen und man lebt ja noch – Frauen-Alltag in St. Pauli in Kriegs- und Nachkriegszeit“, St. Pauli-Archiv, Druckerei in St.Pauli, Hamburg

Das Prostitutionsgewerbe und Rotlichtmilieu seit der Nachkriegszeit

Der Tauschhandel Geschlechtsverkehr gegen Lebensmittel und Zigaretten wurde zu einem quasi alltäglichen Phänomen der Nachkriegszeit. Viele Frauen prostituierten sich oder gingen Verhältnisse mit Besatzungssoldaten ein, um ihre Familie zu ernähren und zu schützen und um nicht selbst vergewaltigt zu werden. Um eine Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten zu verhindern wurde das System der Bordellprostitution übernommen und die Überwachung der eingeschriebenen Frauen weitergeführt. Gegen die massenhafte Gelegenheitsprostitution führten die britische Militärpolizei und die Hamburger Sittenpolizei verschärft Razzien durch. Ziel dieser Maßnahmen waren neben Lokalen im gesamten Stadtzentrum, die Wartehallen großer Bahnhöfe, die Parkanlagen der Alster zur Stadtmitte, der Jungfernstieg und der Gänsemarkt, dort wo die Briten ihre Quartiere bezogen hatten. Stundenhotels und Privatwohnungen die als Absteigequartiere von Prostituierten genutzt wurden, gab es vor allem in St. Pauli und St. Georg. Die Reeperbahn und der Steindamm waren die Straßen mit dem größten Durchgangsverkehr an Frauen, die der heimlichen Prostitution nachgingen. 1946 wurden von der Sittenpolizei 6.014 Frauen festgenommen, bei 763 wurde eine Geschlechtskrankheit festgestellt. In den gleichen Zeitraum verhaftete die britische Militärpolizei 10.601 Frauen, von denen 709 geschlechtskrank waren. 1947 zog sich die britische Militärregierung völlig von der Kontrolle der Geschlechtskrankheiten zurück und übergab diesen Bereich der Gesundheitsbehörde. Die Polizei hatte, obwohl sie, wie auch der Hamburger Senat gegen diesen Beschluss der Briten opponierte, nur noch eine unterstützende Funktion inne. Die Razzien bei denen massenhaft Frauen festgenommen worden waren und die zunehmend in die Kritik der Öffentlichkeit gerieten, wurden eingestellt.

Für die Mädchen und Frauen die im Zeitraum der nationalsozialistischen Herrschaft in Hamburg als „sittlich gefährdet“ entmündigt wurden und im Farmsener Heim verwahrt wurden, gab es nach Kriegsende keine Befreiung, wie sie die Überlebenden der Konzentrationslager erlebten. Die Kriterien der Entmündigung wurden seitens der britischen Besatzungsbehörden nicht hinterfragt. Um die 250-300 entmündigten Frauen wurden in der geschlossenen Anstalt Farmsen „verwahrt“. Die Praxis der Entmündigung wurde auch nach 1945 fortgesetzt. Ein Großteil der Hamburger Fürsorgerinnen, die direkt nach dem Krieg aus politischen Gründen entlassen worden waren, hatten 1947 bereits wieder ihre alten Positionen inne. Erst 1949 mit der Verabschiedung des Grundgesetzes wurde das Prozedere der Anstaltseinweisung und Entmündigung erschwert.

Vor den Bombenangriffen 1943 hatte es in Hamburg ca. 80 Bordelle mit 800 Prostituierten gegeben. Bei Kriegsende gab es noch 42 Bordelle mit 402 registrierten Frauen. Diese lebten und arbeiteten weiterhin in den Bordellen während die Anzahl der frei wohnenden Frauen kontinuierlich zunahm. Sie lag 1947 bei 250, 1948 bereits bei 350 und 1949 bei ca. 550. Die Prostituierten mussten sich 2x wöchentlich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen. 1950 waren es 47 Bordelle. 25 Bordelle befanden sich in der Winkelstraße, 17 in der Herbertstraße und 5 in der Lohestraße. Die Zahl der eingeschriebenen Bordellprostituierten sank kontinuierlich von 1950 mit 384 Frauen auf 252 im Jahr 1972. Die Anzahl der freiwohnenden registrierten Frauen stieg hingegen proportional an: 1950 mit 639 Frauen, auf 1.025 Frauen im Jahr 1960, bis auf 2.019 Frauen im Jahr 1972. Der durchschnittliche Tagesverdienst einer Prostituierten 1948 wurde seitens zuständiger Beamter auf 50-60 Mark geschätzt. Zwischen 1945-49 war laut Anweisung eine Bestrafung von Zuhältern mit Zuchthausstrafen verboten. Dies änderte sich zum Oktober `49. Ab diesem Zeitpunkt war eine Haftstrafe bei rechtskräftiger Verurteilung sogar vorgeschrieben. Alle im Jahr 1950 verurteilten Zuhälter erhielten daraufhin mindestens ein Strafmaß von 9 Monaten.

Die Bordellstraße Lohestraße wurde durch die Bombenangriffe 1943 bis auf ein Haus zerstört. Bis 1949 wurden dort drei weitere Bordelle ausgebaut und die Straße erneut mit einem Tor versehen. Anfang der 50er Jahre wurden diese Etablissements geschlossen und die dort lebenden Frauen auf die Herbert- und Winkelstraße verteilt. Die Bordelle in der Winkelstraße und in St. Pauli, nahe bei der Großen Freiheit und des Nobistors, die „Kleine Marienstraße“ wurden ebenfalls bis Mitte der 50er geschlossen. Parallel zu der Schließung der Bordellstraßen entwickelte sich auf St. Pauli in der Kastanien- und Taubenstraße ein neuer Straßenstrich mit Absteigen, Bars und Bordellen. Die Winkelstraße, ehemals Ulrikusstraße, letzter Bestandteil eines Hamburger Prostitutionsquartiers, verschwand anfangs der 60er mit dem Neubau des prämierten und inzwischen denkmalgeschützen Uni Lever-Hochhauses(Ecke Valentinskamp/Caffamacherreihe/Dammtorwall) aus den Stadtplänen. An der Strasse Pepermölenbek, der ehemaligen Bachstraße, die vom Nobistor bis zum Altonaer Fischmarkt geht, direkt angrenzend an das Quartier „Hexenberg“, zog sich auf ganzer Länge ein Straßenstrich hin, der in den Fischmarkt mündete, dem traditionellen Revier der „Dockschwalben“, die inzwischen vermehrt LKW-Fahrer bedienten.

1953 wurde das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom Bundestag verabschiedet. Es beruhte auf dem Reichsgesetz von 1927 und setzte neben der medizinischen Kontrolle auf die sozialfürsorgerische Betreuung und sollte die unter dem Besatzungsrecht verabschiedeten landesrechtlichen Vorschriften vereinheitlichen. Eine Beteiligung der Polizei war, wie in Hamburg bereits praktiziert, nur noch in Form einer unterstützenden Tätigkeit der Gesundheitsbehörden vorgesehen. Nach diesem Gesetz mussten sich die registrierten Prostituierten zweimal wöchentlich auf  Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen und zwar auf die Dauer von mindestens 6 Monaten. Mit einem nachgewiesenen Umzug in das Elternhaus, einer Heirat oder der Aufnahme eines normalen Arbeitsverhältnisses, konnten die Frauen aus dieser Untersuchungspflicht entlassen werden. Die Frauen hatten aber auch die Möglichkeit sich bei einem zugelassenen Arzt kostenfrei untersuchen zu lassen und dessen Attest bei der Hamburger „Zentralen Beratungsstelle“ einzureichen. Außerdem wurde der §361 StGB in modifizierter Form übernommen. Prostitution in der Nähe von Schulen und Kirchen und in Wohnungen mit Kindern zwischen 3-18 Jahren blieb damit weiterhin strafbar.

„Nach 45 waren zunächst endlose Reihen Wurstbuden St. Paulis Hauptattraktion; sie trugen der Reeperbahn die Bezeichnung „Knackwurstallee“ ein. Als die Fresswelle abebbte, glaubten die St. Pauli- Unternehmer zuerst, im Vorkriegsstil mit sittsam verhüllten Tänzerinnen das D-Mark-Geschäft ankurbeln zu können. Aber selbst an Sonntagen, die einst das Hauptgeschäft brachten, blieben die Etablissements leer. (…) Die Kneipiers stellten ihr Programm um: Damenringkämpfe im Schlamm und Revuen von „100 nur mit Bikinis bekleideten Badenixen“ waren die ersten Attraktionen, die wenigstens für einige Zeit wieder volle Kassen garantierten. Doch St. Paulis Vergnügungsmanager mussten bald stärkere Anreize ersinnen. In den Schaukästen der Lokalitäten wurden die Fotos der mit Bikinis bekleideten Damen durch Bilder von Schönheitstänzerinnen ersetzt, die meistens nicht mehr am Körper trugen als Halsketten und Ringe. Auf reißerischen Plakaten wurden „scharf gemixte Nackt-Revuen“ angepriesen. Doch im April 1956, drei Jahre nachdem das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom Bundestag beschlossen worden war, brach plötzlich und ohne erkennbaren Anlaß ein „Bildersturm“ los. Über Nacht wurden mehr als 400 Fotos von Unverhüllten beschlagnahmt und über eine Anzahl von Nachtclub-Besitzern harte Geldstrafen verhängt. Auf der Suche nach weniger anstößigen, jedoch ebenso wirksamen Werbemethoden kam den St. Pauli-Wirten schließlich die heute noch erfolgreich praktizierte Idee, als Ersatz für Nackedeis in den Schaukästen grellbunte Plakate aufzustellen, die in monumentalen Schriftzügen „erregende Sittenfilme“ und „intime Sittendramen in Technicolor“ anpreisen. Kellner avancierten zu Filmvorführern, Nachtlokalchefs zu Drehbuchschreibern und Regisseuren, die im Sachsenwald bei Hamburg oder in der Lüneburger Heide ihre „Original Pariser Streifen“ herunterkurbelten.“

Der Spiegel vom 6. August 1958

Bekannte Etablissements in der „Großen Freiheit“ in den 50ern waren die Kabaretts „Jungmühle“, das „Bikini“, in dem Damen-Schlamm-Ringkämpfe geboten wurden, und das Hippodrom“, dessen Besitzer Wilhelm Bartels war. In dem Kabarett „Indra“(Große Freiheit 64) traten  akrobatische Schönheitstänzerinnen, orientalische Degenartisten und Tanzkapellen auf. Weiterhin erwähnenswert das Kabarett „Tabu“ wo der Plakatmaler Erwin Ross 1955 seine Karriere als Maler und Innenausstatter begann.

Auf vielen Werbeflächen, vorzugsweise denen der alten Peep-, und Stripbars und Kneipen von St. Pauli prangten spärlich bekleidete vollbusige Frauen. Ihr Schöpfer ist der Plakatmaler Erwin Ross, der fast 40 Jahre lang für die Clubbesitzer von St. Pauli gemalt hat. Die gespreizten Frauenbeine an den Außentüren der „Ritze“ sind sein Werk, wie er auch die Frontseiten vieler nicht mehr existierender Cabarets in der großen Freiheit gestaltet hat. Begonnen hat er seine Karriere als Plakatmaler der Konsum-Genossenschaft Eberswalde in der ehemaligen DDR, wo er politische Losungen, Arbeiterhelden, sowie Marx, Engels und Lenin im laufenden Dutzend malte. Er zog vor dem Mauerbau mit seiner Frau nach Hamburg und wurde in St. Pauli heimisch.

Das Angebot der Kabaretts und Nachtclubs variierte zwischen „Entkleidungsrevuen“, CanCan, türkischen,  spanischen oder indischen „Schönheitstänzen“, Silhouettentheater und später zu sogenannten „Sittenfilmen“. Ende der 50er Jahre soll das Geschäftsgebaren vieler Lokale auf St. Pauli unseriös geworden sein, außerdem war in den 50er Jahren der sogenannte „Zechraub“ noch ein weit verbreitetes Phänomen. Darunter verstand man Gelegenheitsraub, der in unmittelbarer Nähe von Gastwirtschaften und „verrufenen“ Kneipen stattfand. Opfer waren in der Regel milieufremde Gäste, die beobachtet wurden und auf dem Nachhauseweg, unter Androhung oder vollzogener Körperverletzung, beraubt wurden. Da diese Entwicklung geschäftsschädigende Ausmaße angenommen hatte, initiierten 1958 der St. Pauli-Verein und  Mitglieder des Gaststättenverbandes eine Aktion „St. Pauli ist für alle da“, um etwas gegen die überteuerter Getränkepreise, Nepp und die Faustrechtsmentalität zu unternehmen. 1961 gründeten die Besitzer von 19 Striplokalen einen  Selbsthilfe-Verein, um in einer Art freiwilligen Selbstkontrolle gegen Nepp und allzu undurchsichtige Preisgestaltung vorzugehen.

1964 wurde wiederum (u.a. von dem Besitzer des Cafe Keese und Kurt Collien, der Direktor des Operettenhauses) eine ähnliche Initiative gegründet bei der die teilnehmenden Lokal- und Barbesitzer mit öffentlichkeits-wirksamen beleuchteten Glaskästen für ihre Etablissements warben. Diese Initiative war allerdings nur in Hinblick auf die Internationale Gartenbauausstellung und dem zu erwartenden Publikumsandrang initiiert worden. Ende Dezember 1964 war der Verein wieder aufgelöst und die Glaskästen verschwunden.

„Die Gäste merkten nie etwas. Im Separe holten sie sofort ihren Diddel raus, wollten sich da einen runterholen lassen, dabei wurden ihnen die Ketten abgenommen um` Hals, in die Taschen gegriffen; was die da drin hatten, das wurde alles rausgeholt. Nein, das hat er nicht gemerkt. Eine Frau rechts, eine andere links, und dann wurde er so richtig durchgecheckt, Brieftaschen durchstöbert und rausgegeben zum Nachgucken, ob da was drin war was man noch gebrauchen konnte, oder was für`n Typ der war. Dann wurde das wieder reingereicht und bei ihm reingepackt. Wenn er viel hatte, blieb auch mal n` Scheinchen da oder zwei. Je nachdem.(…) Und dann die Geschichte mit dieser Karte, mit den Preisen. Also wenn man die hinten im Separee gelesen hat, da war Rotlicht, da konntest du die rote Schrift nicht sehen. Du konntest nur die schwarzen Schriftzüge lesen. Wenn aber die Bullen kamen und die Freier sagten, hier das stand nicht auf der Karte, dann kam Archi – vorne am Büfett war ja richtig helles Licht – und sagte: „Hier, Herr Wachtmeister, da steht`s  doch!“ Denn nun konntest du das Rote ja wieder lesen. Die Bullen kriegten ja auch immer abgesteckt.(…) da kamen zwei, dreitausend Mark ja schnell ran.“

Zitat aus:  Eppendorfer Hans, 1982 „Szenen  aus St. Pauli“, Seite 63

Viele der kleinen Läden, Bars, Clubs, Restaurants, Theaterkeller, Live-Shows und Kabaretts, die nach der Währungsreform gegründet wurden, mussten im Zuge der allgemeinen Restauration einer konservativen Sexualmoral, wegen Restriktionen seitens des Ordnungsamtes wieder schließen, bzw. wurden zu Spielcasinos und Pizzerias umgewandelt. Die Vorgehensweise des Ordnungsamtes gegen die Kabaretts und Life-Lokale wegen zu freizügiger Entkleidungs- und Schönheitstänze führte dazu, dass viele der kleinen Läden Separees in den hinteren Räumen errichteten, wo die Nacktshows weiterhin gezeigt wurden, bei allerdings völlig überteuerten Getränkepreisen. Was wiederum zu weiteren Auflagen seitens des Ordnungsamtes führte: keine Separees mehr, keine Türen, nur noch ein leichter Vorhang war erlaubt. In Konsequenz bedeutete dies einen Konzessionsentzug für viele Läden. Um für die gleichen Läden eine neue Konzession zu beantragen holten sich die ehemaligen Konzessionsträger Strohmänner die ihrerseits wieder bezahlt werden mussten. Daraus entstand das Verhältnis von ineinander verschachtelten Mehrfach-Vermietungen und Verkonzessionierungen der verschiedenen Lokale, was zu einem völlig überzogenen Anstieg der Miet- und Unkosten führte. Diese Entwicklung führt dazu das viele der kleinen Lokale kaputtgingen und das es zu einer weitgehenden Konzentration von Immobilien und Kapital in die Hände weniger kam. Am Ende dieser Entwicklung befanden sich beispielsweise viele Kabaretts in der Großen Freiheit im Besitz von Willi Bartels, bzw. zeitweilig unter der Geschäftsführung des Betreibers von Club „Safari“.

Alexander, Rolf B., 1968, “Prostitution in St. Pauli“, Lichtenberg-Verlag, München

Barth Ariane, 1999, „Die Reeperbahn“, Spiegel- Buchverlag, Hamburg

Freund-Widder Michaela, 2003, „Prostitution und ihre staatliche Bekämpfung in der Freien und Hansestadt Hamburg vom Ende des Kaiserreichs bis zu den Anfängen der Bundesrepublik“, Lit-Verlag, Münster

Stark Jürgen, 1992, „Das Herz von St. Pauli“,  Verlag Kammerer&Unverzagt, Hamburg

Töteberg, Michael, 1990, „Filmstadt Hamburg : von Emil Jannings bis Wim Wenders“, VSA-Verlag, Hamburg

Die 60er Jahre – Musikclubs, Liberalisierung und die „St. Paul-Nachrichten“

Schon in den 50er Jahren entwickelte sich auf St. Pauli eine lebendige  Musikszene. Erste englische und amerikanische Jazz-Band kamen nach Hamburg, ehemalige Swing-Heinis und junge Jazzer gründeten Bands und es entwickelte sich eine größere Clubszene mit Tanzmusik und Lifeauftritten. Cafe Lausen und Mehrer mit ihren Tanzsälen entwickelten sich zu bekannten Jazz-Treffs. 1953 zog  Bernhard Keese mit seinem Café von der Fruchtallee auf die Reeperbahn 19/21. Cafe Keese, ein Tanzlokal mit Tischtelefon wurde schnell zu einem beliebten Treffpunkt  und Kontaktbörse – beim „Ball Paradox“ herrschte Damenwahl. Mitte der 50er Jahre löste der Traditional Jazz und der Skiffle, von England kommend, den Swing in der Publikumsgunst ab.

Ab Ende 1959 ließ Bruno Koschmider in seinen Etablissements „Kaiserkeller“ und „Indra“, beide Große Freiheit, britische Rockn`Roll-Bands wie die „Jets“ und später dann die Beatles auftreten. Hamburgs ersten Rock ’n‘ Roll-Club, der „Kaiserkeller“, Tür an Tür mit Striptease-Läden und Milieukneipen, wurde ein voller Erfolg, da es seit der Bill Haley-Tournee und den begleitenden Saal- und Straßenschlachten so gut wie keine Auftrittsmöglichkeiten für Rockmusiker gegeben hatte. Ein weiterer Musikclub dieser Zeit war der Top Ten-Club auf der Reeperbahn. Erst 1962 wurde der „Star Club“ in den Räumen der ehemaligen „Stern-Lichtspiele“ (1949-1962), Großen Freiheit 39 eröffnet. Die damalige Organisation von Konzerten unterschied sich ganz erheblich zu denen heutzutage. So wechselten sich in den ersten 6 Monaten des Star Clubs bis zu 8 Gruppen pro Nacht ab und gastierten dort meistens für die Zeit eines Monats als sogenannte Haus- oder Resident- Bands. Die „Dominos“ aus Liverpool traten bsp. zwischen `62 und `63   332x im Star Club auf, die deutsche Band „The Rattles“ kam auf 159 Auftritte, die „Beatles“ auf 79. Viele der Musiker, die im Starclub auftraten, trafen sich nach den Konzerten mit ihrem Anhang in den nahegelegenen Kneipen „Grete & Alfons“ und in der „Blockhütte“. Abgesehen von einigen deutschen Bands wie ‚The Rattles‘, ‚The German Bonds‘ und ‚The Rivets‘ traten vorwiegend Liverpooler Gruppen auf. Neben verschiedenen Stamm-Gruppen standen regelmäßig international bekannte Stars auf der Bühne, zunächst überwiegend US- Rock’n’Roll-Bands, dann immer mehr englische Künstler. Zu den Musikern die hier gastierten zählen u.a. The Searchers , Jerry Lee Lewis , Little Richard , Jimi Hendrix , Black Sabbath, die Beatles und Cream.

„Ich war ein halbes Jahr nach der Eröffnung zum erstenmal da, vorher war ich nur ein paarmal im Top Ten. In den Star-Club ging man nicht als Bürgersöhnchen, weil es hieß, da seien nur die Rocker. (…) Das hat sich aber geändert, als ich hörte, daß die Beatles dort wieder spielten, da hab ich mich dann mal getraut. Und ich war gleich unheimlich begeistert (…) daß da irgendwie so Typen auf der Bühne waren, mit denen man sich wesentlich eher identifizieren konnte und die die Musik live machten, die man nur von Platten her kannte, das hat den wesentlichen Kick ausgemacht. Ich bin dann auch vom erstenmal an mindestens zweimal die Woche im Star-Club gewesen. Das war in den Augen meiner Mutter und sonstiger Verwandter ganz schön gefährlich, so oft nach St. Pauli zu gehen. Aber in Wirklichkeit war das ganz cool, weil die Typen auf St. Pauli und die Portiers immergleich gesehen haben: Der will zum Star-Club, und da haben sie uns nie dumm angemacht. (…). Die Leute hatten alle Anzüge an, Krawatten und Nyltesthemden. Wer damals dazu noch Cowboystiefel besaß, war ganz besonders progressiv. Sie machten sich sorgfältig zurecht, wenn sie hingingen, das war richtig Ausgehen. In erster Linie ging man ja auch hin, um Musik zu hören und zu tanzen, nicht um rumzuhängen, dazu war der Star-Club zu faszinierend . Jeden Tag war es gerammelt voll. Der Star-Club war für die Jugend so was wie die Dame ohne Unterleib, die totale Sensation, deshalb kamen auch immer so viele.“

Frank Dostal, Sänger der „Rattles“    http://www.infopartisan.net/archive/1967/266709.html

1963 wurde der Starclub zur Zielscheibe des Ordnungsamtes, das eine amtliche Schließung des Musikclubs anstrebte.

Regierungsamtsmann Kurt Falck war der Chef  des Wirtschafts- und Ordnungsamtes. Er erwies sich nicht nur als Gegenspieler des Star-Clubs, sondern ging in erster Linie gegen eine Vielzahl von St. Pauli-Wirten und die sogenannte „Noludar-Gang“ vor, die mit K.O-Tropfen Gäste betäubte und dann ausraubte. Er entzog deren Schanklizenzen und kontrollierte erstmals im größerem Umfang, das die ehemaligen Betreiber nicht wieder über Strohmänner eine Neukonzessionierung beantragen konnten. So wurde 1963 das Striplokal „La Maitresse“ von Wilfried („Frieda“) Schulz geschlossen.

Alleine in diesem Jahr kam es zu 90 Polizeieinsätzen, u.a. zu Großeinsätzen bei denen 100 Polizisten beteiligt waren. Ein für die 60er Jahre ungewöhnliches Zahlenverhältnis. Infolge dieser Kampagne wurde dem Betreiber Manfred Weißleder im Sommer 1964 die Konzession entzogen. Auf den Betrieb des Musikclubs wirkte sich dies nicht aus, da Weißleder die Konzession auf seinen Geschäftsführer übertrug – eine für St. Paulianer Verhältnisse übliche Vorgehensweise. Der Konflikt Starclub – Ordnungsamt wurde in der deutschen Medienlandschaft, in allen großen Zeitungen und im Fernsehen, öffentlich ausgetragen, wobei dem Starclub auch in der bürgerlichen Presse, im nicht unbedeutendem Maße Sympathie zuteil wurde. Der StarClub entwickelte sich zum Mekka für jugendliche Musikfans mit Hunderttausenden von Besuchern pro Jahr und wurde über Deutschland hinaus bekannt. 1964  wurde mit den „Star-Club Records” ein Label entwickelt  über den Life-Mitschnitte und Musik-LP`s dementsprechender Musiker vermarktet und vertrieben wurden. Mit dem Boom der Musikclubs veränderte sich die Publikumsstruktur St. Paulis. Die Konzertbesucher frequentierten umliegende Kneipen und Bars, die sich auf das neue Klientel einzustellen begannen und mit der von der 68-Bewegung propagierten sexuellen Libertinage, durch die visuelle Erotica teilweise in einen antistaatlichen und emanzipatorischen Kontext gesetzt wurden, entwickelte St. Pauli im Vorfeld der staatlichen Liberalisierung von Pornographie ein neues Sendungsbewusstsein, welches sich bereits Ende der 60er Jahre mit der Aufführung des Musicals „Oh Calcutta“ (Sex, Nacktheit und Beischlaf waren Thema und wurden auf der Bühne vorgespielt) im Operettenhaus im Mainstream wiederspiegelte. 1967/8 eröffneten mit dem „Grünspan“ und dem „Birdland“ zwar zwei weitere Musikclubs in dieser Strasse, aber Ende der sechziger Jahre gehörten die Auftritte von Rockgruppen bereits zum normalen Alltag und Musikbusiness – aus der ehemaligen Subkultur war ein Milliardenmarkt geworden. Viele kleinerer Clubs mussten wegen  den extrem gestiegenen Gagenforderungen und der Auslandsteuer  -ausländische Bands müssen 28% und Solokünstler sogar 31% ihrer Einnahmen abführen –  ihr Life-Auftrittsangebot an Großveranstalter abgeben oder waren in Diskotheken umgewandelt worden. Die innovative Musikclubszene hatte sich jenseits von St. Pauli, in anderen Stadtteilen entwickelt.  Wegen dauernde Komplikationen mit dem Ordnungsamt und künstlerischem wie finanziellen Missmanagement musste der  Star Club 1969/70 schließen.

1968 hatten der Raritätenhändler Helmut Rosenberg* und der Photograph Günther Zint* die Idee für eine St. Pauli typische Kiez-Zeitung – den „St. Pauli Nachrichten(SPN)“. Gestartet wurde mit einer Auflage von 10 000 Exemplaren, mit rasant steigender Tendenz: Juni `69- 30 000, einen Monat später ist die Zeitung mit einer Auflage von 105 000 in ganz Hamburg erhältlich, Oktober `69- Auflage 205 000, November gleichen Jahres- Auflage 420 000 mit dem Verbreitungsgebiet der gesamten Bundesrepublik. Januar 1970- Auflage 780 000, Erscheinungszeitraum alle 14 Tage. Im Februar 70 droht der Zeitung eine Dauerindizierung nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften. Nichtsdestotrotz erscheinen im April `70 die St. Pauli Nachrichten mit einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren wöchentlich. Inhaltlich war neben kleinen Artikeln zum Thema St. Pauli, dass Thema Sex, vor allem visuell, dominierend. Redaktionell waren die St.Pauli Nachrichten, zumindestens in den ersten 2 Jahren, beeinflusst von dem Geist der 68er-Bewegung und ihrer propagierten sexuellen Liberalisierung. Der umfangreiche Kontaktanzeigenmarkt der SPN war einer der Hauptträger der Zeitung. 1971 war es noch ungewöhnlich, sexuelle Such- und Kontaktanzeigen in einer derart offenen Form zu publizieren, was der SPN einen wachsenden Käuferkreis bescherte. Dieser ursprünglich private Annoncenteil fiel allerdings Anfang der 70er Jahre dem Trend zur Kommerzialisierung anheim, der bestimmt wurde von verdeckter Prostitution und  offensiver Produktwerbung. Bereits zu diesem Zeitpunkt existierten Adresshändler, die die Namen und Adressen zum Zweck der gezielten Direktwerbung auf den Markt feilboten. Nach einem Artikel des Spiegels (Nr.435/1971) wurden jährlich rund 125 Millionen Mark an den Kiosken für die St. Pauli-Blätter gezahlt. Ein lukrativer Markt, der der SPN viele Nachfolger bescherte – so gab es im Zeitraum 1971 an den Großstadtkiosken bereits 15 verschiedene Sex-Illustrierten zu kaufen. Die St. Pauli- Nachrichten wurden im Januar 1972 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften für die Dauer von 9 Monaten indiziert und entwickelten sich bald zu einer Sex-Postille unter vielen. Im Rückblick kann man sagen, dass die St. Pauli Nachrichten eine Vorreiterfunktion innehatten was die Kommerzialisierung nackter weiblicher Haut auf den Titelseiten der Illustrierten und der bald darauf folgenden Legalisierung von Pornographie in Deutschland betraf.

*Harry Rosenberg(1924 – 2000 ) ein St. Pauli-Orginal, Mitbegründer der St. Pauli Nachrichten, Bekannter von Willi Bartels und Besitzer von „Harry`s Hafenbasar“ den er 1954 nach dem Vorbild von „Käpt`n Haase`s Museumskneipe“ in der Erichstraße, die in den 30ern bis in die 50er bestand, gründete. Mit dem Nachlass dieser Kneipe und vielen Kuriositäten, die die Seeleute von ihren Fahrten mitbrachten, entwickelte sich der Basar zu einem regelrechten Museum zum Anfassen und Kaufen – mit Asien- und Afrikazimmern, ausgestopften Tieren, Münz- und Schmucksammlungen, und,  und, und.  Nach seinem Tod betreibt seine Tochter Karin den Hafenbasar, der in die Erichstraße umziehen musste.

*Günter Zint war zu Zeiten des Star Clubs Photoreporter für ein Musikmagazin des Bauer Verlags und hat in den 60er Jahren für Zeitschriften wie „Konkret“, „Spontan“ und „Das Da“ erotische Fotos geliefert. Er veröffentlichte Reportagen mit Günter Walllraff und begleitete die Außerparlamentarische Opposition in den 60ern, später die Anti-Atom-Bewegung, wie auch das St. Pauli-Milieu mit seiner Kamera. Er publizierte u.a. die St. Pauli-Bücher „Die weiße Taube flog für immer davon“ und „Große Freiheit 39“. 1989 gründete Günter Zint mit vielen anderen Förderern das St. Pauli Museum, welches nach mehreren Standortwechseln und finanziellen Krisen seit 2005 von der Kulturbehörde gefördert wird

Kroner Ingrid, 1974, „Genitale Lust im Kulturkonflikt – eine Untersuchung am Beispiel der St. Pauli Nachrichten“
Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen

Martens Rene, Günther Zint, 2000, „Kiez, Kult, Alltag“, Verlag der Hanse, Hamburg

Zint Günter ,1987,  „Große Freiheit 39,  Wilhelm Heyne Verlag, München

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Das Sexbusiness in St. Pauli 1968

Der geschätzter Jahresumsatz des Sex-Business soll in Hamburg 1968 ca. 120 Millionen Mark betragen haben. Rund 1300 Prostituierte waren zu dieser Zeit in Hamburg offiziell registriert. Die Straßenprostitution war weitaus ausgedehnter als heutzutage, vor allem in dem Quartier zur Wasserseite der Reeperbahn. In dem Quadrat zwischen den Straßen Pepermölenbek (ehemalige Bachstr.), St. Pauli Fischmarkt/ St. Pauli-Hafenstrasse und der Davidstrasse in den vielen kleinen Seiten und Nebenstrassen und in den Straßenzügen auf der anderen Seite der Davidstr., Richtung Millerntor. 1969 wurde es für die Prostituierten zur Vorschrift eine Kontrollkarte mit sich zuführen, auf der die regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen eingetragen wurden, den sogenannten „Bockschein“  (der Name kam von dem im Milieu so bezeichneten Gynäkologenstuhl). Konnte eine Frau diese Karte nicht vorweisen, fehlten Eintragungen oder entzogen sich Prostituierte ganz den Kontrollmaßnahmen, konnte die Polizei die Betreffenden zur Fahndung auszuschreiben oder zwangsweise eine Krankenhauseinweisung verfügen.

In der St. Pauli Hafenstraße, am Fischmarkt und beim Straßenzug Pepermölenweg, an die zu dieser Zeit noch Ruinengrundstücke aus dem Krieg angrenzten, befand sich ein reiner Autostrich. Die Frauen die dort arbeiteten hatten keine Zimmer und erledigten ihr Geschäft entweder im Auto des Kunden oder im Freien. An der Straße Pepermölenweg sollen bis an die 100 Frauen pro Nacht, bei einem Tarif von 10 Mark, gestanden haben. In der Bernard-Nocht-Straße waren die Grenzen zwischen Animiermädchen der zahlreichen Kellerbars und der reinen Straßenprostitution fließend. Dort waren mehr Gelegenheitsprostituierte anzutreffen. Die Preise sollen zwischen 15-30 Mark gelegen haben.  Desweiteren waren Prostituierte in den Straßen Lincolnstr., Herrenweidl und der Finkenstr., in Nähe des Pepermölenbeks anzutreffen.

„Bernhard-Nocht-Straße- zur „Scharfen Ecke“ mit den Spotlights, die auch tagsüber blinken. Das „Casablanca“, mit der kleinen grellgrünen Palme auf gelbem Grund. Die Türkenkneipen, in der jeden Samstag Sängerinnen auftreten, mit halbnackten Busen, aber die Augen hinter schwarzen Brillen versteckt. Schwarze, verwohnte Häuser mit kaputten Fensterscheiben. Und dahinter die Schiffe. „Washingtonbar“, “Die Kogge“, „Erosstübchen“, „Schmaal`s Hotel, „Onkel Max“, die Balduintreppe, „Lolobar“ und „Lili Marleen“. Hier spielt sich der Mittagsstrich ab. Die Freier kommen in der Mittagspause. Der Mittagsstrich ist polizeilich verboten. Deshalb kurven auch unentwegt die Polizeiautos durch die Bernhard-Nocht-Straße. Langsam, wie fette Haifische, die ihre Beute schon auf Nummer sicher haben. Wo sie auftauchen, huschen die Frauen in die Hauseingänge. Beim ersten Mal erwischt werden, kostet eine Geldstrafe. Beim zweiten Mal Knast. Die Polizei macht dabei ein gutes Geschäft. Manchmal verkleiden sie sich auch als Freier und sprechen die Frauen an. Das sind 180 DM bei jeder, die drauf reinfällt. Aber die Polizisten steigen in der Bernhard-Nocht-Straße ungern aus dem Wagen, vor allem nicht allein.“

Impressionen aus der Bernhard-Nochtstr. aus den 70er Jahren:„Schwarz war ihr Haar – Frauen auf St. Pauli“, Susanne Klippel, 1980, Frauenbuchverlag, München

Rund um die Herbertstrasse, wo zu der Zeit 220 Frauen arbeiteten bis zum Hans-Albers Platz und der Gerhartstr. war die Straßenprostitution natürlich auch stark vertreten. Diese Milieu aus Straßenprostituierten, Zuhältern und Absteigen war allerdings in Verruf geraten, da viele der dort arbeitenden Frauen ihre Gewinnspanne durch Nepp und Diebstahl erweiterten. In der Kastanienallee, der Tauben- und der Hopfenstrasse existieren bordellartige Betriebe und ein auf Absteigen angewiesener Straßenstrich nebeneinander, ca. 100 Frauen hatten die Kastanienallee als ihr Revier. Die Taubenstraße galt zu dieser Zeit als sogenannter „Babystrich“. Verhältnisse die auf einen Versuch Wiener Zuhälter zurückgingen 1965 in St. Pauli Fuß zu fassen. Diese waren aufgrund massiver Repressionen in ihrer Heimat, u.a. nach Hamburg ausgewichen. In Folge kam es zu Territorialkämpfen zwischen den Hamburger „Loddels“ und der neuen Konkurrenz, bei denen auch die hiesigen  Behörden und die Polizei auf ihre übliche Art die „Hamburger Interessen“ vertraten. Eine Folge dieser Situation war seitdem ein in die Höhe gegangener Preludinverbrauch unter den Prostituierten, das durch Beziehungen der Wiener in St. Pauli Einzug erhalten haben soll und die Konzentration von jungen Frauen (17-23 Jahre) in der Taubenstraße und z.T. in der Kastanienallee. Ungefähr 40 Frauen hatten in der Taubenstraße ihren Standplatz. Sie waren in ihrer Werbung zurückhaltender da diese Straße in erster Linie eine normale Wohn- und Geschäftsstraße war. Das Preisniveau lag höher, bis zu 50 Mark wurden verlangt.

Die Droge der 60er Jahre auf St. Pauli war das Preludin, ein Wachmacher und Appetithemmer. Wer Preludin nahm konnte Unmengen von Alkohol konsumieren, blieb wach und wurde zuweilen allerdings auch aggressiv. Nachdem die pharmazeutische Industrie Preludin durch hinzufügen eines Abführmittels entschärft hatte, stiegen viele Tablettenkonsumenten auf das damals noch rezeptfreie Captagon um. (Preludin und Captagon waren ursprünglich das Hungergefühl dämpfende Medikamente, sogenannte Schlankmacher auf Amphetaminbasis, die in Apotheken frei erhältlich waren.)

Ab Ende der 60er begannen stadtplanerische und behördliche Maßnahmen, die auf eine Zurückdrängung des Rotlichtmilieus abzielten, zu greifen. In den 60er Jahren erklärten sich viele Hamburger Stadtteile zu Sperrbezirken und nachdem zwei Großbordelle, 1967 das Eros- Center und ein Jahr später das Palais d`Amour eröffneten, wurde ein Großteil von St.Pauli ebenfalls zum Sperrbezirk erklärt. 1974 wurde der Straßenstrich am Pepermöhlenweg endgültig verdrängt, nachdem das Quartier Hexenberg oberhalb des Fischmarktes vollständig abgerissen und neubebaut wurde, obwohl ein Großteil der Häuser nur sanierungsbedürftig waren.

Das Eros-Center wurde 1967 an der Reeperbahn 170, u.a. an dem Standort des ehemaligen Hippodroms erbaut. Der Bauherr und Besitzer Wilhelm Bartel, einer der größten Immobilienbesitzer St. Paulis, investierte 4,7 Millionen Mark in dieses Projekt. Es galt zu dieser Zeit als eines der modernsten und aufwendigsten Bordelle und leitete die Ära der sogenannten Kontakthöfe und Großbordelle ein. Es wurde mit offizieller Unterstützung der Stadt Hamburg realisiert, da ein erklärtes Ziel dieses Unternehmens die Eindämmung der unkontrollierten Straßenprostitution in St. Pauli war. Der Komplex umfasste einen 400 qm großen Kontakthof in welchem sich während der Hauptgeschäftszeit bis zu 30 Frauen aufhielten. Begrenzt wurde der Hof allseitig von 3-4-geschossigen Einzelhäusern in denen sich insgesamt 136 Appartements befanden. Bartels bekam für ein Zimmer 360DM Miete pro Monat und verpachtete etagenweise. Die sechs Betreiber nahmen 3-5 x soviel Miete. Außerdem gehörten eine Automatenstraße mit erwerbbarer Erotica, ein Restaurant, eine Würstchenbude und eine Tiefgarage zu dem Komplex.. Die Frauen die dort arbeiteten begannen mit Blockschulden. Sie mussten 50 Mark Miete täglich und weitere Unkosten für jeweils 5 Tage im Voraus bezahlen. 1968 galt das Eros-Center in der Hamburger Pressöffentlichkeit teilweise als Renommierbetrieb, der einen Besuch wert war und wo die dort arbeitenden Frauen gut verdienen konnten, obwohl beide Großbordelle anfangs unterbesetzt blieben. Das Großbordell wurde 1987 geschlossen. Danach wurde es von Bartels zum Hotel „Interrast“ umgebaut, in dem über die Sozialbehörde hauptsächlich Immigranten einquartiert wurden. Später wurde ein Teil des Komplexes in das „Hotel Stern“ umgewandelt. Seit 1998 betreibt ein Kölner Unternehmer, Besitzer des Riesenbordells „Pascha“ in Köln, ein Remake des Eros-Centers, das sogenannte „Laufhaus“.

Fernsehbericht „Die letzten Tage des Eros“ ARD, 21.4.88

Wilhelm Bartel (1914 – 2008) Größter Immobilienbesitzer und „heimlicher König“ von St. Pauli.  Sein Vater war, wie auch der Vater von Hans Albers, Besitzer einer Großschlachterei. Dieser eröffnete 1928 das Ballhaus Jungmühle (Große Freiheit 21) und später das “Bikini“ . Mit 23 Jahren übernahm sein Sohn Wilhelm Bartels als Geschäftsführer das Kabarett „Jungmühle“, später kam das  Hippodrom (Große Freiheit 10-12) hinzu. Nach dem Tod des Vaters 1947, übernahm W. Bartels komplett die Geschäfte.1963 initiierte Bartels mit Bernhard Keese, Besitzer von Cafe Keese und Kurt Collien, Betreiber des Operettenhauses eine Aktion mit dem Label „Der gute Stern von St. Pauli“ in dessen Rahmen zu einer seriösen Preisgestaltung und zu dem Verzicht auf Selbstjustiz aufgerufen wurde.1984 wurde dann die „Interessengemeinschaft St.Pauli“ wiederum mit Bartels und mit Heinrich Umnus, Besitzer des Hotels „Monopol“, Bartels Pächter Hans Henning Schneidereit und dem Vorsitzenden des Gaststättenverbandes gegründet um St. Pauli touristen- und gastfreundlicher zu gestalten und gegen den „Nepp“ vorzugehen. Schneidereit (geb. 1930) war seit 1964 Besitzer des „Safari“ und zeitweise Pächter der Kabaretts Tabu, Alkazar, Indra, Colibri und der Jungmühle. Keiner dieser Life-Clubs, bis auf das Safari, existiert heute noch.  In den 80er Jahren soll Wilhelm Bartels zwischen 40-60 Gaststätten und Läden auf St. Pauli verpachtet haben. Ihm gehörten u.a. die Hotels „Hotel Hafen Hamburg“, das „Kronprinz“, „Fürst Bismark“, „Senator“ und das „Eden“, eine Handvoll „Kleinkunstbühnen“, unter anderem das „Schmidts Theater“ und das „Dollhouse“ und etliche Wohnhäuser auf St. Pauli und in ganz Norddeutschland. Sein bisher größtes Projekt war die Neugestaltung des Geländes der Astra-Brauerei (Davidstraße) mit Hotels, Wohn- und Gewerbeflächen, welches 2008 fertiggestellt wurde. Bartels verstarb gleichen Jahres.

1968 gab es in St. Pauli noch die Tanzcafes „Mehrer“ (Große Freiheit) und „Menke“ und „Lausen“ (beide auf der Reeperbahn) Das „Mehrer“ hatte eine Tischtelefonanlage zur Kontaktaufnahme. In allen drei Cafes fand eine umfangreiche Lokalprostitution statt. Das Preisniveau lag weitaus höher als bei den Straßenprostituierten. Auf diesem Gebiet sollen ca. 400 – 500 Frauen aktiv gewesen sein. Die Tarife lagen oft um die hundert Mark für einen mehrstündigen Service. Dafür wurden die Stundenhotels auf der Reeperbahn und der Großen Freiheit frequentiert. Die Zimmerkosten zwischen 20-30 Mark gingen ebenfalls zu Lasten des Freiers. Die beiden Cafés auf der Reeperbahn galten auch unter dem bürgerlichen Klientel als respektable Lokalitäten, wo gute Tanzmusik und Service geboten wurde. Dementsprechend wurde von den Frauen die dort arbeiteten, gegebenenfalls bürgerliche Umgangsformen und ein dementsprechendes seriöses Geschäftsgebaren erwartet. In den 70ern wurde aus dem Hotel Lausen ein richtiger Bordellbetrieb, bis nach der Krise des Rotlichtmilieus in den 80ern dort eine Mac-Donalds-Filiale einzog. Das Hotel,, welches inzwischen über albanische Mittelsmänner geführt werden soll, existiert weiterhin und bietet in einem Night-Club regelmäßige Stripteasevorführungen an. Das Cafe Keese bietet als einziges noch Kaffeehausatmosphäre, setzt inzwischen aber auch auf einen Mix von traditionellen Interieur und moderner Clublocation. Mencke existiert nicht mehr und vom Cafe Mehrer gibt es noch der Namenszug an der Außenfassade, ansonsten ist es zu einem Musik-Club umgebaut worden.

Alexander, Rolf B., 1968, “Prostitution in St. Pauli“, Lichtenberg-Verlag, München

Barth Ariane, 1999, „Die Reeperbahn“, Spiegel- Buchverlag, Hamburg


Die „Große Freiheit“ – Kabaretts und Transvestiten

Anfang 1970 zog das Sex-Variete „Salambo“ unter der Leitung Rene´ Durants in das Gebäude des ehemaligen Starclubs ein. Das „Salambo“ in der Großen Freiheit unter der Regie von Rene Durand galt als eines der freizügigsten Etablissements und als eines der Highlights in diesem Showgewerbe. Die 3x täglich stattfindenden Vorführungen in diesem Erotictheater waren zu dieser Zeit immer komplett ausverkauft. Die Bestuhlung zählte 150 Plätze, der Minimalverzehr lag bei 14 Mark, eine Flasche Champagner kostete damals 150 DM.  Nach dem großen Brand 1983, der das Gebäude restlos zerstörte, zog das Variete in die Große Freiheit Nr.11 um. Das Ordnungsamt entzog dem Salambo, das  als erstes Etablissement offiziell den unverhüllten Geschlechtsakt auf die Bühne geholt hatte, bzw. dem Betreiber Rene Durant, die Konzession wegen verdeckter/heimlicher Prostitution. Seine Tochter konnte, nachdem das Thema sogar in der Hamburger Bürgerschaft besprochen wurde und die ehemalige „Ruhezone“ geschlossen wurde, Anfang der 90er Jahre das Salambo wieder eröffnen. Sie konnte aber nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen und 1996, nach einer erneuten Polizeirazzia wurde das Salambo wegen heimlicher Prostitution und  Waffenbesitz endgültig geschlossen.

1968 gab es mit dem „Tabu“, „Regina“, „Les Premiers“,  dem „Safari“ und dem „Colibri“, das in den 60ern und später mit dem Salambo als führendes Striptease Kabarett in St. Pauli galt, eine Reihe namenhafter Kabaretts in der Großen Freiheit, die sich neben vielen kleineren Läden auf Live-Bühnenshows spezialisiert hatten.

Im „Les Premiers“ beispielsweise, gab es neben den einschlägigen Liveshows  eine  Sauna, ein Swimming Pool und Duschen für danach und es bestand die Möglichkeit für das zahlende Publikum mit den Damen in die Sauna zu gehen, was darauf hinweist das die Grenzen zwischen Kabarett und Prostitution wahrscheinlich fließend waren.

Desweiteren gab es in dieser Strasse die „Monica-Bar“, ein Transvestitenlokal und das „Barcelona“, ein homosexueller Treffpunkt – Ausdruck der in der Nähe befindlichen Transvestiten- und Schwulenszene in der Schmuck- und Talstrasse. Obwohl sich diese Szene Ende der 60er Jahre zum Teil auch  in der Kastanienallee in den Bars „Le Punch“,  „Bar `Celona“, „Flamingo“ und „Laubfrosch“  konzentriert  haben soll. Die  Talstraße soll sich schon seit den 20er Jahren zu einem Treffpunkt der Homosexuellenszene entwickelt haben. Heute gibt es dort noch 6 Gay-Kinos und Läden sowie in den umliegenden Straßen einige Szene-Bars und Musikclubs.

„Wir oder jedenfalls die Besseren von uns werden auch gern zum Animieren in den normalen Kabaretts genommen, weil wir `nen besseren Umsatz machen. Aber da gibt`s natürlich auch Kämpfe zwischen uns und den richtigen Frauen – aus so was entsteht Hass. Denn einige von uns sind ja richtig Spitze, mit unseren dunklen Stimmen gibt`s auch keine Probleme, die schieben die Gäste meist auf Alkohol oder auf`s Rauchen. Und das Gehänge wird halt geschickt nach hinten geklebt mit Leukoplast. Das ziept am Anfang, aber da gewöhnst du dich schnell dran, kannst du wieder ablösen mit Waschbenzin. Ist ganz einfach: den Hoden schiebst du in die Bauchhöhle, is wie ne` Tasche, und den Schwanz ziehst du nach hinten durch die Beine. Das Pflaster klebst du hoch bis zum Arsch, ist hautfarben, fällt also gar nicht auf. Den Sack klebst du ringsherum, da entsteht eine richtige Mulde, in der du sogar eine Kerze oder ein Seidentuch reinstecken kannst, wenn du Show machst. Fällt fast jeder drauf rein. Im Augenblick haben wir unheimlich viele Transis hier in Deutschland, die meisten aus Südamerika oder Spanien. Die gehen auf den Strich oder Tingeln. Die sind hier als Touristen eingereist und fahren nach 3 Monaten, sobald ihre Visa ablaufen, für ein paar Tage nach Holland oder Dänemark. Mit neuen Visa für 3 Monate sind sie bald wieder da.(…) Anschaffen, Nachtleben, Animieren oder Bühne. Zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent gibt`s auf die Drinks. Cola mit Rum, Pfläumchen oder Ponnys, in der „Taverne“, im „Flesh“, in den „Drei Weisheiten“ in der Schmuckstraße oder in der Großen Freiheit im „Musikladen“ oder in der „Monica Bar“. Die Besitzerinnen sind meistens Lesben“

Zitat aus:  Eppendorfer Hans, 1982 „Szenen  aus St. Pauli“, Seite 108

Nach 2000 gab es in der noch existierenden Straßenzeile der Schmuckstraße nur noch einen kleinen Transvestitenstrich wo, Transis abends vor den Häusern standen und auf Kundschaft warteten. In der Straße gab es noch 2 Kneipen: das „Steppenwolf“ und die  „Taverne Bar“ in denen vorwiegend Transvestiten in üblicher St- Pauli-Manier die Gäste zum Trinken und Geldausgeben animierten. Aufgrund des baulichen Zustandes der Häuser ist es absehbar, das die gesamte Straßenbebauung wahrscheinlich abgerissen oder totalsaniert werden wird. In der Großen Freiheit hat sich, ausgehend von dem ständigen Zufluss thailändischer Bühnenkünstlerinnen, seit den 80ern eine dementsprechende Szene herausgebildet. Es gibt dort mehrere Stripbars und ein Bordell (Thai Paradies), in denen ausschließlich Thailänderinnen arbeiten. Laut einem Informanten sollen alle diese Läden dem gleichen Besitzer gehören. Weitergehend gab es in der Straße einen thailändischer Imbiß und an der Ecke zur Schmuckstr. die „Thai Oase“, eine Karaoke Bar mit  gemischtes Publikum, wo viele echte Karaoke-Fans ans Mikro gehen.

Alexander, Rolf B., 1968, “Prostitution in St. Pauli“, Lichtenberg-Verlag, München